Samstag, 20. April 2024

Wo die Kumpel zuhause waren

 Der Mülheimer Bergbau ist Geschichte. 1966 machte mit Rosen Blumen gelle die letzte Zeche dicht Punkt Mülheim war damals die erste Bergbau freie Stadt des Ruhrgebietes. In einer Zeit als noch rund 3000 Bergleute auf den Mülheimer Zechen Humboldt, Wiesche, Sellerbeck und Rosenblumendelle arbeiteten, begann der Mülheimer Bergwerksverein 1899 mit dem Bau der Colonie Wiesche. Der Name war Programm. In der Siedlung, die bis 1911 fertiggestellt wurde, fanden die Bergleute der Zeche Wiesche und ihre Familien ein preiswertes zu Hause inklusive Garten, Hof und Schweinestall. Doch das hatte seinen Preis.

Zwei Seiten der selben Medaille 

Wer politisch aufmüpfig wurde, streikte oder überzogene Lohnforderungen stellte, riskierte mit seinem Arbeitsplatz auf der Zeche Wiesche auch seinen Wohnraum in der Colonie. Denn der Arbeits- und der Mietvertrag waren zwei Seiten derselben Medaille. "Der Bergmann muss sich auch zu Hause wohlfühlen, damit er seine Arbeit gut und gerne tut", begründete der Industrielle Hugo Stinnes den Bau der Colonie Wiesche, die heute aus 106 Doppelhäusern besteht. Heute leben nur noch wenige ehemalige Bergleute in der Siedlung Mausegatt und Kreftenscheer: Die Straßennamen gehen auf ehemalige Kohlenflöze der Mülheimer Zechen zurück.

Erinnerung an den Bergbau

Loren und eine 2006 vom Mülheimer Bildhauer Jochen Leyendecker geschaffene Bergmannsskulptur weisen am Siedlungseingang auf die Geschichte der ehemaligen Bergmannssiedlung an der Schnittstelle zwischen Heißen und Holthausen hin. Die meisten Menschen, die heute in den Häusern an der Mausegattstraße und an der Kreftenscheerstraße zu Hause sind, sind die Erben ehemaliger Bergmannsfamilien oder sie haben sich als Zugezogene ein ehemaliges Zechenwerkshaus von ehemaligen Bergmannsfamilien gekauft. So sieht der Strukturwandel aus.

Wirtschaftlicher Strukturwandel

Nachdem mit Rosenblumendelle 1966 die letzte Zeche Mülheims stillgelegt worden war, verkaufte Stinnes auch seine Bergmannssiedlung. Eine Bürgerinitiative, aus der die heutige Siedlergemeinschaft hervorgegangen ist, sorgte 1977/78 dafür, dass die damaligen Bewohner zwischen einem Vorkaufsrecht zum Vorzugspreis oder einem lebenslangen Mietrecht wählen konnten. Die meisten der Bewohner entschieden sich für den Kauf ihres Häuschens, auch wenn das viel Arbeit und Geld für die Modernisierung des nicht mehr zeitgemäßen Whnraums in der alten Zechensiedlung bedeutete.

Vom Plumpsklo zum Badezimmer

Erst Mitte der 1950er Jahre wurde die Mausegattstraße asphaltiert. Erst Anfang der 1960er Jahre bekamen die Menschen in der Siedlung ein eigenes Bad. Bis dahin waren das Duschen auf der Zeche und das samstägliche Zinkwannenbad in der Küche, nebst Plumpsklo für die Bergmannsfamilien, die sich selbstironisch auch als Püttologen bezeichneten, Standard. Das Badewasser wurde samstags auf dem Herd heiß gemacht. Die Sickergrube des Plumpsklos wurde regelmäßig von der Zeche ausgepumpt.

Bis Mitte der 1980er Jahre, als die Siedlung unter Denkmalschutz gestellt wurde, wurde in allen Häusern noch mit Kohle geheizt. Das sogenannte Bergmannsdeputat (125 Zentner Kohle pro Jahr) machte es möglich. Dabei arbeiteten viele ehemalige Mülheimer Bergleute damals schon bei den Mannesmannröhrenwerken, die ab 1970 durch das deutsch-sowjetische Erdgasröhrengeschäft eine Hochkonjunktur mit rund 15.000 Arbeitsplätzen erlebte.

Erstaunlich progressiv

Hugo Stinnes und August Thyssen, die Mülheimer Industriellen, die 1898 zusammen mit dem Bankier Leo Hanau den Mülheimer Bergwerksverein gegründet hatten und in seinem Auftrag die heutige Mausersiedlung errichten ließen, waren bekanntermaßen Gewerkschaftsfresser, auch wenn Hugo Stinnes 1918 mit dem Gewerkschaftsführer Carl Legien für die deutschen Arbeitgeber ein Abkommen aushandelte, das die Gewerkschaften als Tarifpartner und als Vertretung der Arbeiter anerkannte und der Einführung des Achtstundentages zustimmte, um damit im Gegenzug die Sozialisierung der deutschen Wirtschaft und damit die Enteignung der deutschen Unternehmer zu verhindern. Aber ihre Idee, als Arbeitgeber für ihre Arbeiter preiswerten Wohnraum zu schaffen, der sie ihren Arbeitsplatz fußläufig erreichen ließ, wirkt heute geradezu progressiv. Angesichts hoher Mieten und Lebenshaltungskosten würde man sich manchmal jene Unternehmer zurückwünschen, die es als ihre Pflicht ansahen, ihren Arbeitern, natürlich aus auch im eigenen Interesse, ein Dach über den Kopf zu verschaffen. Heute wissen wir, dass preiswerter Wohnraum, verbunden mit einem guten sozialen Umfeld, wie es die heutige Mauseganttsiedlung bietet, einen sozialen und wirtschaftlichen Standortvorteil darstellt, wenn es darum geht, in einer demografisch gewandelten Gesellschaft darum geht, Arbeitskräfte zu gewinnen und zu behalten.
 gewinnen und zu behalten.

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