Vor 100 Jahren starb der Mülheimer Industrielle Hugo Stinnes. Dass er am 10. April 1924 an den Folgen einer misslungenen Gallenblasenoperation im Alter von 54 Jahren sterben musste, zeigt Reichtum schützt vor Unglück nicht.
Reich wie Stinnes
"Reich, wie Stinnes!" oder: "Das walte Hugo!", waren auf dem Höhepunkt seines unternehmerischen Schaffens in Deutschland ein geflügeltes Wort. Seine Zeitgenossen sahen den 1870 in Mülheim geborenen Hugo Stinnes als "den König an der Ruhr" und sagten ihm nach: "Er kauft Unternehmen, wie andere Leute Briefmarken." Tatsächlich war Stinnes ein geschickter Sanierer, der auch marode Unternehmen wieder auf Gewinnkurs bringen und so einen vertikal und international organisierten Mischkonzern mit mehr als 4500 Unternehmen und rund 3000 Betriebsstätten aufbauen konnte.
In seinem Todesjahr beschäftigte Hugo Stinnes, der sich selbst als "Kaufmann aus Mülheim" bezeichnete, 600.000 Menschen. Doch auf seinem Sterbebett warnte er seine Erben: "Meine Kredite sind Eure Schulden!" Doch sein namensgleicher Sohn und Nachfolger an der Spitze des Stinnes-Konzern schlug die Mahnung des Vaters in den Wind, sich auf das Kerngeschäft, den Kohlenhandel und die Kohlenförderung zu beschränken und alle anderen Unternehmen des Konzerns zu verkaufen.
Schon im Jahr nach dem Tod von Hugo Stinnes geriet sein Konzern in finanzielle Schieflage und unter die Kontrolle amerikanischer Geldgeber.
In den Fußstapfen seines Großvaters
Zufall der Geschichte. Hugo Stinnes wurde genauso alt, wie sein Großvater Mathias Stinnes, der 1845, ebenfalls mit nur 54 Jahren gestorben war. Ebenso wie sein Großvater, der sein Geld als Kohlenhändler, Zechenbesitzer und Reeder verdient hatte, gehörte sein Enkel dem Mülheimer Stadtrat an und war mit seinem Mülheimer Industriellen Kollegen August Thyssen der größte Steuerzahler der Stadt.
Mit August Thyssen und dem Mülheimer Bankier Leo Hanau gründete Stinnes 1897 den Mülheimer Bergwerksverein und ließ ab 1899 die Colonie Wiesche errichten, in der die Bergleute der gleichnamigen Heißener Zeche und deren Familien ein Zuhause fanden. "Der Arbeiter muss sich auch zuhause wohlfühlen, damit er seine Arbeit gut und gerne tut", wusste Hugo Stinnes. Und er wusste auch, dass Werkswohnungen mit Gärten, Ställen und Höfen ein probates Mittel waren, um Arbeiter an ihren Arbeitgeber zu binden und sie von überzogenen Lohnforderungen, Streiks und gewerkschaftlichem Engagement abzuhalten.
Der Pragmatiker und Pionier
Stinnes kannte den Arbeitsalltag der Bergleute. Im Rahmen seiner kaufmännischen und bergbautechnischen Ausbildung war er 1890 selbst als Bergmann auf Wiesche eingefahren. Von ihm ist auch die Selbsterkenntnis überliefert: "Wäre ich als Arbeiterkind geboren, wäre ich wahrscheinlich ein Arbeiterführer geworden." Zu dieser Erkenntnis gehörte auch sein Engagement als Stipendiengeber für begabte, aber materiell minderbemittelte junge Menschen.
Doch Hugo Stinnes war Spross einer Unternehmerfamilie und hatte die Ambition, als Unternehmer Großes zu leisten. Dabei war Pragmatismus sein prägender Wesenszug. Seine Ausbildung und sein Studium in Mainz und Berlin brach er ab, als er den Eindruck gewonnen hatte, alles gelernt zu haben, was er als Unternehmer wissen müsse.
In atemberaubender Dynamik wuchs sein 1892 mit einem Mitarbeiter gegründetes Unternehmen zu einem branchenübergreifenden und internationalen Konzern heran. Mit August Thyssen war er 1898 maßgeblich an der Gründung des bis heute bestehenden und für seine Anteilseigner gewinnbringenden Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk beteiligt.
Auch politisch war Stinnes, der von 1918 bis 1924 dem Deutschen Reichstag angehörte, ein Pragmatiker. Als Nationalliberaler lehnte er bis zum Ende des Deutschen Kaiserreiches die Gewerkschaften ab, weil er sich von ihnen in seiner unternehmerischen Handlungsfreiheit beschnitten sah. Doch unter dem Eindruck der Novemberrevolution von 1918 schloss er sich der von Gustav Stresemann gegründeten national- und wirtschaftsliberalen Deutschen Volkspartei an und wurde zum Verhandlungsführer der deutschen Arbeitgeber, um mit den Gewerkschaften einen historischen Kompromiss auszuhandeln.
Während die von Carl Legien angeführten Gewerkschaften auf die Sozialisierung der Wirtschaft und damit auf die Enteignung der Unternehmer verzichteten, erkannten Stinnes und seine Arbeitgeberkollegen die Gewerkschaften als Tarifpartner und damit als legitime Vertretung der Arbeitnehmer an. Hinzu kam die von den Gewerkschaften schon lange geforderte Einführung des Achtstundentages.
Umstrittener Unternehmer und Politiker
In seiner letzten Lebensphase war Hugo Stinnes, der sich auch in die Reparationsverhandlungen mit den alliierten Siegermächten des Ersten Weltkrieges einschaltete, politisch umstritten.
In der Kritik stand Stinnes als "Inflationskönig", der seinen kreditabhängigen Konzern im Hyperinflationsjahr 1923 konsolidieren konnte. Kritisiert wurde aber auch seine politische Nähe zu den Putschisten Wolfgang Kapp, dem er auf seinem schwedischen Landgut Asyl gewährte und mit dem Weltkriegsgeneral Erich Ludendorff, dessen gemeinsamer Putschversuch
Auch wenn 100 Jahre nach dem Tod von Hugo Stinnes sein einstiger Weltkonzern Wirtschaftsgeschichte ist, wirken die aus der Familie Stinnes hervorgegangenen Stiftungen als Geldgeber für soziale und kulturelle Zwecke bis heute in unserer Stadtgesellschaft segensreich. Mehr über Hugo Stinnes
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