Mittwoch, 26. April 2023

Ein Zeitungsmann erinnert sich

 „Bei uns zuhause lag die Zeitung immer auf dem Tisch!“

Ein Zeitzeugengespräch mit dem langjährigen Lokalredakteur Frank-Rainer Hesselmann.

Der Saarner Frank-Rainer Hesselmann (Jahrgang 1959) hat als Lokalredakteur 42 von 75 WAZ-Jahren miterlebt und mitgestaltet. Im Gespräch mit der Lokalredaktion lässt er den Wandel der Zeitung im Wandel der Zeit Revue passieren.

Wie kamen Sie zur WAZ?

FRH: Sie lag bei uns zuhause immer auf dem Tisch und hat mir in der Schule bei Referaten und Facharbeiten geholfen, weil sie mir Informationen bot, die in keinem Schulbuch standen. Nach meinem Abitur am Karl-Ziegler-Gymnasium und während meines Geschichts,- Politik- und Jurastudiums habe ich ab 1980 zunächst als freier Mitarbeiter und Volontär und dann als Redakteur in der Lokalredaktion mitgearbeitet. Der Titel meines ersten Artikels lautet: „Pfarrfest in Mintard beginnt mit leichtem Antrinken“.

Und wie ging es dann weiter?

FRH: Später habe ich vor allem über Stadtplanung und öffentlichen Nahverkehr, aber auch über Menschen von Nebenan geschrieben. Reportagen von Baustellen und aus der Arbeitswelt waren stets eine Horizonterweiterung auf vielen Seiten.

Welche Geschichte bleibt Ihnen unvergesslich?

FRH: Mit einer Tagesreportage im Saarner Flüchtlingsdorf an der Mintarder Straße habe ich 2015 bei unserer Leserschaft eine breite Resonanz gefunden und konnte viele Ängste und Vorurteile abbauen und nebenbei einem syrischen Augenarzt eine Arbeitsstelle bei meinem Augenarzt besorgen.

Welche Geschichte hätten Sie lieber nicht geschrieben?

FRH: Die über den Flugzeugabsturz in Menden, bei dem am 8. Februar 1988 21 Menschen ihr Leben verloren. Ich war als einer der Ersten an der Absturzstelle und habe Bilder gesehen, die man nicht sehen möchte. Aber da muss man durch und seine Chronistenpflicht erfüllen. Das ist unser Job.

Wie sah Lokaljournalismus vor 40 Jahren aus?

FRH: Ich habe meine ersten Texte noch mit der Schreibmaschine auf Manuskriptpapier geschrieben. Das ging langsam, aber wir haben weniger Fehler gemacht und hatten mehr Zeit. Außerdem hatten wir Setzer und Schlussredakteure, die so manchen Fehler aus der Zeitung geholt haben. Sie haben uns auch schon mal gesagt: „Das versteht doch keiner. Schreibt das mal neu.“ Diesen fruchtbaren Austausch hat die Computer- und Bildschirmarbeit wegrationalisiert. Damals durfte ein Kommentar auch schon mal 200 argumentative Zeilen lang sein. Die Fotos wurden noch in der Dunkelkammer entwickelt und mit einem Laufzettel, per Kurier, in die Druckerei gebracht. Unser Internet war die auf der Schreibmaschine getippte Sondermeldung, die wir im Schaufenster unserer Geschäftsstelle an der Eppinghofer Straße ausgehängt haben oder ein aktueller Bericht, den wir telefonisch bis 23:30 Uhr an die Bezirksredaktion weitergeben konnten. Wir waren damals mehr Leute in der Redaktion und mit den Fotografen öfter unterwegs. Wer in der Lokalredaktion arbeitete, der wohnte auch in Mülheim, war in der Stadt bekannt wie ein bunter Hund und wurde von seinen Nachbarn auf seine Geschichten und mögliche Themen für die Lokalausgabe angesprochen. Der Lokalteil hatte in der Spitze bis zu acht Seiten. Samstags war der Anzeigenteil dreimal so dick wie die eigentliche Zeitung.

Was macht einen guten Lokaljournalisten aus?

FRH: Er ist intensiver Beobachter des Geschehens, gehört aber nie dazu. Er hat viele Kontakte, die er aber nicht missbraucht. Er weiß viel, schreibt aber nicht alles, was er weiß, weil er weiß, welche Informationen sofort raus müssen und welche noch Zeit brauchen, um zu reifen. Er ist fair und schaltet sein Hirn ein, bevor er schreibt. Er lässt sich auch aus dem Rathaus nicht zensieren und springt nicht auf jeden Themenvorschlag an, mit dem Menschen an ihn herantreten, die mit sich und der Welt unzufrieden sind und sich deshalb in der Zeitung sehen wollen. Er muss Gutes loben und Missstände klar aufdecken können.

Wie sehen Sie die Zukunft der Mülheimer WAZ?

FRH: Ich hoffe sehr, dass die gedruckte WAZ uns noch lange erhalten bleibt. Zeitungsseiten haben viel mit Größe zu tun. Bildschirmlesen mit Marmeladenfingern geht nicht. Die WAZ hat in Mülheim eine Zukunft, wenn sie vor Ort Sprachrohr der Leute bleibt und sie ernst nimmt, wenn sie fair berichtet und wenn sie in ihre journalistische Qualität investiert.

Welche Schlagzeile würden Sie gerne im Lokalteil lesen?

FRH: Die Straßenbahn fährt wieder nach und durch Saarn. Das wäre ein guter Beitrag zum Klimaschutz und zur Mobilitätswende. Denn eine Straßenbahn kann doppelt so viele Menschen transportieren wie ein Gelenkbus und zigmal mehr als ein Auto. Heute sind Autos doch keine Fahrzeuge mehr, sondern Stehzeuge. Überall steht Blech im Weg und verschandelt die Landschaft. Autofahrer verdrängen Radfahrer und Radfahrer verdrängen Fußgänger. Miteinander und Lebensqualität sehen anders aus. Man stelle sich die Aufenthaltsqualität vor, die zum Beispiel auf einer autofreien Düsseldorfer Straße im Saarner Dorf möglich wäre. 


Mülheimer Presse

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