Montag, 15. August 2022

Ordnung muss sein

 Wie arbeitete die Polizei anno dazumal in Mülheim? Der Mülheimer Polizeibeamte und Polizeiwissenschaftler, Dr. Frank Kawelovski, hat es in seinem neuen Buch "David, bitte kommen! - Die Geschichte der Polizei in Mülheim an der Ruhr auf 488 reich bebilderten Seiten beschrieben, Der Rückblick auf mehr als 200 Jahre lokaler Polizeigeschichte ist im Rahmen eines Forschungsprojektes an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW entstanden. Die Hochschule, an der auch Kawelovski lehrt, ist noch bis Ende August mit einer Außenstelle an der Dümptener Straße in Styrum vertreten.

Das Buch, das für 18,90 Euro beim Autor (per E-Mail an: kawelovski@online.de) und im örtlichen Buchhandel erhältlich ist, erzählt wie aus einer Handvoll von Polizeidienern und Polizeiserganten eine schlagkräftige Polizeibehörde erwuchs, deren Mitarbeiterzahl im 20. Jahrhundert dreistellig wurde. Kawelovski schildert die Entwicklung des Mülheimer Polizeiapparates: "Im Kaiserreich kamen alles Polizeibeamte aus dem Militär. Bis 1922 waren die Bürger- und Oberbürgermeister qua Amt Vorgesetzte der Polizei. Erst während des Kaiserreiches wurden aus den schlecht bezahlten Polizei-Angestellten gutdotierte Polizeibeamte, die sich als Stellvertreter des Kaisers auf der Straße sahen.  Sie waren mit einem Säbel bewaffnet und riefen: 'Kerl, drei Schritte zurück, wenn ihnen ein Bürger zu nahekam und sie so in Gefahr gerieten, ihn nicht mehr auf Abstand halten zu können!"

Aufgerüstete Bürgernähe

Erst in der Weimarer Republik wurde die Polizei zum Freund und Helfer" der Bürger. Das entsprach zumindest dem Leitbild des damaligen sozialdemokratischen Innenministers Carl Severing. Die Wirklichkeit sah in den Jahren heftiger innenpolitischer Straßenkämpfe oft anders aus. "Die Polizei wurde während der Weimarer Republik aufgerüstet und erhielt unter anderem Maschinenpistolen, Handgranaten und Panzerwagen", erklärt Kawelovski.

In der NS-Zeit wurde die Polizei zum politisch gleichgeschalteten Macht- und Verfolgungsinstrument der NSDAP, die die Regimegegner verhaftete, das sogenannte Arbeits- und Erziehungslager am Flughafen leitete und bewachte, an der Deportation jüdischer Bürger mitwirkte und im Zweiten Weltkrieg als Polizei-Soldaten militarisiert wurden. 

"Es gab aber auch Leuchttürme bei der Mülheimer Polizei, wie den örtlichen Chef der Geheimen Staatspolizei, Karl Kolk und der Leiter der Schutzpolizei, Major Wilhelm Büttner", unterstreicht Kawelovski. Büttner verweigerte kurz vor dem Einmarsch der US-Truppen am 11. April, den Befehl, Polizeibeamte als letztes militärisches Aufgebot und als Sprengmeister der Mülheimer Brücken einzusetzen. Kolk spielte mit seinem Leben, weil er, anders als linientreue Gestapo-Kollegen und entgegen den Befehlen des damaligen deutschen SS- und Polizeichefs, Heinrich Himmler, zumindest vereinzelt Verfolgte und Regimegegner vor ihrer drohenden Verhaftung warnte, so dass sie rechtzeitig untertauchen konnten. Anders, als viele andere ihrer Kollegen, wurden Büttner und Kolk nach 1945 deshalb auch jeder Mitschuld an den NS-Verbrechen freigesprochen. Und zumindest Büttner konnte auch nach 1945 seinen Polizeidienst weiter versehen.

Schwerer Neuanfang

Nach Kriegsende stand die, zunächst nur mit Holzknüppeln bewaffnete Stadtpolizeiunter der Kontrolle der amerikanischen und ab Juni 1945 der britischen Militärregierung. Viele der neuen Ordnungshüter waren politisch unbelastet, aber auf ihre Aufgabe auch unzureichend vorbereitet. In den beiden ersten Nachkriegsjahren musste die örtliche Polizei gegen eine vor allem aus der Not heraus geborene Kriminalität ankämpfen. Dazu gehörten nicht nur der Schwarzmarkt und der Diebstahl von Lebensmitteln, Lebensmittelkarten Kleidung und Kohlen, sondern auch die Fahndung nach sogenannten "unbeschäftigten und arbeitsscheuen Männern", die sich der Trümmerbeseitigung entzogen oder die Aufnahme tödlicher Verkehrsunfälle mit technisch untauglichen Fahrzeugen und Schwarzfahrern, die beim Auf- und Abspringen unter die Straßenbahn kamen. Besonders problematisch für die Polizei waren in den Jahren 1945 bis 1947 Plünderungen, Überfälle und Morde, die von ehemaligen Zwangsarbeitern begangen wurden, die sich nach ihrer jahrelangen Qual zu Banden zusammengetan und mit Waffen aus alten Kriegsbeständen ausgerüstet hatten, um sich mit Gewalt zu holen, was sie zum Leben zu brauchen glaubten. 

"Eine Besonderheit der polizeilichen Nachkriegsgeschichte war die umstrittene Frage, ob die zunächst zum Oberhausener und seit 2007 zu Essen gehörende Polizeibehörde Mülheims ein eigenes Polizeipräsidium bekommen sollte. Ein Gebäude war bereits 1936 an der Von-Bock-Straße errichtet worden. Davor war die Mülheimer Polizei in der Hauptverwaltung der Deutschen Röhrenwerke an der Wiesenstraße Untermieterin gewesen", weiß Kawelovski zu berichten.

Und was war mit den Frauen bei der Mülheimer Polizei, die zwischen 1955 und 2007 eine eigenständige Polizeibehörde war, die 1983 sogar als Polizeipräsidium aufgewertet wurde. An dessen Spitze stand mit der Juristin Gisela Röttger-Husemann, von 1993 bis 2006 eine der ersten deutschen Polizeipräsidentinnen.  Kawelovski zeigt anhand der Weiblichen Kriminalpolizei, die seit der Weimarer Republik vor allem dann gerufen wurde, wenn Kinder, Jugendliche und Frauen straffällig oder Opfer von Straftaten und sozialer Verwahrlosung geworden waren, bis zur ersten 1991 gleichberechtigt ausgebildeten und eingestellten Polizeibeamtin, Claudia Thomas. wie lange der Weg zur polizeiinternen Geschlechtergerechtigkeit war.


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