Sommerzeit ist Urlaubszeit. Es sei denn, die Corona-Pandemie oder das eigene Portemonnaie machen den Reiseplänen einen Strich durch die Rechnung. Die Mülheimer Eva Timm (Jahrgang 1926), Horst Heckmann (Jahrgang 1928) und Dieter Schilling (Jahrgang 1939) erinnern sich, passend zur Jahreszeit, im Gespräch mit dieser Zeitung an die Sommerferien ihrer frühen Jahre.
Der erste Urlaub, an den sich Eva Timm erinnern kann, führte
sie, ihre Eltern und ihren sieben Jahre älteren Bruder im Sommer 1932 nach
Westerland auf Sylt. „Westerland und Sylt waren damals nicht so mondän, wie
heute“, erinnert sich Timm. Doch ein Blick in ihr Familienalbum zeigt die vier
Timms, wie sie denkbar elegant gekleidet, über Westerlands Strandpromenade
flanieren. Gleich daneben sieht man die kleine Eva mit anderen Kindern an einem
Tisch auf der Strandpromenade, an der sich der damalige Boxweltmeister Max
Schmeling mit seiner Entourage niedergelassen hatte. „Meine Eltern standen
nachts auf, um ihm die Radioreportage über Schmelings Titelkämpfe in den USA zu
hören“, weiß Timm. Ein drittes Foto, zeigt die sechsjährige Eva mit ihrer
Mutter vor einem Friesenhäuschen.
Doch schon ein Jahr später, war für Familie Timm an einen
Sommerurlaub auf Sylt nicht mehr zu denken. Der Vater, der als Maßschneider ein
Tuchgeschäft betrieb, starb 1933. Jetzt musste die Mutter ihre beiden Kinder als
Handelsvertreterin einer Modefirma durchbringen. „Erst als meine Mutter 1936
wieder heiratete und ich den besten Stiefvater der Welt bekam, konnten wir im
Sommer wieder reisen, zum Beispiel nach Österreich oder wieder nach Westerland“,
erzählt Timm. Doch auch in den Sommerwochen der Jahre 1933 bis 1935 bekam die
kleine Eva etwas von der großen Welt zu sehen. Ein Hausmädchen ihrer Mutter
nahm sie im Sommer auf ihren Heimaturlaub mit aufs Land nach Pommern. „Das habe
ich sehr genossen. Da waren viele andere Kinder, mit denen ich die Kühe gehütet
habe. Und mittags aßen wir an einem Tisch, auf dem eine große Schüssel stand,
aus der wir uns mit einem Löffel bedienen durften“, blickt Timm zurück. Und
dann fällt ihr auch noch ein, „dass ich einmal von einem verheirateten, aber
kinderlosen Onkel ins polnische Lodz eingeladen wurde, wo die beiden mich nach
allen Regeln der Kunst verwöhnt haben.“
Horst Heckmann, der als Sohn einer bei Thyssen verdingten Stahlarbeiterfamilie,
in Heißen aufgewachsen ist, konnte von solchen Urlaubsreisen im Sommer als Kind
nur träumen. Den ersten Urlaub seines Lebens erlebte Heckmann als Achtjähriger
mit einer 19-jährigen Cousine im Sauerland. „Ich habe damals zum ersten Mal
Kühe, dunkle Wälder und eine Tropfsteinhöhle gesehen. Das war für mich als
Junge aus dem Ruhrgebiet eine völlig neue und abenteuerliche Welt“, erinnert
sich Horst Heckmann, der heute in Styrum lebt.
In den späteren Sommern seiner Jugend, nahm Heckmann an den von
der Hitlerjugend organisierten Zeltlagern auf der Sternwiese in Selbeck teil
oder half bei Kartoffelernte in der Lüneburger Heide. „Wir wurden bei
Geländespielen, aber auch mit Leichtathletik oder beim Fuß- und Handball auf
dem RSV-Platz in Heißen sportlich richtig rangenommen. Abends haben wir am
Lagerfeuer Volks- und NS-Lieder gesungen“, berichtet Heckmann. Wie der Bericht
aus einer anderen Welt erschienen ihm die Erzählungen eines bei der NSDAP
aktiven Nachbarn, der mit der NS-Organisation „Kraft durch Freude“ eine
Italien-Kreuzfahrt unternommen hatte. Erst im beginnenden Wirtschaftswunderjahren
hatten Horst Heckmann und seine spätere Frau 1952 wieder Zeit für einen Sommerurlaub.
Bevor das damals unverheiratete Paar mit einer Lambretta zu ihrer Mosel-Tour
aufbrachen, kauften sie sich Ringe, um sich auf Reisen als Ehepaar ausgeben zu
können. Denn damals galt noch der 1876 erlassene Kuppelei-Paragraf, der es Hoteliers
verbot, unverheirateten Paaren ein Zimmer für die Nacht zu vermieten.
Obwohl ein gutes Jahrzehnt jünger als Horst Heckmann, verbrachte der in Halle an der Saale geborene Dieter Schilling die Sommerferien seiner Kindheit ganz ähnlich. Statt der NSDAP und der Hitler-Jugend, organisierten die Thälmann-Pioniere und die Freie Deutsche Jugend (FDJ) im Auftrag der DDR-Staatspartei SED Ferienlager für Kinder und Jugendliche. „Die Kommunisten haben uns ähnlich wie die Nazis mit Wanderungen, Sport und gemeinsam am Lagerfeuer gesungenen Arbeiterliedern gefangen. Wir übernachteten während einer Nachtwanderung in einer Scheune und ansonsten in einem Zeltlager, das aus Militärzelten bestand“, erinnert sich Schilling. Seine Feriengenossen und er schliefen nachts auf Strohsäcken und wurden tagsüber mit Nudel- und Puddingsuppe, nebst Roggenbrötchen, versorgt. „Meinen ersten richtigen Urlaub erlebte ich im Sommer 1955, als ich mit vier Kollegen, die mit mir ihre Maschinenschlosserlehre abgeschlossen hatten, mit dem Zug und mit Zelten und Fahrrädern an die mecklenburgische Ostseeküste gereist bin. Wir haben damals auf unserer Radtour unter anderem in Plau am See und an den Kreidefelsen auf Rügen gezeltet“, berichtet Schilling. Die eigens eingepackten Beutelsuppen dienten als Reiseproviant, ergänzt durch vor Ort gekaufte Brötchen und Wurst. Unvergesslich bleibt ihm ein Zeltstopp auf einem Rügener Campingplatz in Breege, der, was die fünf jungen Schlosser aber nicht wussten, unmittelbar an einem FKK-Strand lag. „Als wir morgens aufwachten und beim Blick aus unseren Zelten lauter nackte Menschen rund um uns herum sahen, trauten wir uns erst gar nicht heraus.“ Doch dann stellten sich Dieter und seine Kollegen den nackten Tatsachen und spielten, wie Gott sie geschaffen hatte, mit ihren unbekleideten Strandgenossen stundenlang in der Sonne Volleyball, was sie auf ihrer weiteren Tour-Etappen mit einem schmerzhaften und langen anhaltenden Sonnenbrand zu spüren bekamen.
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