Mittwoch, 1. Januar 2014

Helfen macht Freude und hilft zu leben: Warum sich Menschen ehrenamtlich engagieren: Eine Spurensuche

„Willst du froh und glücklich leben, lass kein Ehrenamt dir geben. Willst du nicht zu früh ins Grab, lehne jedes Amt gleich ab.“ Gott sei Dank denken nicht alle so, wie einst Wilhelm Busch. Denn jedes Jahr vermittelt das an der Wallstraße 7 ansässige Centrum für bürgerschaftliches Engagement (CBE) 300 bis 500 Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren wollen. Besonders stolz ist CBE-Geschäftsführer Michael Schüring auf die 62 Mülheimer, die mit Hilfe des CBEs in denen letzten sieben Jahren eigene ehrenamtliche Projekte auf den Weg gebracht haben, die bis heute positiv in die Stadtgesellschaft hineinwirken. Ihr Spektrum reicht vom Reparaturservice Heinzelwerker über Caféhauskonzerte (Kultur in Mülheim) bis hin zur unentgeltlichen Kinderbetreuung durch die Lila Feen.
Doch warum engagieren sich Menschen ehrenamtlich und unentgeltlich? Warum ist das Ehrenamt für sie Lust statt Last? Für die NRZ fragte ich sechs Mülheimer, die sich jetzt im CBE-Kurs „Erfahrungswissen für Inititiativen“ von Gabriele Strauß-Blumberg schulen ließen, um professioneller ehrenamtlich arbeiten und ein eigenes Projekt auf die Beine stellen zu können. Sie erklären, warum sich das Ehrenamt für sie auch ohne Geld lohnt und auszahlt. CBE-Geschäftsführer weiß auf jeden Fall aus seiner Arbeit mit und für Menschen, die sich freiwillig un unentgeltlich für ihre Nächsten engagieren: "Menschen, die sich mit und für andere Menschen ehrenamtlich engagieren, genießen das gute Gefühl: Hier gehöre ich dazu. Hier fühle ich mich wohl.“

Einige persönliche Beispiele:


Werner Große (71) war im Berufsleben Wirtschaftsingenieur und Unternehmensberater. Als Ruheständler, möchte er einen Gesprächskreis in Mülheim (GIM) etablieren, der sich ab 30. Januar alle acht Wochen im Centrum für Bürgerschaftliches Engagement an der Wallstraße 7 über aktuellen Themen austauscht.

Warum? Das erklärt er so: „Ich möchte einen Kreis interessierter Bürger schaffen, die Freude daran haben, sich mit einem aktuellen Thema auseinanderzusetzen und dabei auch ihre geistige Fitness zu schulen. Es geht mir aber auch darum, in diesem Kreis, an dem auch gerne jüngere Menschen teilnehmen können, persönliche Bekanntschaften und Vertrautheit zu entwickeln. Mir selbst macht es Spaß, mich mit gesellschaftlichen Themen auseinanderzusetzen und dabei einen weiten Bogen zu schlagen, um begierig die weitere Entwicklung unserer Gesellschaft zu verfolgen. Ich habe aber nicht nur Lust auf geistige Auseinandersetzung, sondern auch auf soziale Kontakte. Eine Gemeinschaft zu finden, in der ich beides erleben kann, ist für mich ein Glücksgefühl und eine echte Bereicherung meines Lebens. Nachdem ich jetzt schon seit zehn Jahren als Bildungspate junge Menschen begleitet habe, reizt es mich jetzt, mit einem Gesprächskreis Kontakte zu den Menschen aufzubauen, die meinem Lebensalter nahe sind und zusammen mit meinen Mitsreitern Helmut Pust und Heribert Gorzawski eine Gesprächsrunde zu initieren, die nicht nur geistige Anregung, sondern auch Nähe und Überschaubarkeit schafft.“ 

Nach ihrem Berufsleben als Deutsch- und Geschichtslehrerin am Gymnasium Heißen möchte Ingrid Biermann (62) mit ihrer Kollegin Ingrid Pust (65), die als Gesamtschullehrerin Mathematik unterrichtet hat und einer noch zu findenden Englischlehrerin an einer weiterführenden Schule eine „Förderfeuerwehr“, die zeitlich befristet akut versetzungsgefährdeten Schülern helfen will, das Klassenziel zu erreichen.

Warum sie nach der Schule weiter Schülern helfen will, erklärt die Pädagogin so: „Es gibt für mich kein tolleres Gefühl, als das, Menschen etwas beizubringen, was sie vorher noch nicht konnten oder wussten. Ich kann Menschen Wissen vermitteln und fände es echt schlecht, wenn mein Erfahrungsschatz als Lehrerin verloren ginge. Dabei begreife ich meine ehrenamtliche Arbeit nicht als unentgeltliche Konkurrenz zur dauerhaften Nachhilfe, sondern nur als schnelle und zeitlich befristete Ad-Hoc-Hilfe. Mein ehrenamtliches Engagement ist für mich ein Stück Lebensqualität. Denn wenn man nicht mehr im Berufsleben steht, bricht einem ein ganzes Umfeld plötzlich weg und der Tag ist nicht mehr ausgefüllt. In der Stadt zu gucken, welche Klopapier gerade im Sonderangebot zu haben ist, ist für mich nicht gerade die Erfüllung. Durch meine ehrenamtliche Arbeit erhoffe ich mir Anregungen zu bekommen, die über das Lesen und die Gespräche mit meinem Mann hinausgehen und so meine geistige Beweglichkeit trainieren und langfristig erhalten.“

In seinem Berufsleben war Hermann Gerritzen (74) als Elektrotechniker für ein großes deutsches Unternehmen mit dem Schwerpunkt Förder- und Antriebstechnik auch jenseits der deutschen Grenzen in Maschinenfabriken tätig. In Holland lernte er die Idee eine Reparaturcafès kennen, in dem handwerkliche Laien mit Hilfe von Fachleuten ihre defekten Geräte reparieren können. Warum er zusammen mit einem Radio- und Fernsehtechniker auch in Mülheim solch ein ehrenamtlich arbeitendes Reparaturcafè etablieren möchte, das voraussichtlich ab Januar 2014 einmal pro Monat, jeweils an einem Samstagvormittag, im Medienhaus öffnen soll, erklärt er so: „Ich habe eine detektivische Veranlagung. Deshalb hat mir die technische Fehlersuche immer schon Spaß gemacht. Ich freue mich darauf, anderen Menschen dabei zu helfen, ihre Elektrogeräte zu reparieren und damit auch im Sinne des Umweltschutzes Rohstoffe einsparen zu können. Bei meinem Projekt geht es mir nicht nur um die Technik, sondern auch darum soziale Kontakte zu knüpfen. Denn wenn Leute unter Anleitung von Experten ihr elektrischen Geräte reparieren können, werden sie im Reparaturcafé bei Kaffee und Plätzchen auch miteinander ist Gespräch kommen können. Ich selbst kann durch mein ehrenamtliches Engagement für das Reparaturcafé wieder analytisch tätig werden und so verhindern, dass meine im Berufsleben erworbenen Fähigkeit verkümmern.“ 

Urusla Müller (64) hat in ihrem früheren Berufsleben unter anderem als Chefsekretärin in der Bauindustrie gearbeitet, ehe sie sich zur Yoga-Lehrerin ausbilden ließ. Ihr professionelles Wissen gibt sie jetzt auch gerne ehrenamtlich an Schüler und Lehrer weiter und sorgt damit in der Schule am Hexbachtal für ein enrspanntes Klima. Warum sich ihre unentgeltliche Arbeit für sie auszahlt, erklärt Müller so: „Ich freue mich über die Anerkennung, die meine Arbeit bekommt. Ich bekomme sofort eine Rückmeldung und kann selbst sehen, wie schön Yoga auf allen Ebenen wirkt. Ich habe das gute Gefühl, mit einer Arbeit Stress und die Gefahr von Burnout aus der Welt zu räumen. Ich weiß aus meiner eigenen Erfahrung, wie Yoga die ganze Persönlichkeit mit Körper, Geist und Seele und die persönliche Selbstreflektion stärken und weiterentwickeln kann. Deshalb ist mir Yoga auch zu einem Lebensinhalt und einer Lebensaufgabe geworden. Wenn ich meine Yogaarbeit nicht hätte, würde ich mich, wie in einem leeren Raum fühlen.“

Die im Vorruhestand lebende Gudrun Schwierczke (63), die zu ihrem Berufsleben nichts sagen oder in der Zeitung lesen will, möchte ab Frühjahr 2014 in einer Dümptener Schule im Zwei-Monats-Rhythmus mit alten und junge Menschen gemeinsam aktiv werden und so den Dialog der Generationen anregen. Mieinander sprechen, gemeinsam Bilder anschauen, Lieder singen oder lesen und vorlesen, kann sie sich für den Auftakt vorstellen. Langfristig sollen die Teilnehmer des regelmäßigen Generationengesprächs aber auch selbst entscheiden, was sie miteinander machen wollen. Warum sie sich ehrenamtlich für einen Gedankenaustausch der Generationen stark machen will, erklärt Schwierzke so: „Es fällt mir schwer, meine Motiavtion in Worte zu fassen. Ich bin immer noch energiegeladen und möchte mit meiner Zeit etwas sinnvolles anfangen. Im Alltag erlebe ich immer wieder, dass Junge sagen: „Ach, die Alten“ und die Alten schimpfen: „Ach, die Jungen.“ Deshalb möchte ich mit einem Treffpunkt der Generationen dazu beitragen, dass junge und alte Menschen ihre Potenziale besser kennen lernen und sich dadurch mit mehr Achtung und Wertschätzung begegnen. Es ist mein Traum, bei den regelmäßigen Treffen und Aktivitäten in die leuchtenden Augen junger und alter Menschen zu schauen und daraus selbst Kraft, Lebensfreude und Lebensqualität zu schöpfen.“

Warum der selbstständige, aber zurzeit arbeitssuchende Rohrleitungsexperte Andreas Dudlik (50) jede Woche ein bis zwei Stunden im Altenheim am Kuhlendahl, alte Menschen besucht, die sonst keinen Besuch bekommen und dabei auch seine Gitarre mitbringt, um mit ihnen zu singen, erklärt er so: „Wenn ich Leute besuche, die keinen Familienanschluss mehr haben, um mit ihnen spreche oder sie im Rollstuhl durch den Park schiebe, merke ich immer wieder, dass es heute nichts besseres gibt, als Menschen Zeit zu schenken. Ich habe bei meiner ehrenamtlichen Arbeit gelernt, dass Geben im wahrsten Sinne des Wortes seliger ist als Geben, weil man viel Vertrauen und Lebensfreude zurückbekommt. Das stärkt auch das eigene Selbstvertrauen. Dieses Vertrauen führt auch dazu, dass man sich selbst nicht mehr ganz so wichtig nimmt und der alltällglich Stress einen nicht mehr so mitnehmen kann. Das ehrenamtliche Engagement kann den eigenen Blick öffnen und eine Hilfe sein, in seinem Leben einen sinnvollen Weg zu gehen und die richtigen Schwerpunkte zu setzen.“

Dieser Beitrag erschien am 24. Dezember 2013 in der Neuen Ruhr Zeitung


Weintere Informationen im Internet unter: www.efi-mh.de und www.cbe-mh.de

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