Mittwoch, 25. Dezember 2013

Eine frohe Botschaft von der Basis: Was dürfen wir heute noch glauben und hoffen? Warum der Seelsorger Michael Clemens die Zukunft seiner Kirche überhaupt nicht pessimistisch sieht und seinen Mitchristen an der Ruhr deshalb Mut machen will

Die Kirche ändert sich und das nicht unbedingt zum Schlechteren. Das meint zumindest Pastor Michael Clemens. Der 64-Jährige Theologe, der 1981 zum Priester geweiht wurde, leitet als Seelsorger mit St. Engelbert in Mülheim-Eppinghofen seit 20 Jahren eine im besten Sinne multikulturelle Gemeinde, in der 5600 Menschen aus fast 100 Nationen zu Hause sind. Er blickt trotz Säkularisierung und Kirchenaustritten keineswegs pessimistisch in die Zukunft der Kirche an der Ruhr. Denn er glaubt an die erneuernde Kraft der Gemeindebasis und sagt deshalb selbstbewusst: Wir haben keinen Grund uns als Christen bange zu machen und ängstlich zu sein

??? Viele Menschen empfinden die Advents- und Weihnachtszeit als stressig, obwohl sie doch besinnlich sein sollte. Können Sie das nachvollziehen?

!!! Ja, natürlich. Wir haben jede Woche spezielle Adventsgottesdienste und treffen uns donnerstags zur Komplet. Auch die Sonntagsgottesdienste müssen auf den Advent abgestimmt werden. Und jede Gruppe in der Gemeinde hat ihre eigene Adventsfeier und erwartet die Präsens und eine anspruchsvolle Meditation des Pastors. Und die Weihnachtsgottesdienste mit Chor und allem drum und dran bringen natürlich auch viel Arbeit mit sich.

??? Wie lassen Sie dennoch in Ihren Adventsalltag so etwas wie Ruhe und Besinnung einkehren?

!!! Ich versuche abends eine Zeit zu finden, in der ich die Kerzen meines Adventskranzes anzünde und mir eine schöne Musik auflege. Das sind Rückzugsräume, die man einfach braucht.

??? In der Weihnachtszeit und zum Jahreswechsel schaut man zurück und nach vorne. Wie sehen Sie die Zukunft der Christen und ihrer Kirche an der Ruhr, in einer Zeit, in der ihr der Wind ins Gesicht blässt und viele Menschen ihr den Rücken zukehren?

!!! Das ist natürlich eine ganz leidvolle Erfahrung. Und wir können auch klar benenne, welchen Menschen, Kräften und Entwicklungen wir das zu verdanken haben. Gerade die Limburger Ereignisse haben fürchterlich ins Kontor geschlagen. Das können wir an allen Kollekten ablesen, auch wenn das tolle Auftreten unseres Papstes für viele Menschen das Ruder wieder herumgerissen hat. Ich weiß aus vielen Gesprächen, dass die Glaubwürdigkeit der Kirche zurzeit ein ganz brisantes Thema ist. Deshalb ist es entscheidend, dass Menschen vor Ort in den Gemeinden Menschen finden, die ihnen Kirche und Glauben glaubwürdig vermitteln. Denn wenn sie sich dort unbehaust fühlen, dann gehen sie und kommen vielleicht nicht wieder zurück.

??? Papst Franziskus fordert eine Kirche, die sich im Geiste des Evangeliums erneuert und aus sich herausgeht, um vor allem auf die Menschen zuzugehen, denen es nicht gut geht und die auf der Schattenseite des Lebens stehen. Sind das Impulse, die vor Ort ankommen?

!!! Auf jeden Fall. Man merkt schon an der Presseberichterstattung, dass die Leute wieder stärker daran interessiert sind, was sich mit der Kirche vor Ort ereignet und wie die Entwicklung weitergeht. Für mich gibt es kein Bangemachen. Die Kirche ist heute auch noch gefragt, wenn auch in ganz anderer Weise als früher. Der Papst bringt da frischen Wind rein und zeigt uns die Wurzeln auf, zu denen wir uns zurück bewegen müssen. Da brauchen wir gar nicht weit zu gehen. Denn wir haben in Essen einen Bischof, der seit eineinhalb Jahren voll und ganz in seinem Bistum angekommen ist. Er hat sich im Dialogprozess als ein glaubwürdiger Mensch erwiesen, der auf die Menschen zugeht und ihnen zuhört und damit nicht mehr der Vertreter einer Kirche ist, die den Leuten nur sagt, was sie zu tun und zu lassen haben.

??? Gibt es heute in den Gemeinden überhaupt noch eine Glaubensbasis, von der eine Erneuerung der Kirche ausgehen könnte?

!!! Ich glaube, dass wir noch eine gute Basis haben, wenn ich mir anschaue, wie viele Menschen hier Tag für Tag und Woche für Woche ehrenamtlich in der Gemeinde aktiv sind. Schauen Sie sich allein die Chöre an, die jede Woche proben und nicht nur an Weihnachten sehr anspruchsvoll das Lob Gottes singen. Das ist ehrenamtliche Schwerstarbeit. Auch die Verjüngung, die wir jetzt im Gemeinderat erlebt haben, stärkt in mir das Vertrauen darauf, dass nicht nur diese Gemeinde die Kraft hat, die Kirche von unten her zu erneuern.

??? Was muss Kirche leisten, um Zukunft zu haben?

!!! In erster Linie zuhören und hinschauen. Wir müssen bei den Menschen sein. Wir haben in der Vergangenheit viel zu sehr davon gelebt, dass wir uns selbst gefeiert und reproduziert haben. Das muss ein Ende finden. Natürlich bauen die erhebenden liturgischen Feiern Menschen auf. Entscheidend ist aber, ob wir an den Lebenswenden bei den Menschen sind. Hier zeigt sich, ob wir unsere sakramentalen Handlungen nur abspulen oder ob wir wirklich bei den Menschen sind, um ihre großen Ereignisse vorzubereiten und auf sie einzugehen.

??? Gerade an Lebenswenden muss sich Glauben bewähren. Oft wird Glauben aber auch gerade dann erschüttert. Warum können Sie persönlich glauben und Menschen in schwierigen Lebenssituationen den Glauben vermitteln?

!!! Ich glaube, weil ich es in meiner Familie gelernt habe, zu glauben und weil ich an meinen Großeltern und Eltern ablesen konnte, dass man ein Leben auf Gottvertrauen aufbauen kann. Das habe ich mitgenommen und das versuche ich weiterzugeben. Das ist das, was mich geprägt hat und was mich trägt. Und was ich in den letzten Jahren verstärkt gelernt habe, ist, dass Glauben eben nicht das Reproduzieren von Glaubenssätzen, Formeln und Dogmen ist. Glauben bedeutet vielmehr, dass man in seinem Innersten spürt: Wer war dieser Jesus Christus für unsere Zeit.

??? Wie kann man diesen Jesus von Nazareth denn ins Heute transportieren und vor allem für eine junge Generation erlebbar und begreifbar machen, die nicht mehr selbstverständlich mit christlichen Glaubensinhalten aufwächst?

!!! Das geht nur mit Menschen, die selbst glaubwürdig und von diesem Jeus Christus ergriffen sind. Das spüre ich immer wieder in Gottesdiensten, Gesprächen und bei persönlichen Kontakten. Wir werden da als Gemeinden eine ganze Menge tun und auf Menschen zugehen müssen. Aber das zwischenmenschliche Glaubenszeugnis ist und bleibt eben das Entscheidende.

??? Das Weihnachtsfest wird heute sehr stark kommerzialisiert. Wie kann man Menschen die Frohe Botschaft von Weihnachten näher bringen, die sich dem Glauben vielleicht entfremdet haben?

!!! Wir machen da ein sehr niederschwelliges Angebot. Wir haben eine zweigeteilte Familienchristmette. Die hat zunächst mal ein Krippenspiel mit vielen musikalischen Elementen zum Inhalt. Die ist in den letzten Jahren immer brechend voll. Die Menschen hören und sehen in einer halben Stunde die Weihnachtsgeschichte. Sie haben gebetet und fromme Lieder gesungen. Und wenn man sie dann mit einem Segen gehen lässt und ihnen das Gefühl gibt, dass das jetzt gut und für sie Weihnachten ist, dann kann das ein Anfang sein, dass wir Menschen, die der Kirche fern stehen, nah heranholen. Und die Menschen, die dann noch eine Eucharistiefeier haben wollen, bekommen diese natürlich auch.

??? Warum haben heute viele Menschen die Beziehung zu ihrem Glauben verloren und tun sich schwer aus dem Glauben heraus zu leben?

!!! Da müssen wir als Kirche und als Priester selbstkritisch und demütig sein. Ich glaube, dass hängt auch davon ab, ob wir als Religionsdiener von diesem Jesus Christus wirklich ergriffen sind und das dann auch in unserem Lebnsstil zum Ausdruck bringen. Der Papst kritisiert ja nicht ganz zu unrecht, dass viele Priester und Bischöfe einen Lebensstil pflegen, der eher großbürgerlich ist und deshalb keine Brücke zu den einfachen Leuten baut. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass man als Priester in einem guten Sinne volkstümlich bleibt.

??? Viele Menschen sehen eher pessimistisch in die Zukunft der Christen an der Ruhr. Was lässt Sie selbst für die Zukunft der Christen im Ruhrgebiet hoffen?

!!! Es gibt Momente, in denen man als Priester froh ist, dass man mal Theologie und Kirchengeschichte studiert hat. Denn aus dem Studium der Kirchengeschichte weiß ich, dass die Kirche Phasen, wie wir sie jetzt erleben, schon öfter durchlitten hat. Deshalb macht mich das gar nicht ängstlich. Ich glaube an die Kraft der Frohen Botschaft. Und jeder Mensch, der froh und gestärkt aus dem Gottesdienst nach Hause geht, ist für meine Brüder im Priesteramt und für mich selbst Balsam auf die Seele.

??? Gibt es auch für Sie als einen gestandenen Gottesmann Phasen des Zweifels?

!!! Natürlich habe auch ich solche Phasen durchlitten, vor allem dann, wenn ich mich von meiner Kirche ungerecht behandelt fühlte. Aber in diesen schwierigen Zeiten hat mich der Zuspruch, den ich aus der Gemeinde erfahren habe und das Studium der Heiligen Schrift immer wieder aufgebaut und mir nicht nur in Gottesdiensten und Gesprächen mit Gemeindemitgliedern das Gefühl gegeben; Es ist gut, dass wir zusammen Christen sind.

??? Wie sehen Sie die Zukunft der Kirche in einer zunehmend mulitkulturellen Region?

!!! Ich halte nichts von einem Multikulti-Gedöns, bei dem sich alle vermischen und wir uns gegenseitig andienen. Ich glaube, dass wir als Christen ganz klar unser Profil leben müssen, um einen Dialog mit anderen Kulturen und Religionen führen und bestehen zu können. Deshalb freue ich mich auch über christliche Zuwanderer, zum Beispiel aus afrikanischen Ländern, die ihren Glauben ganz anders leben und von denen wir eine Menge lernen können. Wenn ich unsere aus Afrika stammenden Gemeindemitglieder erlebe, sehe ich Menschen, die uns mit ihrer Glaubens- und Lebensfreude bereichern können. Da schaut niemand in der Heiligen Messe nach einer Stunde auf die Uhr, weil er meint: Jetzt müsse der Pastor aber mal zum Ende kommen, weil man für den lieben Gott keine Zeit mehr habe.

Dieses Interview erschien am 21. Dezember 2013 in der katholischen Wochenzeitung Ruhrwort

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