Montag, 16. Dezember 2013

John F. Kennedy als Parlametarier auf dem Capitol Hill: Ein Beitrag zum 50. Jahrestag der Ermordung des 35. US-Präsidenten

Als Präsident, dessen 1036 Tage im Weißen Haus, mit seiner Ermordung am 22. November 1963 auf tragische Weise endeten, so ist John F. Kennedy in die Geschichte eingegangen. Der Streit darüber, ob sein mutmaßlicher Mörder Lee Harvey Oswald ein Einzeltäter oder Teil einer Verschwörung war, scheidet bis heute die Geister der Gelehrten und historischen Spekulanten. Seine Amtszeit, die am 20. Januar 1961 auf den Stufen des Capitols mit der ambitionierten Aufforderung begann: „Frag nicht, was dein Land für dich tun kann, frag, was du für dein Land tun kannst“, bildete mit den Krisen in Berlin und Kuba den Höhepunkt des Kalten Krieges und setzte mit dem erst nach Kennedys Tod vom Kongress verabschiedeten Bürgerrechtsgesetz einen Meilenstein der amerikanischen Geschichte.

Doch bevor der damals 43-jährige John F. Kennedy nach einem der knappsten Wahlsiege der amerikanischen Geschichte auf den Stufen des Capitols seinen Amtseid als 35. Präsident der USA ablegte, hatte er bereits 14 Jahre als Parlamentarier hinter sich. Seine politische Karriere begann 1946. Damals bewarb sich der ehemalige Marineoffizier, der zuvor als Journalist für die konservative Herast-Presse über die britischen Unterhauswahlen, von der Potsdamer Konferenz und der Gründung der Vereinten Nationen berichtet hatte, im 11. Wahlbezirk seiner Heimatstadt Boston um einen Sitz im Repräsentantenhaus. Seine Kandidatur für die in Boston politisch tonangebenden Demokraten entsprach zunächst weniger seinem eigenen Antrieb, als den Ambitionen seines millionenschweren und politisch ehrgeizigen Vaters Joeseph P. Kennedy, der einen seiner Söhne ins Weiße Haus bringen wollte.

„Für das Geld, das ich in diesen Wahlkampf investiert habe, hätte ich auch meinen Chauffeur wählen lassen können“, spottete Joe Kennedy nach dem ersten Wahlsieg seines zweitältesten Sohnes, für den er auch eine professionelle Werbeagentur eingeschaltet hatte. Eigentlich hatte der Mann, der als amerikanischer Botschafter in Großbritannien vor dem Krieg selbst Politik gemacht hatte, seinen erstgeborenen Sohn Joseph junior für eine politische Karriere vorgesehen. Doch nach dem dieser als Luftwaffenpilot 1944 bei einem Einsatz über dem Ärmelkanal ums Leben gekommen war, trat sein zwei Jahre jüngerer Bruder John dessen Nachfolge an. Kennedy selbst sagte später: „Joe war der Star der Familie. Er machte alles besser, als wir anderen. Hätte er gelebt, wäre er in die Politik gegangen.“
Dabei war Jack, wie er von seiner Familie genannt wurde, nicht der erste Politiker namens Kennedy. Der Vater seiner Mutter, Rose, John F. Fitzgerald war in Boston zum Bürgermeister gewählt worden und der Vater seines Vaters, Patrick Joseph Kennedy, hatte dem Staatsparlament von Massachusetts angehört. Schon im ersten Wahlkampf, den John F. Kennedy führte spielte seine Familie eine entscheidende Rolle. Seine Eltern und seine damals noch acht Geschwister waren, wie selbstverständlich, Teil des Wahlkampfes. Der junge Kandidat schüttelte nicht nur an Straßenecken und in Arbeiterclubs Hände, sondern ließ auch bei den legendären Tea Partys, zu denen die Familie die Wähler in allen Wohnblocks des Wahlkreises einlud, seinen Charme spielen. In seinem ersten Wahlkampf, den der später liberale Demokrat Kennedy noch als „kämpfender Konservativer“ bestritt, war seine Geschichte als Kriegsheld, der als Kommandant eines amerikanischen Schnellbootes von den Japanern versenkt worden war, aber die meisten Mitglieder seiner Crew retten und später sicher nach Hause bringen konnte, sein wichtigstes politisches Kapital.
In seinem ersten Wahlkampf versprach Kennedy unter dem Slogan: „Die neue Generation bietet einen Führer“ , sich in Washington vor allem für mehr Wohnungen, mehr Industrieförderung, höhere Löhne, eine gesetzliche Krankenversicherung, Arbeitslosenhilfe  und mehr Arbeitsplätze einzusetzen und traf damit den Lebensnerv seiner Wähler, die sich nach dem Krieg eine zivile Existenz aufbauen mussten. Nachdem er im Juni 1946 die Vorwahlen der Demokraten mit einer relativen Mehrheit von 42 Prozent gewonnen hatte, stand seinem Einzug in den Kongress nichts mehr im Weg, da der vor allem von irisch und italienischstämmigen Arbeitern bewohnte Wahlbezirk eine Hochburg der Demokraten war und auch dem demokratischen Politikneuling Kennedy bei den Hauptwahlen im November 1946 eine Zweidrittelmehrheit bescherte.
Als Abgeordneter beschäftigte sich Kennedy in den Ausschüssen für Arbeit und Erziehung denn auch vor allem mit den Fragen, die seine Wähler in Boston interessierten und stützte die in der Tradition Roosevelts New Deal als Fair Deal fortgesetzte Sozial- und Wirtschaftspolitik seines Nachfolgers Harry S. Truman. Ebenso stimmte der Demokrat Kennedy im beginnenden Kalten Krieg für alles, von amerikanischen Militärhilfen bis zum Marschallplan, was dazu beitragen konnte, den kommunistischen und sowjetischen Einfluss in Europa einzudämmen. Innenpolitisch befürwortete Kennedy, der später Amerikas erster katholischer Präsident werden sollte, die staatliche Förderung katholischer Privatschulen. Sozialpolitisch trat er für Arbeitnehmerrechte ein, unterstützte die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn und einem sozialen Wohnungsbau. Er setzte sich für die staatliche Kontrolle von Mieten und Preisen ein, bekämpfte aber auch Korruption und kommunistische Einflüsse in den Gewerkschaften.
Im März 1947 stellte der Abgeordnete Kennedy in einer Rede fest: „Wen wundert es, wenn jeder Veteran, der die grenzenlose Verschwendung des Krieges und die scheinbar grenzenlose Produktivität, die das Verschwendete ersetzte, gesehen hat, es nicht verstehen kann, dass er kein Dach über dem Kopf hat.“

Nachdem er als Kongressabgeordneter 1948 und 1950 zweimal wiedergewählt worden war, kündigte er im April 1952 seine Kandidatur für den US-Senat an. Sein Wahlkampf gegen den republikanischen Senator Henry Cabot Lodge, war vor allem deshalb ein Wagnis, weil das Wahljahr 1952, von einer landesweiten Wechselstimmung geprägt war, weg von den seit 20 Jahren in Washington regierenden Demokraten, hin zu den Republikanern und ihrem populären Präsidentschaftskandidaten General Dwight D. Eisenhower. Die Wahlkampagne, in die die Kennedys rund eine halbe Million Dollar investierten, war die erste, die von seinem Bruder und späteren Justizminister Robert gemanagt wurde. Der Kandidat ließ keine Einladung im Neuenglandstaat aus, besuchte auch noch so kleine Orte und Vereine und präsentierte sich mit seiner Familie bei den bereits bewährten Tea Party. Der republikanische Amtsinhaber Cabot Lodge war so siegessicher, dass er erst einen Monat vor der Wahl in den Wahlkampf gegen Kennedy einstieg, während dieser seine Kampagne bereits 18 Monate vor der Wahl begonnen hatte. So siegte der Außenseiter Kennedy am Ende mit 70.000 Stimmen Vorsprung gegen den favorisierten Amtsinhaber Cabot Lodge. Als Senator setzte sich Kennedy ab 1953 vor allem für Gesetze ein, die die Fischerei, aber auch die für Masachusetts wichtige Textil- und Uhrenindustrie förderten. Und wie als Kongressabgeordneter, so sollte Kennedy auch als Senator die Stärkung der Arbeitnehmerrechte befürworten, aber auch Korruptionsfälle bei den Gewerkschaften bekämpfen. Er unterstützte aber auch den in seinem Heimatstaat umstrittenen Bau des Sankt-Lorenz-Schifffahrtskanals, der die Atlantikküste mit den Großen Seen verband und deshalb viele Hafenarbeiter und Eisenbahngesellschaften um Aufträge un d Arbeitsplätze fürchten ließ. . Noch viel umstrittener war aber, dass der Demokrat Kennedy im Dezember 1954 einer Abstimmung fernblieb, die die Exzesse des republikanischen Senators und Kommunistenjägers Joseph McCarthy tadelte. Sein Fernbleiben, das einer Stimmenthaltung gleichkam, nahm Rücksicht auf die Sympathien, die McCarthy nicht nur bei Kennedys Vater, sondern auch bei vielen konservativen Wählern in Massachusetts genoss und auf die Tatsache, dass sein Bruder Robert zeitweise als juristischer Berater in McCarthys Ausschuss gegen unamerikanische Aktivitäten mitgearbeitet hatte. Doch die Liberalen in der Demokratischen Partei kritisierten sein Verhalten als Oportunismus und Feigheit. Der Senator machte aus der Not eine Tugend. Er nutzte die Erholungsphase nach einem langen Krankenhausaufenthalt, um zusammen mit seinem kongenialen Rechtsberater und Redenschreiber ein Buch über amerikanische Kongressabgeordnete und Senatoren zu schreiben, die in schwierigen Situationen, allen Widerständen zum Trotz, allein ihrem Gewissen gefolgt waren. Das Buch erschien 1956 unter dem Titel „Profiles of Courage“ und später auch in deutscher Sprache unter dem Titel „Zivilcourage“. Es machte Kennedy landesweit bekannt und wurde sogar mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet. Auch wenn die große alte Dame der liberalen Demokraten, Eleonore Roosevelt, damals spottete: „Dem Autor würde weniger Profil und mehr Courage gut tun“, verschaffte das Buch Kennedy auf der nationalen Bühne der amerikanischen Politik Anerkennung und Profil. Er wurde beim Wahlkonvent der Demokraten 1956 als Bewerber für die Vizepräsidentschaftskandidatur gehandelt und zog 1957 in den einflussreichen Außenpolitischen Ausschuss des Senates ein. Dort setzte er sich unter anderem für eine Unabhängigkeit der französischen Kolonie Algerien und für eine Verstärkung der amerikanischen Raketenrüstung ein.


Dass Kennedy bei seiner Wiederwahl im November 1958 den Republikaner Vincente J. Celeste mit 875.000 Stimmen Vorsprung und einer flächendeckenden Mehrheit in allen Wahlkreisen seines Heimatstaates schlagen konnte, dokumentiert seine bis dahin gewonnene Popularität, die die Voraussetzung für seine Präsidentschaftskandidatur im Jahr 1960 bilden sollte. Zum Vergleich: Die Präsidentschaftswahl gegen den republikanischen Vizepräsidenten Richard Nixon konnte Kennedy im November 1960 mit einem Vorsprung von nur etwas mehr als 100.000 Stimmen gewinnen. Punktete Kennedy als Präsidentschaftskandidat in den Fernsehdebatten gegen Richard Nixon, so nutzte er das Fernsehen auch schon für seine Wiederwahl als Senator, indem er vor laufenden Kameras und im Kreis seiner Familie Zuschauerfragen beantworteten, die ihn per Telefon erreichten und damit ein Stück moderne Mediendemokratie vorführte.


Dieser Text erschien am 25. November 2013 in der Wochenzeitung Das Parlament


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