Sonntag, 16. Dezember 2012

Konrad Adenauer: Erinnerung an einen christlichen und sehr pragmatischen Vollblurpolitiker

„Was glauben Sie? Wie lange wird das mit dem Hitler dauern?“ fragte Konrad Adenauer einmal seinen katholischen Zentrumsparteifreund Rudolf Amelunxen, als dieser ihn im Kloster Maria Lach besuchte. Dort, wo ein Schulfreund als Abt amtierte, hatte der 1933 von den Nazis abgesetzte und bedrängte Kölner Oberbürgermeister zwischenzeitlich Zuflucht gefunden. Als sein Besucher, der nach dem Krieg erster Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens werden sollte, Adenauer antwortete, er gehe von zehn bis zwölf Jahren aus, meinte der Endfünfziger: „Dann werde ich zu alt sein, um noch einmal anzufangen.“


Wir wissen es heute besser. Adenauer sollte sich gründlich irren. Der Höhepunkt seiner politischen Karriere, die ihm nach der Machtübernahme der Nazis beendet schien, sollte erst noch kommen. Im September 1949 sollte ihn der Bundestag mit einer Stimme Mehrheit, seiner eigenen, zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland wählen. In einer Zeit des allgemeinen Jugendwahns, in der Über-50-Jährige auf dem Arbeitsmarkt als nicht mehr vermittelbar und reif für den Vorruhestand gelten, tut es gut, sich daran zu erinnern, das der politische und wirtschaftliche Wiederaufbau und Wiederaufstieg von einem Bundeskanzler mit bewerkstelligt wurde, der sein Amt mit 73 Jahren antrat und erst 87-jährig wieder verlassen sollte.

Unabhängig davon, wie man die Details seiner Politik von Westintegration bis Wiederbewaffnung bewerten mag: Adenauers an Höhen und Tiefen reicher Lebensweg beeindruckt als Beispiel für Beharrlichkeit, die sich von keinem Schicksalsschlag aus der Bahn werfen ließ. Obwohl alles andere als ein Heiliger, gibt es zahlreiche Äußerungen, in denen deutlich wird, dass Adenauer aus dem geistigen Kraftquell des Christentums schöpfte. „Ich glaube, unser Volk kann nur gesunden, wenn in ihm wieder das christliche Prinzip herrscht,“ sagt der zunächst von den Amerikanern reaktivierte und später von den Briten wieder entlassene Kölner Oberbürgermeister 1945. Und ein Jahr später betont er in seiner ersten Rundfunkansprache als CDU-Vorsitzender der Britischen Besatzungszone: „Wir brauchen die hohe Auffassung des Christentums von der Menschenwürde, vom Wert jedes einzelnen Menschen als Grundlage und Richtschnur unserer Arbeit“

Nicht von ungefähr schreibt der Artikel 1 das Grundgesetzes, das Konrad Adenauer als Präsident des Parlamentarischen Rates am 23. Mai 1949 in Bonn verkündet, den Schutz der unveräußerlichen Menschenwürde als oberstes Verfassungsgebot fest. Es ist vor allem Adenauer, der mit Verhandlungsgeschick und einer Portion Schlitzohrigkeit hiter den Kulissen dafür sorgt, das Bonn und nicht das von der SPD favorisierte Frankfurt am Main Bundeshauptstadt wird. Bonn liegt für den späteren Bundeskanzler vor der Haustür. Nach dem Verkauf seines Kölner Hauses, hat sich der von den Nazis zwangspensionierte Oberbürgermeister in Rhöndorf ein neues Heim gebaut. Hier nutzt er die Zeit seines erzwungenen Ruhestandes nicht nur für die Beschäftigung mit Kunst und Literatur, sondern auch für die Entwicklung von Erfindungen. Unter seinen etwa 25 Erfindungen finden sich zum Beispiel Abgasfilter, ein beleuchtetes Stopfei oder ein eigens abnehm- und verstellbarer Gießkannenkopf.

Erfinderisch und einfallsreich ist Adenauer, der vor 130 Jahren – am 5. Januar 1876 – als Sohn eines katholischen Gerichtssekretärs und Kanzleirates in Köln geboren wird, Zeit seines Lebens. Als Beigeordneter und später als Oberbürgermeister entschärft er die Lebensmittelversorgung seiner Heimatstadt dadurch, dass er im Ersten Weltkrieg zusammen mit einer Großbäckerei das aus Mehl, Mais und Reis gebackene Kölner Brot und später auch eine Sojawurst kreiert. Auch privat sorgt Adenauer mit Ziegen, Schafen und einem kleinen Ackergrundstück, dafür, dass die Versorgung seiner Familie auch in Notzeiten nicht zu kurz kommt. Der zweimal verwitwete Adenauer ist Vater von acht Kindern. Um auch körperlich fit zu bleiben lässt sich der Oberbürgermeister zusammen mut ihnen sogar von einem Universitätsturnlehrer unterrichten.

Die Neugründung der Kölner Universität gehört ebenso wie die Gründung der Kölner Messe, die Schaffung eines Grüngürtels, der Bau eines Stadions sowie einer Autostraße, die Köln mit Bonn verbindet zu den Glanzleistungen seiner ersten Amtszeit als Oberbürgermeister. In dieser Zeit leistet Adenauer nicht nur gute Arbeit, sondern verdient auch gut. Vor seiner ersten Wahl 1917 hatte er ein Jahresgehalt von 42.000 Mark durchgesetzt und bekam damit sogar 2000 Mark mehr als sein Amtskollege im viel größeren Berlin.

Zweimal, 1921 und 1926, wird Adenauer sogar als Reichskanzler der Weimarer Republik gehandelt. Seine ersten Kanzlerkandidaturen scheitern allerdings an seiner Forderung nach einem Neun-Stunden-Arbeitstag und einer Regierungsbeteiligung der rechtsliberalen Deutschen Volkspartei. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Untergang der Monarchie hatte der durch die Kindheitserfahrungen des Kulturkampfes geprägte Katholik Adenauer zwischenzeitlich sogar mit einer von Preußen unabhängigen, aber in den Reichsverband integrierten westdeutschen Republik geliebäugelt. Erst nach der Katastrophe der NS-Diktatur und des Zweiten Weltkrieges sollten Adenauers frühe Visionen einer westdeutschen Republik, die sich mit dem Nachbarn Frankreich aussöhnt, Wirklichkeit werden.

Dass Adenauer bis heute der einzige Bundeskanzler geblieben ist, dem eine absolute Mehrheit vergönnt war, zeugt von seinem außergewöhnlich hohen Ansehen. Diesen Triumph des Jahres 1957 hatte sich Adenauer zwei Jahre zuvor mit seinem schlitzohrigen Verhandlungsgeschick in Moskau verdient. Damals erreichte er im Gegenzug zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen die Freilassung der letzten deutschen Kriegsgefangenen. In einerkritischen Verhandlungsphase hielt er dem sowjetischen Außenminister Molotow mit Blick auf den Hitler-Stalin-Pakt von 1939 den legendären Satz entgegen: „Wer hat eigentlich mit Hitler paktiert? Sie oder ich?“ Die Sowjetführung lenkte damals erst ein, nachdem sie hörte, Adenauer habe sein Flugzeug vorzeitig nach Moskau zurückbeordert und wolle die Verhandlungen abbrechen.

Als Bundeskanzler hat Adenauer die Bundesrepublik erfolgreich regiert, auch wenn Spötter meinten, er habe dies mit einem Wortschatz von nur 250 Vokabeln getan. Ebenso wie seine Deutschlehrer, die seinen Abituraufsatz anno 1894 nur mit „genügend“ bewerteten, bemängelten intellektuelle Kritiker auch mit Blick auf seine vierbändigen Memoiren Adenauers schlichte und oft nüchterne und spröde Sprache. Er selbst, der am 19. April 1967 im Alter von 91 Jahren starb, sagte einmal dazu: „Ich schreibe doch keine literarischen Stilübungen. Sollen die Intellektuellen doch Bauchschmerzen bekommen. Bauchschmerzen kommen und vergehen. Mir kommt es darauf an, dass mich der einfache Mann versteht.“

Noch eine lokale Fußnote. In Mülheim war Konrad Adenauer auch einmal. Als Vorsitzender der CDU in der Britischen Zone hielt er im September 1946 im Rahmen des ersten Kommunalwahlkampfes nach dem Kriege im Speldorfer Tengelmann-Saal eine Wahlkampfrede. 1987 benannte man die 1971 eröffnete Nordbrücke nach dem ersten Bundeskanzler.

Diesen Beitrag habe ich zum 130. Geburtstag von Konrad Adenauer am 5. Januar 2006 für die katholische Zeitung Die Tagespost geschrieben

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