Eine Stadt, die vorankommen will, muss mobil sein, um Güter und Personen schnell von A nach B zu transportieren. Für die alten Mülheimer war die Ruhr der schnellste Weg, um zum Beispiel Kohle und Stahl zu befördern. 1852 transportierten 5100 Schiffe 556?000 Tonnen Kohle. 1884 waren es nur noch 86 Schiffe mit rund 10?000 Tonnen Kohle.
Der drastische Rückgang hatte mit dem Siegeszug der Eisenbahn zu tun, die Mülheim heute vor 150 Jahren erreichte. Am 1. März 1862 um 7.10 Uhr fuhr der erste Zug der Bergisch Märkischen Eisenbahn am ersten Mülheimer Bahnhof an der heutigen Friedrich-Ebert-Straße ab, die damals noch Froschenteich hieß. Der Mülheimer Haltepunkt war Teil einer Strecke, die von Witten nach Duisburg führte und damit auch Essen und Bochum einschloss. Je nachdem, ob man erster, zweiter, dritter oder vierter Klasse reiste, kostete die Eisenbahnfahrkarte damals zwischen sieben und 13 Silbergroschen.
Obwohl die preußische Regierung noch 1861 prognostizierte: „Die Ruhrschifffahrt wird ihre Wichtigkeit voraussichtlich auch nach der Ausbreitung des dortigen Eisenbahnnetzes behalten,“ kam es anders. Bereits Ende der 1870er Jahre erreichte der Gütertransport durch die Bergisch-Märkische Eisenbahn 15,5 Millionen Tonnen.
Kein Wunder, dass es vor allem die starke Lobby der Ruhrschiffer und Ruhr-Reeder war, die sich lange mit Erfolg gegen Mülheims Anschluss an die Eisenbahn wehrte, während das benachbarte Oberhausen bereits 1847 an die Strecke der Köln-Mindener Eisenbahn angeschlossen worden war. Unterstützt wurde das Projekt Eisenbahn dagegen von der Mülheimer Handelskammer und der immer stärker werdenden Industrie. Dass August Thyssen 1871 sein Stahlwerk in Styrum gründete, hatte maßgeblich mit der verkehrsgünstigen Lage, direkt an der Bahn, zu tun.
Dass sich mit der Eisenbahn gutes Geld verdienen ließ, zeigte die Tatsache, dass die Bergisch-Märkische Eisenbahn-Gesellschaft in Mülheim schon ab 1866 Konkurrenz durch die Rheinische Eisenbahngesellschaft bekam, die eine Strecke zwischen Essen und Osterrath betrieb. Die alten Eisenbahnviadukte in der Innenstadt und die alte Eisenbahnbrücke, die dort seit Mitte der 1860er Jahre über die Ruhr führt, waren Teil dieser rheinischen Bahnstrecke. Die alte Trasse will der Regionalverband Ruhr (RVR) bis 2015 zu einem touristisch reizvollen Rad- und Fußweg ausbauen, der in seiner Endstufe Essen, Mülheim und Duisburg miteinander verbinden wird.
Bis zur Verstaatlichung der Eisenbahn um 1880 lieferten sich die Bergisch-Märkische und die Rheinische Eisenbahngesellschaft, deren Gleise zum Teil parallel verliefen, einen harten Konkurrenzkampf um Fahrgäste und Frachtgebühren. Die Rheinische Bahn, die 1867 den Vorgänger des heutigen Hauptbahnhofes an der Eppinghofer Straße errichtete, gewann zum Beispiel durch die Finanzierung von Werksanschlüssen wichtige Industriekunden. Beide Gesellschaften nannten ihre Bahnhöfe an der Friedrich-Ebert- und der Eppinghofer Straße „Mülheim an der Ruhr“ und versahen sie mit dem Zusatz „Bergisch-Märkisch“ und „Rheinisch“. Eine Verbindung zwischen beiden Gleisstrecken wurde erst in den 1890er Jahren unter staatlicher Regie realisiert.
In ihren ersten Jahrzehnten musste die Eisenbahn ihre Kundschaft aus der Wirtschaft auch noch mit einer Pferdebahn teilen, die seit 1839 für die Essener und Mülheimer Zechen Kohlen zum alten Hafen an der Ruhr transportierte. Doch die alte Pferdebahn war langfristig nicht wettbewerbsfähig und stellte vor allem in den Kreuzungsbereichen der verschiedenen Gleisanlagen ein echtes Verkehrshemmnis und Unfallrisiko dar.
Das galt auch für Eisenbahnschienen, die vor 1910 noch auf der Eppinghofer Straße verliefen, so dass Eisenbahn und andere Verkehrsteilnehmer durch Schranken voneinander getrennt werden mussten, was wiederum zu ärgerlichen Verkehrsbehinderungen, Unfällen und Wartezeiten führte. Erst 1910 nahm der heutige Hauptbahnhof mit seinen hochgelegten Eisenbahntrasse, einer neuen Empfangshalle und einer Fußgängerunterführung Formen an. Den Namen Hauptbahnhof sollte der damalige Bahnhof Eppinghofen erst 1974 erhalten, nachdem man den dortigen Haltepunkt 1955 wegen seiner zentralen Lage bereits Mülheim-Ruhr (Stadt) genannt hatte. Seine Namen wechselten, aber die Zustandsbeschreibungen haben bis heute zig Zeitungsseiten gefüllt und über Generationen Mülheimer Gemüter erhitzt, wie die jüngste Berichterstattung der NRZ zeigt. Nichts neues. Denn auch schon nach 1945 gab es zwischen Bahn und Stadt heftige Kontroversen, weil die Bahn acht Jahre brauchte, um die Kriegsschäden am damaligen Bahnhof Eppinghofen zu beheben.
Dieser Text erschien am 1. März 2012 in der NRZ
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