Wir haben am Sonntag die Wahl. Und weil es um die Bundestagswahl geht, haben wir gleich zwei davon. Was wir mit unseren beiden Stimmen erreichen oder anrichten, muss sich erst noch zeigen. Auch in anderen europäischen Ländern sehen wir derzeit aufgrund der multikomplexen Weltlage ein Erstarken extremer und populistischer Kräfte.
Frankreich, Großbritannien und die USA zeigen, dass auch ein Mehrheitswahlrecht keine Garantie für eine gut funktionierende Regierungsmehrheit und die Bedeutungslosigkeit politischer Populisten und Vereinfacher darstellt. Und doch zeigen die Mehrheitswahlsysteme in Frankreich und Großbritannien, dass sie geeignet sind, extreme Kräfte zumindest politisch klein zu halten und zu Regierungsmehrheiten jenseits der politischen Extreme zu führen.
Großbritannien ist ein Paradebeispiel dafür. Die USA waren auch ein gutes Beispiel dafür und könnten es auch immer noch sein, wenn die sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen in der US-Gesellschaft auch dazu geführt hat, dass politische Extremisten und Glücksspieler die Grand Old Party des Sklavenbefreiers Abraham Lincoln für ihre politischen Abenteuer gekapert haben.
Zwischen Funktionalität und Repräsentativität
Wir Deutschen wissen aus leidvoller historischer Erfahrung, wohin politischer Extremismus führt, wenn eine Mehrheit, etwa unter dem Albdruck sozialer und wirtschaftlicher Not ihr Wahlkreuz an der falschen Stelle macht. Mit dem Grundgesetz und einem Wahlrechtsmix aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht, hat die Bonner Republik nach 1949 aus den Fehlern ihrer Weimarer Vorgängerin gelernt.
Ob die Berliner Republik des seit 1990 wiedervereinigten Deutschlands sich, unter ungleich schwierigeren globaen Rahmendbedingungen, die soziale, wirtschaftliche und politische Stabilität ihrer Bonner Republik bewahren kann, muss zumindest zum heutigen Zeitpunkt bezweifelt werden.
Doch Angst ist ein schlechter Berater und deshalb ist es keine Alternative, permanent den Teufel an die Wand zu malen. Aber wir müssen mit Herz und Verstand in diesem Jahr die richtigen politischen Weichen stellen, erst bei der Bundestagswahl und im September bei der Kommunalwahl.
Parlamentarische Regierungsmehrheiten müssen her
Sowohl das Mehrheitswahlrecht des Kaiserreiches als auch das reine Verhältniswahlrecht der Weimarer Republik gab unseren altvorderen Wahlberechtigten nur ein Stimme. In beiden Fällen konnte sich deren Dynamik nicht wirklich positiv entfalten. Während der Reichstag zwischen 1871 und 1918 nichts mit der Regierungsbildung zu tun hatten, den Kaisern sei Undank, führte das reine Verhältniswahlrecht und die Folgen des Ersten Weltkriegs in der ersten parlamentarischen Demokratie zur Zersplitterung der Legislative und damit zu 16 Regierungen in 14 Jahren.
Auch das Europa- und das Kommunalwahlrecht zeigen uns, dass der Verzicht auf eine Sperrklausel in jedem Fall demokratischer, aber nicht unbedingt für das Funktionieren der Demokratie ist.
Während man unter der ersten Großen Koalition (1966-1969)die Einführung eines Mehrheitswahlrechtes nach britischem Vorbild in Erwägung zog, war das Thema mit der Bildung der sozialliberalen Koalition 1969 vom Tisch.
Nun hat die inzwischen zerbrochene Ampel-Koalition ein neues Wahlrecht eingeführt, dass unsere Erststimme für die Direktbewerber im Wahlkreis schwächt und dafür die Zweitstimme, die eine Listenstimme nach dem Verhältniswahlrecht aufwertet. Die jüngsten Wahlrechtsreformer halten sich zugute, dass sie mit der Abschaffung der Ausgleichs- und Überhangmandate eine weitere Aufblähung des Parlaments zu verhindern und die Zahl der Abgeordneten von 730 auf 630 reduziert zu haben.
Einerseits gut, wenn man den bisherigen Status quo betrachtet. Schließlich kostet jeder Parlamentarier die Steuerzahl mehr als 10.000 Euro pro Monat. Andererseits schlecht, wenn man überlegt was möglich gewesen wäre, wenn man den Deutschen Bundestag wirklich schlanker, preiswerter und effektiver hätte machen wollen.
So hätte es auch gehen können
Hätte man zum Beispiel ein Mehrheitswahlrecht nach britischem Muster eingeführt, hätte man den Bundestag auf 299 direkt gewählte Abgeordnete reduzieren können. Man hätte sich sogar erlauben können, die lokalen Wahlkreise bürgernäher sprich kleiner zuzuschneiden und somit eine bessere Verbindung zwischen den Abgeordneten und ihren Mitbürgern im Wahlkreis zu schaffen. Dann hätten wir vielleicht 350 oder 400 Abgeordnete und immer noch ein deutlich kleineres Parlament.
Man hätte aber auch einfach nur ins gute alte Grundgesetz schauen können, dass vorsieht, dass der Bundestag aus 299 direkt gewählten Wahlkreisabgeordneten und aus 299 Abgeordneten besteht, die über die Landeslisten ihrer Parteien ins Parlament einziehen. Macht 598 Mitglieder des Deutschen Bundestages. So einfach. So gut.
Weder demokratisch noch bürgernah
Jetzt hat man die vermeintlich demokratischere Zweitstimme gestärkt, aber die Erststimme, mit der die Bürgerinnen und Bürger ihren Wahlkreisabgeordneten wählen, massiv geschwächt. Denn jetzt kann es direkt gewählten Wahlkreisabgeordneten passieren, dass ihre Wahlkreismehrheit nicht groß genug ist, also nichgt ausreicht, um ins Parlament einzuziehen. Denn erreicht eine Partei, zum Beispiel die CSU in Bayern mehr Direktmandate, als es ihrem bundesweiten Stimmenanteil entspricht, müssen ihre nur mit knapper Mehrheit gewählten Abgeordneten, den Schwarzen Peter zugeschoben bekommen, und trotz Stimmenparlament nicht ins Parlament gewählt werden. Dieses Wahlrecht ist weder demokratisch noch bürgernah und deshalb dingend erneut reformbedürftig. Den Abgeordneten des 21. Deutschen Bundestages kann man nur raten: "Schlagt nach im Grundgesetz!" Ihr Väter und Mütter des Grundgesetzes seid bei uns.
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