Mittwoch, 16. Oktober 2024

Nah am Wasser gebaut

Mülheim ist nah am Wasser gebaut. Man sieht es. Die 239 Kilometer lange Ruhr fließt auf 14 Kilometern Länge mitten durch die Stadt. Mülheim an der Ruhr trägt als Stadt am Fluss eben diesen auch im Namen. 

Was wären Muelheims Handel und Industrie, siehe Tengelmann, Lindgens, Dinnendahl, Troost, Thyssen, Stinnes und Co ohne die Ruhr. Bis zum Beginn des Eisenbahnzeitalters um 1860 war sie der am stärksten befahrene Fluss Europas. Wo der Muelheimer Verschoenerungsverein ab 1880 daran  ging, die Ruhranlagen anzulegen, lagen seit 1839 Mülheims erster Hafen, eingerahmt von Schiffswerften und Kohlenmagazinen. 

Obwohl es bereits 1853 eine Mülheimer Schifffahrtsgesellschaft mit zwei Ausflugsdämpfern gab, sollte sich die weiße Flotte erst ab 1927 dauerhaft etablieren. Im gleichen Jahr wurde in Speldorf der Rhein Ruhr Hafen mit seiner Hafenbahn in Betrieb genommen, wovon anfangs vor allem die 1811 gegründete Friedrich-Wilhelms-Hütte profitieren konnte. Heute ist der von den städtischen Betrieben gemanagte Rhein Ruhr Hafen ein Gewerbegebiet mit mehr als 300 Unternehmen, in dem zu Lande und zu Wasser jährlich mehr als eine Million Tonnen Frachtgut umgeschlagen werden. 

Doch die auch landschaftlich reizvolle Lage an der Ruhr hat für Mülheim nicht nur Vorteile mit sich gebracht. Das Juli-Hochwasser des Jahres 2021 mit seinen massiven Schäden auf der Schleuseninsel ist allen Mülheimerinnen und Mülheimern noch in schlechtester Erinnerung. Seitdem liegt der Wasserbahnhof de facto auf Eis. Vergleichbare Hochwasserschäden waren sowohl 1890 als auch im August 1954 zu beklagen, als weite Teile der Stadt an eine seenlandschaft erinnerten und die Stadt insgesamt 18 Standorte mit massiven Infrastrukturschäden zu beklagen hatte. Auch die Vollendung des Stadthallenbaus am Broicher Ruhrufer wurde 1925 durch Hochwasser verzögert und sorgte dafür, dass man an der Baustelle nasse Füße bekam. Legende sind auch die zahlreichen Fotografieren, auf denen man die alten Mölmschen in Booten durch die überflutete Delle oder durch die unter Wasser stehende Ruhrstraße fahren sieht. So mancher Kaufmann an den damaligen Hauptgeschäftsstraßen der Stadt musste in der Hochwassersaison massive Materialverluste hinnehmen, weil seine Lager vollgelaufen waren.

Angesichts der jüngsten Starkregenereignisse, die mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht werden, stellt sich die Frage einer klimagerechten und umwelterhaltenden Stadtplanung mit weniger CO2-Ausstoß, mehr erneuerbaren Energieträgern und mehr Grün- und Freiflächen in einer ganz neuen globalen Dimension, die uns zwingt, lokal zu handeln und global zu denken.

Sonntag, 13. Oktober 2024

Das Ende einer Lebensreise

"Ich bekenne, ich habe gelebt." Die so betitelte Autobiografie des chilenischen Dichters und Nobelpreisträgers Pablo Neruda war nur ein Buch, das Wolfgang Hausmann seinem Publikum mehr als einmal vorgestellt hat.

Mit ihm konnte man auch in die Welt von Heinrich Heine, Wilhelm Busch, Kurt Tucholsky Mascha Koleko und Joachim Ringelnatz eintauchen. 

Das letzte Kapitel im indischen Leben von Wolfgang Hausmann ist geschrieben. Die Buchdeckel seiner Lebensgeschichte haben sich geschlossen.

Ein Monat vor seinem 73. Geburtstag ist Wolfgang Hausmann plötzlich und unerwartet verstorben. 1951 in Bochum geboren, fand er in der Heimaterde eine Wahlheimat, in die er seine Liebe zum geschriebene und gesprochenen Literatur mitbrachte, um sie seinen Nachbarn und Mitbürgerinnen und Mitbürgern zum Veranstalter und Rezitator von Lesungen und Konzerten nahezubringen.

Er machte sie nicht nur mit der deutschen und internationalen Literatur, sondern auch mit Wort- und Klangkünstlern, wie Oliver Steller und Lutz Görner bekannt. Bei Görner und Steller ging er als Rezitator in die Schule, um in ihrem Stile literarische und musikalische Abende in der Stadtteilbücherei Heißen, im MWB-Nachbarschaftshaus am Hingberg, im Kulturzentrum Fünte und zuletzt in der evangelischen Ladenkirche an der Kaiserstraße auf die Bühne zu bringen. "Die große Kunst mit ganz wenigen Worten ganz viel und vor allem das Wesentliche zu sagen und auf den Punkt zu bringen." Das war in den Worten von Wolfgang Hausmann der Kern seiner Begeisterung für die Literatur, deren Funke an seinen Literaturabenden auf sein Publikum über. Verdient und gemacht hat sich Hausmann nicht nur mit der Veranstaltungsreihe "Musik und Literatur in der Heimaterde", sondern auch mit der Lesung "verbrannter Autoren" am 10. Mai, die am Jahrestag der nationalsozialistische Bücherverbrennung über die Lesebühne ging. Für diese Veranstaltung, die abwechselnd vor dem und im Medienhaus am Synagogenplatz stattfand, fand er auch zahlreiche prominente Mülheimer Mitleser und Mitleserinnen. 

Mit Wolfgang Hausmann ist viel zu früh einer der belesensten  Bürger unserer Stadt in die Kulturgeschichte Mülheims eingegangen. 

Samstag, 12. Oktober 2024

Zur Lage der Nation

Ein Geburtstag ist ein Anlass, um zu feiern, aber auch ein Moment des Innehaltens und des Nachdenkens darüber, was gut gelaufen ist und was besser laufen kann im eigenen Leben.

So ist es auch mit unserem Land und mit unserer Gesellschaft, im seit 1990 wiedervereinigten Deutschland. Deshalb hat die CDU auch am 34. Tag der Deutschen Einheit zum Herbstgespräch eingeladen.

Diesmal sorgte Hans-Georg von der Marwitz als Gastredner im Kunstmuseum Alte Post mit seinen kritischen Feiertagsrede für reichlich Gesprächsstoff.

Der Landwirt und CDU-Politiker hat eine deutsch-deutsche Biografie. In Süddeutschland geboren und aufgewachsen, bewirtschaftet er seit der Wiedervereinigung 1990 einen Teil des Landes, das seiner aus Brandenburg stammenden Familie bis 1945 gehört hat.

Während die CDU-Kreisvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Astrid Timmermann-Fechter die Wiedervereinigung als einen der "glücklichsten Momente der deutschen Geschichte" bezeichnete, nannte von der Marwitz die Wiedervereinigung "ein Geschenk". Warum wir zu unserem Glück wiedervereinigt sind, machte er mit einem eindrücklichen Rückblick auf seinen Besuch in der real existierenden DDR des Frühjahres 1989 deutlich, als seine sächsischen Gastgeber und er als junger Besucher aus dem Westen Deutschlands noch mit der Willkür der SED-Diktatur konfrontiert wurden. Damit führte Hans-Georg von der Marwitz seinem Publikum noch einmal vor Augen, dass es keinen Grund gibt, der DDR nachzutrauern.

Dennoch machte er deutlich, dass er den Zustand unseres Landes und unserer Gesellschaft 35 Jahre nach dem glücklichen Mauerfall mit großer Sorge sieht und es ihm, wie seinerzeit Heinrich Heine ergehe: "Denke ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht."

Die Wahlerfolge der in Teilen rechtsextremen AFD bei den Landtagswahlen in Brandenburg Sachsen und Thüringen kommen für ihn nicht von ungefähr. Obwohl er Helmut Kohl das historische Verdienst bescheinigt, die historische Gunst der Stunde 1989/90 erkannt und entsprechend gehandelt zu haben, machte er deutlich, dass schon die westdeutsche Bundesregierung Kohl/Genscher den Menschen in der damals noch existierenden DDR Hoffnungen gemacht habe, die unhaltbar gewesen seien. Auch die mangelnde Bereitschaft der Westdeutschen im Zuge der Wiedervereinigung die Lebensleistungen ihre ostdeutschen Landsleute zu würdigen und unbestreitbare Errungenschaften der DDR für das wiedervereinigte Deutschland, auch jenseits des grünen Pfeils, für das zu übernehmen, hätten die Ostdeutschen tief enttäuscht und ihnen das Gefühl gegeben, als Bundesbürger zweiter Klasse nicht gebraucht und nicht anerkannt zu werden. Von der Marwitz erinnerte an den massenhaften Verlust von Arbeitsplätzen, die das Ergebnis der Abwicklung der volkseigenen DDR-Betriebe durch die Treuhand gewesen seien, an westdeutsche Geschäftsleute, die die unerfahren Verbraucher im Osten Deutschlands finanziell über den Tisch gezogen hätten und an kontraproduktive Strukturentscheidungen, die nach der Wiedervereinigung von westdeutschen Verwaltungs- und Wirtschaftsmanagern zum Nachteil der Ostdeutschen getroffen hätten.

Mit Blick auf die aktuelle Lage der deutschen Nation, sieht von der Marwitz ein Defizit an Realismus und ehrlicher Kommunikation. Anspruch und Wirklichkeit sieht er im wiedervereinigten Deutschland des Jahres 2024 weit auseinanderklaffen. Das macht er an Defiziten in unserer Infrastruktur, in unserem Bildungswesen und an überzogenen Sozialleistungen fest. Er sieht Deutschland derzeit als eine Gesellschaft, die, wie im Märchen vom Fischer und seiner Frau, unzufrieden über ihre Verhältnisse lebt. Von der Marwitz: "Wer Rechte hat, der hat auch Pflichten. Aber wir erwarten heute oft von anderen mehr, als wir selbst zu leisten, bereit sind!" Nur wenn diese mentalen und materiellen Strukturprobleme von den demokratischen Parteien glaubwürdig angegangen und gelöst werden, kann unsere Demokratie, nach seiner Ansicht, den Anfechtungen rechter und linker Extremisten standhalten. Von der Marwitz sieht den Auftrag des Tages der Deutschen Einheit darin, dass "wir schützen und stützen, was wir lieben", damit die Vision, die Hoffmann von Fallersleben 1841 in seinem Lied der Deutschen beschrieben hat: "Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand. Danach lasst uns alles streben, brüderlich mit Herz und Hand. Blühe im Glanzes dieses Glückes, blühe deutsches Vaterland."



Dienstag, 8. Oktober 2024

Ein Mensch. der uns fehlt

 In Zeiten, in denen der Nahost-Konflikt eskaliert, wäre seine Analyse gefragt. Doch Gerhard Bennertz ist tot. Der evangelische Theologe und Religionspädagoge ist im Alter von 86 Jahren gestorben.

Sein Namen verbindet sich mit der Aufarbeitung der Mülheimer Judenverfolgung während der NS-Zeit und mit der 1993 begründeten deutsch-israelischen Städtepartnerschaften zwischen Kfar Saba und Mülheim. 

Seine Schüler am Berufskolleg Stadtmitte fragten ihn Ende der 1970er Jahre danach, wie es eigentlich mit der nationalsozialistischen Judenverfolgung in Mülheim aus. Deshalb machte er sich auf die Spurensuche, nahm Kontakt mit der Jüdischen Gemeinde auf und wurde auf jüdische Mülheimer hingewiesen, die zum Beispiel in Palästina den Holocaust überlebt hatten.

Er nahm Kontakt zu ihnen, reiste nach Israel und notierte in seinen kleinen Heften jüdische Zeitzeugnisse aus dem Mülheim nach 1933, Die Ergebnisse seiner Gespräche dokumentierte er 1983 in der Zeitschrift des Mülheimer Geschichtsvereins. Das war die erste Dokumentation jüdischer Schicksale in der NS-Zeit.

Seine Begegnungen in Israel motivierten ihn, sich für eine deutsch-israelische Schul- und Städtepartnerschaft zu engagieren. Aus seiner Idee wurde die Städtepartnerschaft mit Kfar und eine Berufsschulpartnerschaft mit Karmiel. Karmiel, das wusste er aus seinen Recherchen, war unter anderem von David Tanne gegründet worden, dessen Wiege in Mülheim gestanden hatte und der mit seinen Eltern 1933 nach Palästina geflohen war, wo er im 1948 geborenen Staat Israel zum Staatssekretär im Bauministerium aufgestiegen war.

Zu den bewegendsten Momenten seiner Versöhnungsarbeit gehörte der Mülheim-Besuch von 17 jüdischen Mülheimern, die ihre Heimatstadt, aus der sie nach 1933 fliehen mussten, um ihr Leben zu retten, und die 50 Jahre nach der Reichspogramnacht als Gäste ihrer ehemaligen Heimatstadt Mülheim im November 1988 wiedersahen.

Gerhard Bennertz, der seinen Nachlass bei Zeiten dem Stadtarchiv übergeben hat, engagierte sich ehrenamtlich im Evangelischen Arbeitskreis der CDU, in der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, in der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und als Israel-Beauftragter im 1995 gegründeten Förderverein Mülheimer Städtepartnerschaften. In ihrem Auftrag reiste er mehr als 40 Mal nach Israel, um seinen Mülheimer Mitbürgerinnen und Mitbürgern die Partnerstadt Kfar Saba und Israel nahezubringen.

Nah am Wasser gebaut

Mülheim ist nah am Wasser gebaut. Man sieht es. Die 239 Kilometer lange Ruhr fließt auf 14 Kilometern Länge mitten durch die Stadt. Mülheim ...