Der Mülheimer Heimatforscher Dirk von Eicken liebt Geschichte(n), die nicht jeder kennt. Eine dieser Geschichten hat er für die Internetseite des Mülheimer Geschichtsvereins recherchiert und aufgeschrieben.
Es ist die Geschichte der schwarzen Sängerin und Schauspielerin Marie Nejar, die zwischen 1952 und 1957 zu den Stars und Publikumslieblingen des Wirtschaftswunderdeutschlands gehörte. Von Eicken bekam diese Geschichte schon als Kind von seiner Mutter erzählt. Ihr Vater, sin Großvater kannte und schätzte einen schwarzen Nachbarn (Max Bissong), der aus der ehemaligen deutschen Kolonie Kamerun stammte und 1918 nach Deutschland kam, wo er als Zirkusartist seinen Lebensunterhalt verdiente und eine deutsche Frau heiratete.
Mit ihr lebte er seit 1927 am Hingberg. Der letzte Gastspielort seiner Artistenkarriere wurde seiner Frau und ihm zur zweiten Heimat. Damals waren schwarze Menschen in Mülheim, wo heute Menschen aus fast 150 Nationen zusammenleben, noch eine Seltenheit. Deshal war Bissong, der auf der Saarner Kirmes Kokosnüsse verkaufte und als Nachtwächter im Styrumer Röhrenwerk arbeitete stadtbekannt. Da er und seine Frau kinderlos waren, trug ihnen ein Mülheimer Waisenhaus 1930 die Pflegeelternschaft für ein schwarzes Mädchen, das nach seiner Geburt von der Mutter im Waisenhaus abgegeben worden war.
Die Bissongs nahmen diess Lebensaufgabe gerne an. Doch nach drei Jahren mussten sie ihr Pflegekind an dessen Großmutter abgeben, die ihre Enkelin in Hamburg großzog. Wenn man die erstaunlich jugendliche Stimme der heute 93-jährigen Marie Nejar in einem in einem Interview des Westdeutschen Rundfunks hört, sieht man eine Hamburger Dirn vor sich.
Obwohl man Marie aufgrund ihrer Hautfarbe die Aufnahme in den Bund Deutscher Mädel verweigerte, konnte sie, trotz mancher Diskrinierungserfahrung, vergleichsweise unbehelligt im nationalsozialistischen Deutschland aufwachsen. Dass hatte auch mit ihrer unerwarteten Filmkarriere bei der UFA zu tun. Dorthin hatte sie eine selbst farbige Freundin ihrer Großmutter als schwarze Statistin vermittelt. So kam es, dass Marie zwischen 19442 und 1944 mit Heinz Rühmann und Hans Albers in den UFA-Streifen "Quax der Bruchpilot" und "Baron Münchhausen" vor der Kamera stand.
Doch nach dem Kriegsende ging es für Marie erst mal alles andere als filmreif weiter. Die über alles geliebte, weil fürsorgliche und herzensgute Großmutter, mit der sie zusammenlebte, starb 1949. Marie wurde, obwohl noch keine 21, für volljährig erklärt, weil sie als Garderobiere uns als Zigarettenverkäuferin bereits ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen konnte.
Bei einer Mikrofonprobe in Timmendorfer Strand wurde ihre schöne Stimme 1950 vom Musiker Horst Harry Winter und vom Komponisten Michael Jary für die Film- und Schlagerbranche entdeckt. Sie bekam einen Schallplattenvertrag, nahm als Leila Negra insgesamt 30 Schlager und stand in fünf Kinofilmen, unter anderem mit Peter Alexander vor der Kamera. Mit ihm sang sie auch 1954 ihren größten Hit: "Die süßesten Früchte fressen immer die großen Tiere."
Weil das Medium Fernsehen, das erste Mülheimer Fernsehgerät wurde erst im Sommer 953 ausgeliefert, noch in den Kinderschuhen steckte, mussten Marie und ihre Kollegen aus der Showbranche durch das unterhaltungs- und nachholbedürftige Wirtschaftswunderdeutschland tingeln. Zwischen 1952 und 1955 trat sie auch dreimal bei Schlagershows in ihrer Geburtsstadt auf. Sowohl im Handelshof als auch im Löwenhofkino begeisterte sie das Mülheimer Publikum.
Doch schon 1957 stieg Leila Negra aus dem Showbusiness aus und begann als Marie Nejar 1957 ein Berufsleben als Krankenschwester in ihrer Heimatstadt Hamburg. Auch im Rückblick war es für sie die richtige und nie bereute Entscheidung für ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben, weil sie mit 27 keine Lust mehr hatte, sich als Kinderstar vermarkten zu lassen, der mit einem Teddybären auftreten musste.
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