30. Januar 1933. Der Tag, an dem Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte, hat auch das Leben in unserer Stadt für immer verändert. Auch in Mülheim fand der Diktator seine Anhänger, Helfer und Helfershelfer.
Zum Jahreswechsel 1932/33 war
Mülheim von den sozialen Folgen der Weltwirtschaftskrise gezeichnet. 17.000 der
damals 128.000 Mülheimer waren erwerbslos. In Deutschland waren es sechs von 64
Millionen Menschen. Nicht nur die damals von dem Juristen Dr. Alfred Schmidt
geführte Stadt Mülheim konnte die steigenden Sozialhilfekosten kaum noch
bezahlen. Öffentliche Suppenküchen hatten Hochkonjunktur. Die
Massenarbeitslosigkeit wog besonders schwer, weil die allermeisten Familien
damals vom alleinverdienenden Familienvater abhängig waren. Begonnen hatte die Weltwirtschaftskrise,
die den Aufstieg der NSDAP begünstigte, mit dem Zusammenbruch der New Yorker
Börse. Wenige Monate zuvor war ein Nationalsozialist nach der Kommunalwahl in
den Stadtrat eingezogen. Nach der Kommunalwahl vom 12. März 1933 bestand die
von dem Buchhalter Karl Camphausen angeführte Ratsfraktion der NSDAP aus 23
Stadtverordneten. Jetzt konnte Camphausen seine Anstellung als Buchhalter bei
der Rheinisch-Westfälischen Wasserwerksgesellschaft aufgeben und stattdessen
hauptamtlich als Kreisleiter der NSDAP agieren. Sein Arbeitsplatz befand sich,
im Haus, das bis heute gegenüber des Rathausturmeingangs steht und damals Horst-Wessel-Haus
hieß. Benannt war die Parteizentrale nach dem 1930 von Kommunisten getöteten
SA-Mannes Horst Wessel. Dessen Vater Wilhelm war von 1908 bis 1913 evangelischer
Pfarrer an der Petrikirche.
Schon bei der Reichstagswahl am 5.
März 1933 war die NSDAP auch in Mülheim (mit 37,5 Prozent der Stimmen) zur
stärksten Partei geworden. Am Tag vor der Wahl hatten Nationalsozialisten und
Deutschnationale mit einer Kundgebung auf dem Rathausmarkt um Wählerstimmen
geworben. Prominentester Teilnehmer der Wahlkampfveranstaltung war der
vormalige Reichskanzler und spätere Vizekanzler Hitlers, Franz von Papen. Im
Reichstag und im Stadtrat konnten Nationalsozialisten und Deutschnationale
jetzt eine Mehrheit bilden. Viele Zeitgenossen hielten das für eine politische
Episode. Wir wissen heute: Es war der Beginn einer zwölfjährigen Diktatur.
Wie in Berlin, so hatten auch in
Mülheim die Anhänger der NSDAP und der DNVP, angeführt von der 1934
entmachteten SA, die Ernennung Adolf Hitlers mit einem Fackelzug durch die
Innenstadt gefeiert. Gefeiert haben dürften damals auch die Mülheimer
Industriellen Fritz Thyssen und Emil Kirdorf. Sie gehörten zu den frühen Förderern
Hitlers und der NSDAP. Hitler war oft und gerne bei dem Bergbaumanager Kirdorf
im Uhlenhorst zu Gast. Und Fritz Thyssen gehörte zu den Industriellen, die in
einer Eingabe an den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg bereits am 6. November
1932 die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler gefordert hatten. Der später zum
Hitler-Gegner gewordene Fritz Thyssen sollte im Interview mit einem amerikanischen
Journalisten reumütig gestehen: „Ich bezahlte Hitler!“ Doch seine Reue kam zu
spät.
Hitler und Hindenburg hatten auch
schon vor dem 30. Januar in Mülheim ihre Anhänger. Bei der
Reichspräsidentenwahl am 13. März 1932 hatten 35.000 Mülheimer für den
Kandidaten Hindenburg und 21.000 Mülheimer für den Kandidaten Hitler gestimmt. Beide
lehnten die Demokratie der Weimarer Republik ab. Der ehemalige
Generalfeldmarschall Hindenburg profitierte von seinem Ruf als „Held von
Tannenberg“! Er hatte die 1914 in Ostpreußen einmarschierten Truppen des
russischen Zaren vertrieben. Zum Dank benannten die Mülheimer 1916 eine Straße
nach ihm, die erst 1949 nach seinem sozialdemokratischen Vorgänger Friedrich
Ebert umbenannt werden sollte. Die NSDAP war im Krisenjahr 1932 mit dem Plakat:
„Hitler, unsere letzte Hoffnung!“ Nach ihm sollte 1936 die heutige
Friedrichstraße benannt werden.
Ein Jahr nach der Reichspräsidentenwahl kürte die neue Ratsmehrheit aus NSDAP und DNVP Hitler und Hindenburg am 30. März 1933 zu Ehrenbürgern der Stadt. Gleichzeitig wählten sie den nationalsozialistischen Reichsbahnbeamten Wilhelm Maerz zum neuen Oberbürgermeister und schlossen jüdische Unternehmer von der städtischen Auftragsvergabe aus. Zu den Stadtverordneten, die damals mit Nein stimmten, gehörten die Sozialdemokraten Heinrich Thöne und Wilhelm Müller. Thöne sollte 1948 zum Oberbürgermeister gewählt werden, während Müller seinen Widerstand gegen Hitler 1944 mit dem Leben bezahlen musste. Dieses Schicksal teilten auch die kommunistischen Stadtverordneten Otto Gaudig und Fritz Terres. Sie konnten ihre bei der Kommunalwahl vom 12. März 1933 gewonnenen Stadtratsmandate nicht mehr antreten, weil sie wie alle Mandatsträger der KPD auf der Grundlage einer Notverordnung des Reichspräsidenten und unter dem Vorwand eines drohenden kommunistischen Staatsstreiches verhaftet worden waren.
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