Mittwoch, 22. Februar 2023

Jugend in der Bütt

 Jung, jeck und bühnenreif: Der 21-jährige Julien Wolter gehört zu den wenigen Büttenrednern im Mülheimer Karneval

Julien Wolter (21) ist eine Ausnahmeerscheinung. Der junge Jeck feiert nicht nur Karneval. Er macht ihn auch, zum Beispiel als Büttenredner. Wie kam es dazu? „Ich bin da hineingeboren worden“, sagt Wolter. Seine Mutter Stefanie war früher Tanzgardisten beim Mülheimer Carnevalsclub MCC und ist heute Trainerin der Tanzgarde.

Wolter bedauert es, dass seine Altersgenossen dem Karneval reserviert gegenüberstehen und meistens auch mit Büttenreden nur wenig anfangen können. „Dabei gehört die Büttenrede unbedingt zum Karneval. „Karneval ist doch mehr als nur Party. Im Karneval kann man den Leuten den Spiegel vorhalten und sagen, was Sache ist, ohne dass einem jemand böse dafür ist“, sagt Wolter.

Seine Bühnen-Vorbilder findet er im seligen Hans Süper vom Colonia-Duett und im Gott sei Dank noch quicklebendigen Blötschkopp, alias Marc Metzger. Er bewundert die humoristische Spitzfindigkeit, die fröhliche Unverfrorenheit und die Spontanität, mit der die Büttenredner-Profis auf Einwürfe aus dem Publikum eingehen und auch Prominente im Publikum auf die Schippe nehmen.

„Wer eine gute Büttenrede halten möchte, muss möglichst aktuell und deshalb politisch interessiert sein“, sagt der ehemalige Jugendstadtrat und angehende Verwaltungsbeamte, der sich politisch in der SPD engagiert. Regelmäßig liest er die Zeitung, informiert sich im Internet und geht mit offenen Augen durch die Welt. Den Stoff, aus dem Büttenreden sind, findet er im ganz normalen Wahnsinn des Lebens.

Spätestens Ende September beginnt er mit der Vorbereitung für seine Büttenreden, die er zwischen dem 11.11. und Aschermittwoch hält. Seinen satirischen Rohstoff, sammelt er vorzugsweise im elektronischen Notizbuch seines Smartphones. Von da aus findet es seinen Weg in Wolters Notebook und dann aufs Papier. Er ist davon überzeugt, dass die Büttenrede auch bei seinen Altersgenossen eine Renaissance erleben kann, wenn man die politische Bildung, auch jenseits des klassischen Schulunterrichtes, ansprechend und lebensnah gestalten würde. Nur so kann man in Wolters Augen die Grundlage schaffen, die eine pointen- und anspielungsreiche Büttenrede erst möglich und zu einem Genuss macht.

 Besonders gerne schießt der junge Büttenredner gegen die politischen Bauernfänger, die laut, aber oft auch geistlos und gefährlich sind. Von seinen Fernseh- und Youtube-vorbildern Hans Süper und Marc Metzger schaut er sich ab, wie man Themen aufs Korn nimmt, satirisch zuspitzt und sie närrisch auf den Punkt bringt, ohne sich dabei unter die Gürtellinie zu gehen. „Das Schöne ist, dass ich als Hoppeditz und als Büttenredner in eine Rolle schlüpfe, in der ich sagen kann, was ich will und was ich für richtig halte, ohne dass mir nachher jemand böse sein kann“, betont Wolter. Für den jungen Mann aus der Bütt gibt es aber auch Themen, die er sich erspart, weil sie, wie etwa Krieg, Krankheit und Tod, einfach nicht lustig sind.

Inzwischen ist das Nachwuchstalent nicht nur in seiner eigenen Gesellschaft, sondern auch bei der befreundeten KG Mölm Boowenaan in die Bütt gestiegen und mit seinen Pointen und Spitzen bwim Publikum gut angekommen.

Doch er merkt, dass es Wortbeiträge im Saalkarneval schwerer haben als Tanz- und Musikshows. „Ich möchte meinen Zuhörern etwas mitgeben und baue auch gerne den einen oder anderen politischen Appell mit ein. Meine Büttenreden dauern in der Regel 20 bis 30 Minuten. Aber es gibt viele Menschen, denen es schwerfällt, sich auf einen längeren Wortbeitrag zu konzentrieren,“ schildert Wolter seine Erfahrungen. Deshalb redet er in der Bütt auch nicht gereimt, sondern prosaisch und pointenreich, um es seinen Zuhörern und sich leichter zu machen.

Sein erster Lehrmeister in Sachen Büttenrede war der 2021 verstorbene Präsident des Mülheimer Carnevalsclubs und Ex-Stadtprinz Klaus Groth. Bei ihm hat er gelernt, wie man sich auf der Bühne bewegen, positionieren und sprechen muss, um sein Publikum einzufangen. Groth, dem Wolter oft als Page assistiert hat, war Büttenredner, Sitzungspräsident und Mitglied eines Männerballetts.

Von ihm und vom vom 2020 verstorbenen Ex-Stadtprinzen Hermann-Josef Hüßelbeck hat, hat er auch gelernt, das Lampenfieber kein Grund ist, um nicht auf die Bühne zu gehen, sondern dass es verfliegt, sobald man die ersten Lacher auf seiner Seite hat. „Klaus Groth hat mir beigebracht, mir immer einen festen Punkt im Publikum zu suchen und so im Augenkontakt mit dem Publikum zu bleiben, statt nur auf sein Skript zu schauen. Außerdem habe ich bei ihm gelernt, dass ich als Rechtshänder das Mikrofon in der linken Hand halten muss, damit ich mit der rechten Hand meine Rede gestenreich unterstreichen kann“, berichtet Wolter. Um seine Büttenrede gut über die Bühne und an die Frau und den Mann im Publikum zu bringen, trägt Wolter seine Rede erst im Familienkreis vor, ehe er damit ins Rampenlicht des Mülheimer Saalkarnevals tritt.

Auch wenn er sieht, dass sich viele Menschen nach der Corona-Zwangspause und vor dem Hintergrund der aktuellen Weltlage schwer damit tun Karneval zu feiern, ist Wolter davon überzeugt, dass es aller Mühen wert ist, sich für den Karneval zu engagieren, weil er Menschen aus allen Generationen und sozialen Schichten für ein paar Stunden zusammenführen und ihnen hilft, die Schwere ihres Alltags gegen die Leichtigkeit des Seins einzutauschen. Wolter glaubt, dass der Karneval die Lebensfreude und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen fördert. Auch wenn seine Gesellschaft den Spaß an der Freude in Pflegeheimen verbreitet, erlebt Wolter den an den dankbaren Reaktionen des betagten Publikums, das Karneval nicht nur Spaß, sondern auch Seelsorge und Sozialarbeit sein kann. 

Von Julien Wolter notiert und in der Bütt gesagt:

„Den Ernst der Corona-Lage haben allerdings noch nicht alle begriffen. Plötzlich rennen hunderte Menschen mit lustigen Hüten durch Berlin und rufen irgendeinen Unsinn. Nein, leider kein vorgezogener Karneval, sondern Menschen, die offensichtlich zu nah an der Hauswand geschaukelt haben. Unter denen, die sich an die Verordnungen gehalten haben, scheinen sich viele die Lock- Down-Zeit damit zu vertreiben, ihre Wohnungen mit Klopapier zu tapezieren. Naja, über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. (…) „Achtung, jetzt wirds Politisch… bla bla bla bla AfD, bla bla bla alle bekloppt bla bla… aber e gab wirklich spannende Dinge! Ja, wir hatten sogar einen Bürgerentscheid. Nein nicht über die Stadthallenmiete, über die VHS. Das ging so aus wie beim Brexit. Viele haben das nicht ernst genommen und nicht abgestimmt. Und jetzt haben wir den Salat. Mülheim ist demnächst die einzige Stadt, die eine Volkshochschule in einem gepflegten Denkmal und Schulen als Ruinen hat, weil das Geld zur Renovierung fehlt. Aber wir sind auch die einzige Stadt, die eine Fraktion im Rat hat, die zwar eine grosse Klappe, die aber kein Mensch gewählt hat, weil es sie bei der Wahl gar nicht gab. Und noch einmal zur Bildung. Bildung ist gerade heute sehr wichtig. Denn sie ist doch die Grundlage dafür, sich eine fundierte Meinung zu bilden und nicht einfach eine zu haben, die dir andere vorgeben. Ich will jetzt nicht zu politisch werden. nur noch eins. Lasst euch nicht von den populistischen Schlickefängern einfangen. Denkt immer daran, vor Gott und im Karneval sind alle Menschen gleich. (…) „In der Mülheimer Politik hat sich auch etwas getan. Auf der einen Seite sollen Gelder für Offene Ganztagsgrundschule und Stadtteilbibliotheken gestrichen, während auf der anderen Seite zwei neue Dezernenten eingestellt werden. Mein Vorschlag hier lieber Herr Oberbürgermeister: Statt die Stadtteilbibliotheken zu schließen, könnten Sie die Büros Ihrer neuen Dezernenten in eben diese verlagern, damit die beiden dann Bücher rausgeben und nebenbei ihre Dezernentenarbeit verrichten können. So haben Sie beide Fliegen mit einer Klappe geschlagen, Geld eingespart und die Kinder dieser Stadt nicht mit miesen Ideen benachteiligt.“


Meine Beiträge in der Mülheimer Presse

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