Mittwoch, 12. Januar 2022

Eine gute und wichtige Wahl

Macht, Sie verbindet man aus gutem Grund nicht mit dem Bundespräsidenten. Die schlechten Erfahrungen mit dem zweiten und letzten Reichspräsidenten der Weimarer Republik, Paul von Hindenburg, der mit seinen Notverordnungen am handlungsunfähigen Reichstag vorbeiregieren und Hitler die Tür zum Reichskanzleramt und damit zur Macht öffnete, bewogen die 61 Väter und vier Mütter des Grundgesetzes, 1948/49 dem Staatsoberhaupt nur die Macht des Wortes und die eines Staatsnotars ins Grundgesetz zu schreiben.


Diese Macht hat der aktuelle Amtsinhaber in seinen Reden immer wieder vorbildlich genutzt. Ihm ist auch zu verdanken, dass nach der Bundestagswahl 2017 eine handlungsfähige Bundesregierung zustande kam. Darüber hinaus fällt dem Juristen Steinmeier auch die in der Gesetzgebung zentrale Aufgabe des Staatsnotars zu, der die von Bundestag und Bundesrat verabschiedeten Gesetze auf ihre Verfassungskonformität prüft und sie erst dann mit seiner Unterschrift in Kraft treten lässt. Darüber hinaus hat sich der Sozialdemokrat in seinem Auftreten als Staatsoberhaupt auch immer überparteilich und damit integrations- und demokratiefördernd gezeigt.


Deshalb ist es gut, dass sich SPD, CDU/CSU, Grüne und FDP für die kommende Bundesversammlung am 13. Februar, die aus den Mitgliedern des Bundestages und aus Delegierten der Bundesländer besteht, auf eine Wiederwahl Steinmeiers geeinigt haben. Das Bundespräsidentenamt eignet sich nicht für partei- oder genderpolitische Profilierung. 

Dennoch ist auch die Nominierung des Mainzer Sozialmediziners Gerhard Trabert durch die Linke ein legitimes Instrument, um den Blick auf die sozialen Probleme unserer Gesellschaft zu lenken, so wie dies auch die von der Linken unterstützte Präsidentschaftskandidatur des Politikwissenschaftlers und Armutsforscher Christoph Butterwegge im Jahr 2017 möglich gemacht hatte. Traberts Hinweis, "dass die soziale Ungleichheit die Mutter aller Probleme sei", ist angesichts prekärer Beschäftigungsverhältnisse, steigender Mieten und anhaltender Wohnungslosigkeit und Wohnungsnot nicht von der Hand zu weisen. 

Angesichts der gesellschaftspolitischen Entwicklung ist es auch nur eine Frage der Zeit, wann wir eine Bundespräsidentin oder einen Bundespräsidenten mit Zuwanderungsgeschichte haben werden.


Frank Walter Steinmeier gehört zweifellos bisher zu den glücklich agierenden Bundespräsidenten. Dass das Bundespräsidialamt kein Selbstläufer ist, haben uns die Rücktritte der Bundespräsidenten Horst Köhler und Christian Wulff oder die Präsidentschaft des gesundheitlich beeinträchtigten und deshalb überforderten Heinrich Lübke gezeigt.

Immer wieder haben die nur auf den ersten Blick machtlosen Bundespräsidenten wichtige politische Akzente setzen können. So wies der erste Bundespräsident Theodor Heuss seine Landsleute darauf hin, "dass es angesichts der Verbrechen in der NS-Zeit keine kollektive Verantwortung, aber eine kollektive Scham der Deutschen" gebe.

Der selbst erklärte Bürgerpräsident Gustav Heinemann war ein kongenialer Repräsentant einer Gesellschaft, die Ende der 1960er Jahre, mit Willy Brandt gesprochen: "Mehr Demokratie wagen" wollte. Bundespräsident Karl Carstens wurde 1983 mit seiner umstrittenen Auflösung des Deutschen Bundestages zum Wegbereiter der Bundestagsneuwahlen, mit der sich die neue christlich-liberale Bundesregierung eine breite demokratische Legitimation verschaffen wollte.

Nicht zu vergessen sind auch der Hinweis Joachim Gaucks auf den zentralen und keineswegs selbstverständlichen Wert der Freiheit und Christian Wulffs Realitätscheck, "dass der Islam zu Deutschland gehört."


Obwohl es immer mal wieder politisch diskutiert wurde, wird der Bundespräsident von der Bundesversammlung und nicht direkt von den Wahlberechtigten gewählt. Die Befürworter einer Direktwahl weisen auf ein Demokratiedefizit hin. Die Anhänger des politischen Status quo weisen auf das politische Primat des vom Bundestag gewählten Bundeskanzler und die negativen historischen Erfahrungen mit dem direkt gewählten Reichspräsidenten Paul von Hindenburg hin. Allerdings zeigen parlamentarische Demokratien, wie Irland und Österreich, dass es auch ein vom Volk gewähltes Staatsoberhaupt geben kann, ohne gleich von einer parlamentarischen zu einer präsidialen Demokratie, wie in den USA, in der Türkei, in Frankreich und Russland, übergehen zu müssen.


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