Freitag, 7. Januar 2022

Barrierefrei denken

 Seit 100 Jahren gibt es in Mülheim einen Blinden- und Sehbehindertenverein. In seinem Jubiläumsjahr wird er von einer Frau geführt. Maria St. Mont ist spät erblindet, Doch das hat ihr nicht den Lebensmut geraubt. Wer ihr begegnet, begegnet einer lebensbejahenden und energiegeladenen Frau, die aus ihrer Not eine Tugend gemacht hat, in dem sie sich für blinde und sehbehinderte Menschen stark macht.

"Wir müssen barrierefrei denken", sagt St. Mont. Auch wenn sie der Stadtverwaltung zubilligt, in den vergangenen Jahre für die Belange behinderter Menschen sensibler geworden zu sein und als Beispiel dafür die Einführung von akustischen Ampeln und taktilen Leitsystemen nennt, macht sie auch klar. "Es bleibt noch viel zu tun, um wirklich barrierefrei zusammenleben zu können."

Die Barrieren im Kopf erlebt sie, wenn Autofahrer ihre PKWs auf den Bürgersteigen parken, E-Scooter-Enthusiasten ihre Elektroroller links liegen lassen oder Kaufleute mit ihren Auslagen und Werbeschildern die Gehwege zustellen. "Vieles von dem ist kein böser Wille, sondern nur Unkenntnis", glaubt St. Mont. Zugespitzt könnte man aber auch von Ignoranz sprechen.

Diese Ignoranz bekommen nicht nur Blinde und Sehbehinderte, sondern fast alle Menschen mit Handicap auch auf dem Arbeitsmarkt zu spüren, wenn sie trotz guter Qualifikation lieber nicht eingestellt werden, weil Arbeitgeber mit Ausgleichzahlungen fihre nicht erfüllte 6-Prozent-Behinderten-Quote lieber Ausgleichszahlungen leisten, weil sie Angst haben, dass nicht nur blinde und sehbehinderte Mitarbeitende zum Bremsklotz auf dem Weg zum wirtschaftlichen Erfolg werden könnten, den sie nie wieder los werden.

Auch hier herrscht mehr Unwissenheit statt Bosheit, weil man auch als inklusiver Arbeitgeber Mitarbeitende mit Handicap sehr wohl kündigen kann, noch besser aber mit Fördermitteln der öffentlichen Hand und mit fachkundiger Unterstützung durch den Integrationsfachdienst in seinen Betrieb integrieren kann. 

St. Mont verweist in diesem Zusammenhang nicht nur auf vielfältige Hilfsmittel und finanzielle Nachteislausgleiche, sondern auch auf das ermutigende Beispiel, dass uns blinde und sehbehinderte Juristen, Musiker, Physiotherapeuten und Pädagogen geben. Sie zeigen unserer menschlich oft blinden oder zumindest stark sehbehinderten Leistungsgesellschaft, dass Menschen mit Behinderung weitaus mehr leisten können und wollen, als ihnen viele zutrauen, wenn sie denn nicht behindert und durch Barrieren im Kopf daran gehindert werden.

Man wünscht dem unter: www.bsv-muelheim.de auch im Internet zu findenden Blinden- und Sehbehindertenverein zweifellos mehr als seine aktuell 81 Mitglieder, wenn man seine tatkräftige Vorsitzende vom geselligen und informativen Vereinsleben berichten hört, das von sehenden und ehrenamtlich aktiven Helfern unterstützt wird. Sie beweisen, was uns Antoine de Saint-Exupéry bereits 1943 mit seiner Geschichte vom Kleinen Prinzen wissen ließ: "Man sieht nur mit dem Herzen gut!"

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