Samstag, 22. Mai 2021

Mülheimer Blick auf den Nahen Osten

 Wieder Krieg im Nahen Osten. Wie bewegt und berührt der aktuelle Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern Mülheimer, die als Christen, Juden und Muslime in Mülheim und als Akteure der internationalen Friedens- und Versöhnungsarbeit aktiv. Mülheim hat mit Kfar Saba (seit 1993) eine Partnerstadt, die nördlich von Tel Aviv und unmittelbar an der Grenze zum vom palästinensisch verwalteten Westjordanland liegt.

Der Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Duisburg-Mülheim-Oberhausen, Alexander Drehmann sagt angesichts der aktuellen Krise: „Die Sicherheitsmaßnahmen am Gemeindezentrum sind verstärkt worden. Wir haben glücklicherweise sehr gute Beziehungen zur örtlichen Polizei. Wir haben keine Angst. Aber die Gefühlslage ist schon bescheiden. Ich ärgere mich sehr darüber, dass der Nahost-Konflikt, der mit Deutschland nichts zu tun hat, durch Demonstranten, die zum Teil aus dem Ausland kommen nach Deutschland importiert wird. Wer sein Gastrecht auf diese Weise missbraucht, sollte konsequent bestraft und abgeschoben werden.“

Der Fotograf Heiner Schmitz hat gute Kontakte in die israelische Partnerstadt Kfar Saba und deren palästinensische Nachbargemeinde Qalqilya im Westjordanland. Zurzeit bereitet er mit Künstle- Kollegen eine Ausstellung in Kfar Saba vor die er im Dezember 2021 auch vor Ort besuchen möchte. Er engagiert sich in einem deutsch-palästinensischen Arbeitskreis, der auch Qalqilya in die Städtepartnerschaft mit Mülheim einbeziehen und so den Frieden fördern möchte. Zuletzt hat Schmitz humanitäre Hilfe für eine palästinensische Familie im Westjordanland organisiert, die Opfer eines israelischen Übergriffs geworden war. Er sagt: „Die Situation ist grauenvoll. Man weiß nicht, wo man anfangen soll. Die palästinensischen Raketenangriffe auf die israelische Zivilbevölkerung sind völlig inakzeptabel. Aber man muss sehen, was dem vorausgegangen ist. Die Palästinenser leben perspektivlos und eingesperrt seit 54 Jahren unter israelischer Bestatzung im eigenen Land. Ich habe selbst erlebt, wie schlecht Palästinenser an den verschiedenen Checkpoints behandelt werden. Frieden im Nahen Osten kann es nur geben, wenn sich beide Seiten gleichwertige Lebensverhältnisse und Rechte zugestehen und junge Israelis wie junge Palästinenser eine echte Perspektive für ihr Leben bekommen. Das Problem ist die Besatzung, die völkerrechtswidrige Besiedlung und es sind die Radikalen auf beiden Seiten, die mit Gewalt immer neue Gegengewalt provozieren. Das löst den Konflikt nicht, sondern heizt ihn nur an.“

 

Hasan Tuncer ist Alevit. Der ehemalige Gemeindevorsitzende ist inzwischen Vorsitzender des Integrationsrates. Er betont: „ Man kann Die Politik der Regierung Israels sehr wohl kritisieren. Damit habe ich kein Problem. Allerdings ist der Nahost Konflikt so komplex, dass ich mir kein abschließendes Urteil darüber erlaube. Was aber in unserem Land überhaupt nicht geht ist der pure Judenhass, der jetzt bei einigen Demonstrationen gezeigt und ausgelebt worden ist. Da müssen wir in Deutschland besonders sensibel sein. Da muss der Staatsschutz gegen alle Verantwortlichen ermitteln. Ich war erschrocken, dort auch junge Demonstranten zu sehen die antisemitischen Parolen riefen, obwohl sie es besser wissen müssten, da sie doch in Deutschland die Schule besuchen. Da gibt es, wo noch Nachholbedarf, vor allem bei den Jugendlichen, die vielleicht in einem arabischen Umfeld sozialisiert, worden sind in denen dem Antisemitismus aus politischen Gründen zumindest weit verbreitet ist. Man darf auch nicht vergessen, dass die im Gaza-Streifen regierende Hamas eine Terrororganisation ist.  Wir müssen jüdisches Leben in Deutschland schützen! Frieden braucht Kommunikation und keine Waffen.“

Tuncers Stellvertreterin im Vorsitz des Integrationsrates, Medlina Al Ashouri stammt aus einer palästinensischen Familie. Für sie stellt sich der aktuelle Konflikt so da: „Sich gegen die Palästinapolitik Israels zu äußern, welcher Vertreibungen, illegalen Siedlungsbau und Unterdrückung an Palästinenser:innen ausübt, ist kein Antisemitismus. Sich gegen Juden zu äußern allerdings schon. Sidenote: Human rights watch hat Israel der Apartheid bezichtigt. Der Vorwurf von Antisemitismus, genauer gesagt Judenhass, fungiert eher als Hindernis konstruktiv und offen eine Diskussion führen zu können. Der aktuelle Begriff des "eingewanderten Antisemitismus" ist gefährlich, da er nicht nur das Problem des jahrelangen Judenhasses und der Diskriminierung in Deutschland auf Neueingewanderte verschieben kann, sondern weil das auch wiederum muslimischen Hass fördert. Anti muslimischer Rassismus ist weltweit ein Problem, wo noch keinerlei Sensibilität herrscht.  Die teilweise einseiten Berichterstattungen in den Medien befeuern diesen nur. Es gab beispielsweise keinerlei Berichte über die überwiegend friedlich verlaufenden Demonstrationen in Deutschland und weltweit. Stattdessen gibt es große Diskussionen über einevkleine Minderheiten unter den Demonstrantinnen, die sich Judenfeindlich geäußert haben.“

Hier möchte ich darauf aufmerksam machen, dass nicht nur Angehörige der muslimischen Community an Demonstrationen teilgenommen haben, sondern durchaus auch diese der jüdischen und christlichen Community. In Israel gibt es ebenso starke Spaltungen, da viele die herrschende Politik nicht unterstützen.
Ich möchte an die Menschen appellieren auf Pauschalisierungen zu verzichten. Sowohl bezüglich Juden als auch Muslimen. Historisch gesehen solidarisiert sich Deutschland natürlich verpflichtend dem Staat Israel. Doch es darf nicht zugelassen werden, dass das Verbrechen an Palästinenser:innen unterstützt und vertuscht wird. Es gab beispielsweise in den deutschen Medien keinerlei Informationen über die Anschläge auf die Al-Aqsa Moschee in Jerusalem am Ende des Fastenmonats Ramadan. Wo betende Menschen eingesperrt wurden und mit Granaten abgeworfen wurden. Das war die Antwort Israels auf die Demonstrationen gegen die Vertreibung der Familien aus deren Häusern in Sheikh Jarrah.

 

Peter Wolfmeyer leitet das Kompetenzteam Kfar Saba im Förderverein Mülheimer Städtepartnerschaften. Er hat aus der Partnerstadt, die durch eine Mauer von der palästinensischen Nachbargemeinde Qalqilya  getrennt ist, erfahren, dass man auch dort aufgrund von Raketenalarm Schutzräume aufsuchen musste. „Das ist nicht der erste Konflikt dieser Art, den wir miterleben müssen und der unsere für Oktober geplante Bürgerfahrt nach Kfar Saba infrage stellt. Aber noch hoffe ich, dass der Konflikt bis dahin wieder entschärft werden kann. In Kfar Saba hat man nicht von  ungefähr eine Mauer errichtet, weil man dort nicht zum ersten Mal mit der Bedrohung durch palästinensische Angriffe leben muss. Ich erinnere mich noch gut an einen Jugendaustausch, den wir als Förderverein 1999 mit Jugendlichen aus Mülheim, Kfar Saba und Qalqilya  durchgeführt haben. Das war eine großartige Sache. Der palästinensische Bürgermeister von Qalqilya hat damals auch seinen Sohn mit nach Mülheim geschockt. Leider war man damals im Rathaus von Kfar Saba an der Fortsetzung solcher Begegnungen nicht interessiert.“ Wolfmeyers Vorgänger, als Kompetenzteamleiter Kfar Saba, der evangelische Religionspädagoge Gerhard Bennertz, bedauert die Tatsache, „dass dieser aktuelle Konflikt völlig unnötig aus nichtigen Gründen begonnen worden ist. Ein Funke, der das Pulverfass explodieren ließ war der Streit zwischen jüdischen und arabische Israel um ihr Wohnrecht in Häusern im Grenzbereich zwischen West- und Ost-Jerusalem.“

Der vormalige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde und Mülheimer Ehrenbürger, Jaques Marx, der zur Generation der Holocaust-Überlebenden gehört, sagt: „Das ist eine furchtbare Situation für uns Juden. Tatsache ist, dass wir unschuldig sind und nichts dafürkönnen, dass in Israel Krieg ist. Krieg ist eine schlimme Sache. Ich bin Mülheimer mit einem deutschen und einem französischen Pass. Wir bringen als jüdische Bürger in Deutschland unsere Leistung und wollen dafür toleriert werden. Ich möchte in den Nahost-Konflikt  nicht hineingezogen werden. Ich bin Europäer. Aber ich möchte mich auf die Seite Israels stellen. Ich tue dies nicht, weil Israel mein Land ist, sondern weil ich ein vernünftig denkender Mensch bin. Denn das, was die Hamas und die Hisbollah wollen, ist für mich einfach nicht logisch und macht keinen Sinn. Sie haben 1000de von Raketen. Woher kommen die? Die Israelis haben einen großartigen Staat aufgebaut und das neiden ihnen Manche. Sie provozieren, weil sie besser sind. Auch den Palästinensern, die in Israel leben geht es besser. Sie haben dort auch ihre eigene Partei, sind aber, zugegeben, gesellschaftlich nicht ganz gleichberechtigt.“

Die unter anderem im Mülheimer Friedensforum und für das Mülheimer Friedensgebet  engagierte Angelika Romeik, ist unmittelbar vom Krieg im Nahen Osten betroffen. Denn ihre Tochter lebt mit ihrem palästinensischen Ehemann und den gemeinsamen sechs Kindern seit 2011 im Gazastreifen lebt. Sie hält via Telefon und Internetkontakt zu ihrer Familie im Kriegsgebiet. Sie sieht den Konflikt so: „Man darf nicht vergessen, dass auch den Palästinensern 1947 von den Vereinten Nationen ein eigener Staat im Nahen Osten versprochen worden ist. Und man darf auch nicht glauben, dass alle Einwohner des Gazastreifens Anhänger der Hamas sind. Ich habe dort viele Menschen kennengelernt, die wissen, dass dieser Konflikt nur gewaltfrei und doch Gerechtigkeit für alle Menschen zu beenden ist. Doch die anderen werden immer lauter und uns fehlen zurzeit die Machthaber, die daran interessiert wären. Das hat auch viel mit  den wirtschaftlichen Interessen des internationalen Waffenhandels zu tun. Wir hören von unseren Kindern, dass  sie nachts nicht schlafen können, weil die Erde bebt und wackelt. Wasser und Strom sind rationiert. Die Fensterscheiben zerbrechen durch die Druckwellen der Luftangriffe. Unsere Kinder und ihre Nachbarn können nicht vor der Gefahr fliehen, morgen nicht mehr wach zu werden. Sie haben keinen sicheren Ort. Sie wissen nicht, wo die nächste Bombe einschlägt. Es gibt keine Bunker und die UNO-Schulen sind überfüllt, weil viele Häuser unter den Bomben zusammenbrechen und die Menschen obdachlos sind.“

Dr. Yousef Ribhi, Vizepräsident der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft meint: „Der Konflikt ist bedauerlicherweise eskaliert. Und ich fürchte, dass er weiter eskalieren wird. Die internationale Gemeinschaft muss Druck auf Israel ausüben, um diesen Krieg zu beenden. Die Haltung der deutschen Regierung ist in diesem Konflikt sehr passiv. Sie kann nicht nur das Selbstverteidigungsrecht Israels unterstützen. Sie muss auch das Recht der Palästinenser unterstützen, in Frieden und Gerechtigkeit zu leben.“ Und Bürgermeister Markus Püll, der als Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft schon mehrfach Schülergruppen durch Israel begleitet hat, resümiert: „Es ist traurig, dass der Nahostkonflikt jetzt wieder eskaliert ist und so viele Menschen ihr Leben verlieren. Dieser Konflikt wäre nur zu beenden, wenn beide Seiten ein Stück ihrer Identität aufgeben. Aber dazu wird es nicht kommen, wenn Extremisten auf beiden Seiten auf ihren Maximalforderungen bestehen. Man kann nur Shalom sagen und auf Frieden und Vernunft hoffen.“ (T.E.)

Hintergrund: Christlich-Muslimischer Aufruf:

„Wir stehen an der Seite unserer jüdischen Geschwister“

 

Christliche und islamische Gemeinden in Mülheim an der Ruhr setzen sich für das friedliche Miteinander ein

Gemeinsam veröffentlichen das Katholische Stadtdekanat Mülheim, der Evangelische Kirchenkreis An der Ruhr, die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Mülheim, die Christusgemeinde Mülheim, die Gemeinde Mülheim der neuapostolischen Kirche und die Moschee Arrahma e.V. folgende Stellungnahme:

Mit Schrecken erfahren wir von den antisemitischen Vorkommnissen der letzten Tage. Geschehnisse wie zuletzt an den Synagogen in Gelsenkirchen, Bochum, Bonn oder Münster sind für uns nicht hinnehmbar. Wir können es gut verstehen, wenn Jüdinnen und Juden in diesen Tagen verängstigt sind. Ihnen wurde das Gefühl genommen, sich unbeschwert in der Stadt zu bewegen und die Synagoge zu besuchen. Das darf nicht sein. Daher stehen wir ganz besonders jetzt an der Seite unserer jüdischen Geschwister.

Als Religionsgemeinschaften, die Frieden als zentralen Wert ihrer jeweiligen Traditionen in höchstem Maße schätzen, sagen wir in aller Klarheit: Antisemitismus ist nicht zu dulden, Hetze - ganz gleich gegen welche Religion - hat keinen Platz in unseren Gotteshäusern und in unserer Gesellschaft.

Wir werden nicht aufhören, jedem zu widersprechen, der versucht, Hass zu sähen und unser Miteinander zu spalten. Wir stehen als Religionsgemeinschaften zusammen ein für friedlichen Dialog.


aus NRZ/WAZ, 20.05.2021

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