Dienstag, 25. Mai 2021

Das Arbeitserziehungslager am Flughafen

Vor 80 Jahren wurde am Flughafen zwischen Brunshof- und Windmühlenstraße ein sogenanntes Arbeitserziehungslager für 500 Häftlinge errichtet. Bis zur Auflösung des Lagers lebten und litten dort insgesamt etwa 8000 Menschen. 130 Menschen starben dort während ihrer Lagerhaft.

Seit 1996 erinnert dort eine in der Lehrwerkstatt der Mülheimer Röhrenwerke gefertigte Gedenktafel an das Schicksal der deutschen, niederländischen, belgischen, polnische, jugoslawische, französischen und ukrainischen Häftlinge, die während des Zweiten Weltkriegs am Flughafen unter unmenschlichen Bedingungen Tiefbauarbeiten und Erdbewegungen ausführen mussten. „Vor allen aus den Niederlanden erreichen uns immer wieder viele Anfragen von Menschen, die die Lebensgeschichte ihrer Väter und Großväter erforschen möchten“, sagt Stadtarchivar Jens Roepstorff.

Am 17. Mai berät jetzt der Kulturausschuss des Rates über einen Antrag, in dem die CDU und die Grünen fordern, die Gedenktafel an der Windmühlenstraße zu renovieren und mithilfe örtlicher Stiftungen und Künstler eine zentrale Erinnerungsstätte für jene 25.000 Menschen zu schaffen, die während des Zweiten Weltkrieges in unterschiedlicher Form Zwangsarbeit leisten mussten.

Zum Teil unter Vorspiegelung falscher Tatsachen angeworben und zum Teil gewaltsam verschleppt, mussten die sogenannten Fremdarbeiter in Industriebetrieben, in der Landwirtschaft, in Krankenhäusern, in privaten Haushalten, im Wasserwerl, in der Stadtverwaltung und eben auch am Flughafen die Lücken schließen, die die als Wehrmachtssoldaten an der Front kämpfenden Männer oder die im Kriegshilfsdienst eingesetzten Frauen hinterlassen hatten.

Das Lager am Flughafen, der mit Kriegsbeginn zum militärischen Fliegerhorst ausgebaut wurde, war eines von stadtweit 55 Lagern. Von hohen Hecken und einem Stacheldraht umgeben, war das Geheimen Staatspolizei unterstehende und von Polizeibeamten bewachte Lager kein klassisches Zwangsarbeiterlager. Ins Arbeitserziehungslager wies die GESTAPO Menschen ein, die sich als sogenannte „Arbeitsscheue“ und „Bummelanten“ sogenannter „Arbeitsvergehen“schuldig gemacht hatten.

Im Arbeitserziehungslager, in dem Verhältnisse wie in einem Konzentrationslager herrschten, konnten Menschen landen, die zu spät zur Arbeit gekommen waren, zu langsam und zu wenig gearbeitet hatten, ihren Arbeitsplatz zu früh verlassen hatten. Vor allem niederländische Zwangsarbeiter versuchten immer wieder, sich über die nahe Grenze in ihre Heimat abzusetzen. Die meisten von ihnen wurden aber aufgegriffen und landeten dann im Arbeitserziehungslager.

Dort mussten sie bei kargem Essen (Brot und Suppe) täglich zwölf Stunden schwerste körperliche Arbeit leisten. Ab 21 Uhr wurden sie in ihren nur mit einem Ofen beheizten Wohnbaracken eingeschlossen. Weil die sanitären Einrichtungen und damit die hygienischen Verhältnisse mehr als unzureichend waren, brachen im Arbeitserziehungslager immer wieder Krankheiten aus. So wurde das Lager am Flughafen zwischen Oktober 1943 und Januar 1944 wegen eines Fleckfieberausbruchs unter Quarantäne gestellt. Hinzu kamen die Misshandlungen durch das Wachpersonal.

Die Repressalien reichten vom Essensentzug über Tritte und Schläge bis hin zum Nackt-Appellstehen und zur sogenannten Sonderbehandlung. Mit diesem Begriff bezeichnete die GESTAPO Erschießungen. Die Haftzeit im Arbeitserziehungslager war in der Regel auf sechs Wochen beschränkt. Aber nach ihrem Ende wurden viele Gefangene nicht wieder an ihren alten Arbeitsplatz entlassen, sondern in ein Konzentrationslager eingewiesen.

Die Wachmannschaften und Lagerleitungen wurden nach 1945 nicht zur Rechenschaft gezogen. Und es sollte bis zum Jahr 2000 dauern, ehe die Bundesrepublik Deutschland und deutsche Unternehmen die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft gründeten, aus deren Mittel ehemalige Zwangsarbeiter finanziell entschädigt wurden.

 Ein Zeitzeuge erinnert sich:

Im Mülheimer Jahrbuch 1997 erinnert sich Prof. Dr. Karl Gerhard  Lickfeld an Beobachtungen, die er als Schüler am AEL Flughafen gemacht hatte:

„Auf der Hinfahrt mit der Straßenbahn pflegte ich an der Haltestelle Windmühlenstraße auszusteigen. Als ich an einem sehr kühlen Nachmittag dort ausstieg, befand ich mich schon in der anfänglichen Steigung der Straße hinter einem Lagerinsassen, an dessen rechter Seite ein bewaffneter Polizist schritt. Da hatte ich nun die Bekleidung des Gefangenen dicht vor mir, die um seinen Körper flatterte. Da schlug in seinem Gehrhythmus eine Metallschüssel, an einer um seine Taille geschlungen Kordel befestigt, gegen seinen Körper. Da sah ich dicht vor mir seine nackten Füße in primitiven hölzernen Sandalen ohne Fersen. Kein Wort fiel zwischen den Männern. In der Nähe des Lagers trennten sich unsere Wege. Die Häftlinge schufteten im Südwestbereich des Flughafens. Ganz offensichtlich ging es bei den rein manuellen Erdarbeiten darum, das Niveau des gewachsenen Geländes dort auf das Niveau des Bereiches dort befindlichen Flughafens zu erhöhen. Von Hand mit braunem Erdreich gefüllte Lorent wurden von Hand zum Abladeplatz geschoben. An einem unvergesslichen Tag sah und beobachtete ich auf dem Weg zur Haltestelle der Straßenbahn im Gelände der Erdarbeiten eine Häftlingsgruppe von etwa 10 bis 15 Männern, die zuschauten, gewiss wohl zuschauen mussten, wie ein sich in ihrer Mitte befindlicher Leidensgefährte von einem uniformierten Bewacher mit einem Knüppel zusammengeschlagen wurde, offensichtlich mit voller Kraft und kräftig Schwung nehmend. Die Hiebe, die auch auf den Schädelbereich zielten, strecken das Opfer zu Boden. Dieses für den nationalsozialistischen Polizeistaat typische symbolhafte Erlebnis hat mich völlig aus dem seelischen Gleichgewicht geworfen. Heute noch ist es ein unauslöschliches hervorstechendes Bild des Schreckens, neben manchen anderen, die Zukunft damals für mich bereithielt.“


aus NRZ/WAZ, 13.05.2021

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