„Die Menschen haben sich in den letzten
100 Jahren nicht verändert. Sie waren immer schon so dumm und so klug, wie sie es
sind. Wir haben das vergessen. Aber jetzt wird das alles durch das Internet und
die Sozialen Medien öffentlichkeistwirksam hochgespült.“ So bringt ein Zuhörer
im Kardinal-Hengsbach-Saal der katholischen Akademie Die Wolfsburg die Konsequenzen
der digitalisierten Medienwelt des Jahres 2020 auf den Punkt.
Auf dem Podium beleuchten die Journalisten Jürgen Domian
(WDR), Joachim Frank (Kölner Stadtanzeiger), Medienwissenschaftlerin Marlis
Prinzing, der Politikwissenschaftler und Publizist Andreas Püttmann und die
Kommunikationswissenschaftleri n und Bloggerin Daniela Sprung die Sonnen- und
Schattenseiten der digitalen Medienwirklichkeit, die den Journalismus in ganz
neuem Licht erscheinen lässt. Die Diskussion zeigt: Es gibt kein Schwarz. Es
gibt kein Weiß, sondern viele Grautöne und eine große Buntheit mit vielen
Baustellen.
„Wir sind noch in einem Übergangs- und Lernprozess. Die Digitalisierung
hat auch uns schreibenden Journalisten ungeahnte Reichweiten verschafft. Aber bisher
ist die Frage unbeantwortet, wie Qualitätsjournalismus im Print-Bereich
angemessen bezahlt werden soll, da die Verlage bisher nicht an der
Solidarabgabe für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk partizipieren“, sagt
Joachim Frank, Mitglied des Zentralkommitees Deutscher Katholiken und
Vorsitzender der mitveranstaltenden Gesellschaft katholischer Publizisten. Er
weist darauf hin, dass die Digitalisierung den Aufstieg von Politikern á la US-Präsident
Donald Trump, die die Politik in die 140 Zeichnen einer Twitter-Nachricht
ordnen, erst möglich gemacht habe. Nach Ansicht des Journalisten und
Buchautoren wird die Computertatstatur in Zeiten von Twitter, Facebook und Instagram
immer öfter wie ein mittelalterlicher Morgenstern eingesetzt. Frank plädiert für
„spürbare Folgen“, auch in Form eines SEK-Einsatzes, wenn Internetnutzer die
Anonymität des Netzes zum Beispiel dazu benutzen, um Politiker mit dem Tod zu
bedrohen.
WDR-Mann Jürgen Domian hat angesichts mancher erschreckend
menschenverachtenden Zuhörer- und Zuschauer-Tweets den Eindruck gewonnen, „dass
manche Menschen in der Anonymität des Netzes ihren Anstand verlieren und Dinge
rausrotzen, die sie sich im normalen Leben niemals zu sagen trauten. Mit Blick
auf den Medienkonsum der jungen Generation, weg von Fernsehen, Hörfunk und
Zeitung, hin zu Internet und Netz-Plattformen á la Youtube, sieht Domian die
klassischen Medien unter einem verstärkten Digitalisierungsdruck, „weil unsere
Medienangebote heute internetkompatibel sein müssen, um auch das junge Publikum
noch zu erreichen.“ Kritisch sieht Domian, dass der Einfluss zum Teil extremer
Ansichten, die durch das Internet in die Öffentlichkeit transportiert werden,
auch differenziert und solide arbeitende Medienmacher „nervöser gemacht hat.“ Auch
markanten Politiker-Persönlichkeiten wie Franz-Josef Strauß, Herbert Wehner und
Helmut Schmidt wären, so glaubt Domian, in Zeiten der digitalen „Empörungswellen
heute schnell wieder von der Bildfläche verschwunden. Auf der anderen Seite
räumt der Hörfunk- und Fernsehmoderator ein, „dass das Internet und die
Sozialen Medien unsere Gesellschaft demokratischer gemacht haben und wir
deshalb eine neue Meinungsvielfalt aushalten müssen.“
„Wir brauchen mehr Medienkompetenz und einen Minimal-Kodex
für das im Internet publizierende Publikum“, fordert Medienwissenschaftlerin
Marlis Prinzing. In der digitalisierten Medienwelt sieht sie nicht nur Journalisten,
sondern auch Mediennutzer in der Verantwortung. strafwürdige Entgleisungen im
Internet dürften nicht nur gelöscht, sie müssten auch angezeigt und verfolgt
werden. Generell ist die Medienwissenschaftler im Angesicht der multimedialen
Welt davon überzeugt, „dass wir heute in unserer Demokratie mehr denn je einen fundierten
Journalismus brauchen, der in der Lage ist, Fakten zu bewerten und einzuordnen.“
Positiv sieht die Professorin, „dass die Digitalisierung auch mehr Recherche-
und Vermittlungsmöglichkeiten geschaffen“ habe.
Auch der im Kurznachrichtendienst Twitter sehr aktive
Journalist und Politikwissenschaftler Andreas Püttmann möchte die Vorteile des Internets
nicht mehr missen. Dennoch fordert er einen wehrhafteren Staat, der die
Demokratie auch mit dem Mittel der ausgedehnten Datenvorratsspeicherung vor Extremisten
schützt, „die mit ihrem im Netz verbreiteten Hass-Botschaften unsere
Gesellschaft vergiften und selbst in bildungsbürgerlichen und christlichen
Kreisen die Radikalisierung fördern.“ Ein Staat kann nach Ansicht Püttmanns „genauso
kippen wie ein See, wenn seine Ökologie vergiftet wird.“ Wie Professorin
Prinzing, die die von ihm geforderte Ausweitung der Datenvorratsspeicherung ablehnt,
sieht Püttmann die mit einer Personalausdünnung, zunehmend prekären
Arbeitsverhältnissen und Arbeitsverdichtung einhergehende Strukturveränderung
der Medienlandschaft als existenzielle Gefahr für die journalistische Qualität.
Die Bloggerin und Kommunikationswissenschaftleri n Daniela Sprung
sieht seriöse Medien, aber auch staatliche Behörden, heute in der Pflicht, ihre
Internetseiten so publikumswirksam und interaktiv zu gestalten, dass sie in der
Meinungs- und Informationsvielfalt des Netzes auch bestehen und ihre
Botschaften an die Frau und den Mann bringen könnten. Eine gute und breite
Medienbildung auf allen gesellschaftlichen Ebenen und in allen Altersgruppen
ist für Sprung die in der digitalen Mediengesellschaft lebensnotwendige „Fähigkeit,
Informations- und Meinungsquellen gegeneinander abwägen und einordnen zu
können.“ Die Probleme des Internets sieht sie als menschengemacht an und warnt
deshalb auf einer grundsätzlichen Ablehnung des Internets. Vielmehr fehle es,
so Sprung, bei vielen Medienmachern und Plattform-Betreibern zu oft an „Haltung,
Führung und klaren Ansagen.“ Unabhängig von der journalistischen Qualität sieht
sie in der digitalen Medienwelt einen Trend zu kurzen und schnellen Informationen.
Dies, so Sprung, habe zum Beispiel die CDU bei ihrer Reaktion auf die Angriffe
des Video-Bloggers Rezo sträflich mussachtet.
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