Samstag, 25. April 2020

In Memoriam Norbert Blüm


Einsichten eines politischen Christenmenschen



Der ehemalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm gab auf Einladung des Medienforums und der Pax-Bank seine reichen Lebenserfahrungen weiter



Essen. Es lohnt sich Rentnern zuzuhören. Vor allem dann, wenn Sie ihre Lebenserfahrungen, so wie der ehemalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (82) so geistreich und pointiert vortragen können, dass es für die Zuhörer erbaulich und unterhaltsam zugleich sein kann.


Mit einer Mischung aus Lesung und Gespräch fesselten Norbert Blüm und Moderatorin Vera Steinkamp die vom Medienforum des Bistums und von der Pax-Bank eingeladenen Zuhörer in der fast vollbesetzen Aula des Generalvikariates.


Da erfuhr man nicht nur, dass Norbert Blüm seit 30 Jahren Mitglied von Borussia Dortmund ist und sich auch eine Berufskarriere als Kapitän hätte vorstellen können. Man spürte in seinen spontanen Erzählungen und in den Lektionen aus seinem Vermächtnis-Buch: „Verändert die Welt, aber zerstört sie nicht“, dass da nicht nur ein Ex-Politiker sein Buch vorstellen, sondern ein Mensch seine Botschaft vom Primat der Liebe und dem Frieden zwischen Mensch und Natur.


Bewegend, wie sich Blüm, an die Bombennächte des Kriegsjahres 1943 erinnerte, die er als Achtjähriger erlebte „und bis heute wie einen Film im Kopf“ mit sich trägt. Seine Konsequenz: Ein glühendes Ja zu Europa und ebenso energisches Nein zu allen Nationalismen. O-Ton Blüm: „Der Nationalismus hat noch kein Problem gelöst oder wollen Sie das Ozonloch nur über Gelsenkirchen schließen?“ oder: „Wenn wir es als 500 Millionen Europäer in der Europäischen Union nicht hinbekommen, fünf Millionen Flüchtlinge aufzunehmen, dann können wir den Laden zu machen.“

Mit Blick auf den Ressourcenverbrauch und die Ideologie des unbegrenzten Wirtschaftswachstum sagt Blüm: „Ein weiter so kann es nicht geben!“ In der aktuellen Politik vermisst der soziale Christdemokrat und ehemalige Bundesminister vor allem „die Ausdauer, an einer Sache dran zu bleiben!“ Ausdauer und Hartnäckigkeit, verbunden mit einem unbedingten Ja zur Liebe wünscht Blüm denn auch nicht nur seinen Enkeln, sondern auch allen anderen Mitmenschen. „In meiner Lehrzeit bei Opel habe ich gelernt: Immer nur ein Werkstück im Schraubstock zu bearbeiten und es solange zu feilen, bis es rund ist. Ohne diese Lektion in Ausdauer und Hartnäckigkeit hätte ich die CDU nie überlebt“, sagt der ehemalige Vorsitzende der CDU-Sozialausschüsse und weiß damit den Applaus und die Lacher auf seiner Seite.


Hartnäckigkeit und Ausdauer scheinen auch in Blüms Erinnerung an seine Begegnung mit dem chilenischen Militärdiktator Augusto Pinochet durch. In einem Gespräch, in dem Pinochet sich zunächst hinter der Fassade des aufrechten Antikommunisten und des täglich betenden Christen verbarg, konfrontierte Blüm ihn mit seinen Folteropfern und fragte ihn: „Was wollen Sie Gott antworten, wenn er Sie fragt: ‚Was hat du den geringsten meiner Brüder getan?‘“ Das Gespräch blieb nicht ohne Wirkung auf den Diktator und veranlasste ihn 16 zum Tode verurteilte chilenische Oppositionelle nach Deutschland ausreisen zu lassen.


Eine von Blüms Geschichten zum Hinhören und Aufhorchen war auch die von seinem kommunistischen Onkel Adolf, der im Krieg von seinem Vorgesetzten, einem katholischen Kirchenvorstand denunziert wurde, weil er heimlich russische Zwangsarbeiterinnen mit Lebensmitteln versorgt hatte und dafür zwei Jahre im KZ überleben musste.

Die vielleicht wichtigste politische und menschliche Botschaft, die Norbert Blüm, seinen Zuhörern im Generalvikariat mit auf den Heimweg gab, war wohl die, „dass eine Gesellschaft, in der jeder nur seinen eigenen Vorteil sucht, nicht funktionieren kann, weil wir alle von der Wiege bis zu Bahre aufeinander angewiesen sind.“ Den Menschen im Ruhrgebiet bescheinigte der Rheinländer in diesem Zusammenhang die wegweisende Toleranz eines Schmelztiegels, in dem die Menschen gemeinsam arbeiten, Herausforderungen annehmen und dabei „leben und leben lassen.“

Dieser Text erschien am 24. März 2018 im Neuen Ruhrwort


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Ein Mini-Malta an der Ruhr

Wo heute der Nachwuchs bei der Arbeiterwohlfahrt seine Freizeit verbringt, schoben im alten Wachhaus der Wraxham Baracks von 1945 bis 1994 S...