Samstag, 11. April 2020

Als die Amerikaner kamen

11. April 1945: Soldaten der 17. amerikanischen Luftlandedivision marschieren am frühen Morgen in Mülheim ein und beenden damit für die 88.000 Menschen, die in der Trümmerstadt an der Ruhr leben, den Krieg. Bei Kriegsbeginn hatte die Stadt noch fast 137.000 Einwohner. Wenige Tage vor dem Einmarsch hat Oberbürgermeister Edwin Hasenjäger die städtischen Lebensmittelvorräte auflösen und an die Bürger verteilen lassen. Die Stadt hat mit dem Krieg 160 Luftangriffe überlebt. 4600 Mülheimer haben den Krieg nicht überlebt. Noch am Tag vor dem amerikanischen Einmarsch sterben acht Mülheimer durch Artilleriebeschuss und Granaten an der Sandstraße und an der Liebigstraße. 3100 Mülheimer gelten bei Kriegsende als vermisst. 800.000 Kubikmeter Schutt liegen auf den Straßen der Stadt. Jedes dritte Haus ist zerstört. Bis zur bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht wird es noch einmal fast einen Monat dauern. Die 183. Volksgrenadierdivision der Wehrmacht hat sich nach Mintard und auf den Auberg zurückgezogen. Von dort aus nehmen sie die amerikanischen Truppen unter Beschuss, ohne damit militärisch etwas ausrichten zu können. Auch die Sprengung fast aller Ruhrbrücken sowie die Thyssen- und die Siegfriedbrücke halten die Amerikaner nicht auf. Nur die Schloßbrücke, unter der wichtige Versorgungsleitungen verlaufen,  übersteht das Kriegsende, weil Unteroffizier Rudolf Steuer die ihm befohlene Sprengung nicht ausgeführt hat. Dafür bedankt sich die Stadt später bei ihm, in dem sie ihm beim Wiederaufbau seines Hauses hilft. Auch der Verwaltungsrat Reichert macht sich verdient, indem er in Styrum die Sprengung des Wasserwerks verhindert.


Die amerikanischen Truppen rücken von Essen aus über die Aktienstraße, aber auch über die Mellinghofer- und die Oberhausener Straße sowie über den Dickswall bis in die Innenstadt vor. Kinder laufen den US-Soldaten mit weißen Taschentüchern entgegen und werden von ihnen mit Schokolade beschenkt. Am Dickswall kommt es zu einzelnen Schusswechseln mit den letzten Männern des Volkssturms. An der Ecke Leibnitzstraße/Kämpchenstraße feuert ein Mann des deutschen Volkssturms eine Panzerfaust ab, trifft damit aber nur ein Haus. Daraufhin nehmen die GI den Straßenzug mit ihren Maschinengewehren unter Feuer und durch später die angrenzenden Häuser. Doch das sind Rückzugsgefechte, die keine militärische Bedeutung mehr haben. Auch die von Volkssturmmännern als Panzersperren auf der Duisburger Straße aufgestellten Straßenbahnwagen bleiben wirkungslos. Die Amerikaner können sie ebenso mühelos bei Seite räumen wie die Bäume, die als provisorische Panzersperren an der Aktienstraße gefällt worden sind . Im Wehrbezirkskommando an der Kämpchenstraße nehmen Gis den Standortältesten Oberst Stein und seinen Kommandostab fest.


Um 9.40 Uhr übergibt Major Harry J. Mrachek als Befehlshaber der amerikanischen Truppen dem damaligen Oberbürgermeister Edwin Hasenjäger die ersten Bekanntmachungen und setzt seinen Kameraden Major Keene als ersten Stadtkommandanten ein. „Gehen Sie nach Hause, damit Sie nicht in Gefahr kommen“, verbreiten die Gis per Lautsprecherdurchsagen. Zu den ersten Maßnahmen der amerikanischen Militärregierung, die im Juni durch eine britische ersetzt wird, ist die Einquartierung der Zwangsarbeiter in den Kasernen an der Kaiserstraße und am Steinknappen. Die insgesamt rund 1000 Zwangsarbeiter haben zuvor in Barackenlagern gelebt und sind plötzlich frei, nachdem sich ihre Bewacher abgesetzt haben. Wohl wissend um das Unrecht, das den nach Deutschland verschleppten Menschen in ihrer Stadt widerfahren ist, haben viele Mülheimer jetzt Angst vor Plünderungen und Übergriffen. Tatsächlich werden in den Tagen nach dem amerikanischen Einmarsch zum Beispiel die Lebensmittel-Magazine der Styrumer Röhrenwerke und die entsprechenden Magazine in der Kaserne an der Kaiserstraße geplündert. Wenige Wochen nach ihrem Einmarsch beginnen die Amerikaner in Mülheim damit, ehemalige NSDAP-Mitglieder aus ihrem Dienst in der Stadtverwaltung zu entlassen. Einer von 274 städtischen Beschäftigten, die aufgrund ihrer Parteimitgliedschaft bis 1946 ihre Stelle verlieren, ist Oberbürgermeister Edwin Hasenjaeger. Obwohl die britische Militärregierung als „unbelastet“ einstufte und ihn im Oktober 1945 ins Amt zurückholte, musste er im April 1946 auf Druck von SPD und KPD als OB zurücktreten. 

Dieser Text erschien am 11. April 2020 in NRZ und WAZ

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