Donnerstag, 13. August 2015

Der Steuermann: Martin Knaebel

Ruhrschifffahrtskapitän Martin Knaebel

Sie kenne ich doch. Fahren Sie nicht sonst auf der Weißen Flotte?“ Diese Frage hört Martin Knaebel immer wieder, wenn er zwischen November und April eine Straßenbahn oder die U-Bahn-Linie 18 steuert. Kein Wunder. Denn seit 28 Jahren fährt er im Frühjahr und im Sommer mit der Weißen Flotte, erst als Bootsmann und seit 1999 als Ruhrschifffahrtskapitän.

„Inzwischen bin ich unter den Schiffsführern und Bootsleuten der Weißen Flotte der Dienstälteste“, sagt der 57-jährige Familienvater. Als seine inzwischen erwachsenen Söhne noch klein waren, ließen sie sich vom Vater gerne mal mitnehmen auf die Reise vom Wasserbahnhof Mülheim bis zur Kettwiger Schleuse und wieder zurück. „Bezahlen mussten sie dafür natürlich nicht“, sagt der Kapitän mit einem Augenzwinkern. Inzwischen kostet die einfache Schiffsfahrt zwischen Mülheim und Kettwig, je nach Wochentag zwischen 5 und 6,50 Euro. „Ich wollte eigentlich nicht das ganze Schiff kaufen“, muss sich der Kapitän da schon mal anhören. Dann verweist er gerne auf die Zehnerkarte, die man für 50 Euro bekommen kann oder auf das Jahresticket für 99 Euro. Knaebel zählt einige Stammgäste, „die sich eine Jahreskarte gönnen und zweimal pro Woche mit uns fahren.“

Wenn man in der Steuerkabine neben dem Kapitän und seinem Lenkrad, das hier Haspel heißt, sitzt, mit 13 Km/h über die Ruhr tuckert und dabei ins grüne Ruhrtal und auf den Leinpfad schaut, ist das wie die Entdeckung der Langsamkeit. „So wie du arbeitest, möchten manche Urlaub machen“, hört Knaebel immer wieder. „Andere gucken den ganzen Tag in ihren Computer. Ich schaue auf das Wasser oder ins Grüne“, sagt der Kapitän. Er räumt ein: „Mit einem Schiff auf der Ruhr zu fahren, wo man auf keine Autos, Ampeln, Schilder und achtlos über die Straße laufenden Kinder achten muss, ist erheblich entspannter, als mit der Straßenbahn unterwegs zu sein und nach der Fahrt erst einmal leere Bierflaschen und weggeworfene Pizza-Pappen aus dem Wagen räumen zu müssen.“

Doch der Arbeitsalltag eines Ruhrschifffahrtkapitäns ist nicht immer das reine Vergnügen. Kurz bevor die von Knaebel gesteuerte Friedrich Freye am Wasserbahnhof ablegen soll, stürzt ein Junge im Unterdeck die Treppe hinunter und verletzt sich. Der Kapitän, zu dessen Ausbildung auch eine Erste-Hilfe-Kurs gehört, kümmert sich um den Verletzten und ruft einen Rettungswagen. Glück im Unglück, eine Krankenschwester ist an Bord und hilft ihm. Doch es geht nicht ohne Rettungswagen. Der Unfall verzögert die Abfahrt. Doch die Fahrgäste bleiben ruhig. Sie genießen den Sonnenschein.

„Als Kapitän ist man immer mit Leuten unterwegs, die zu 98 Prozent sehr entspannt und freundlich sind, weil sie meistens frei haben und sich erholen wollen. Das ist bei der Straßenbahn ganz anders. Da zeigen einem die Leute schon mal die Uhr oder den erhobenen Zeigefinger, wenn man fünf Minuten zu spät kommt“, erzählt Knaebel, als wieder Ruhe eingekehrt ist und er das Schiff in Richtung Kettwig lenkt. Immer zwischen den beiden Tonnen, die seine Fahrrinne auf der Ruhr markieren. Zwischendurch winkt er zurück, wenn Leute vom Ufer grüßen.

Solche Unfälle, wie an diesem Tag „passieren“, wie er sagt „Gott sei Dank extrem selten.“ Bei ihm ist in 28 Jahren noch niemand über Bord gegangen oder in die Schiffsschraube geraten. Allerdings musste er kürzlich einem gekenterten Kanuten einen Rettungsring zuwerfen, weil der offensichtlich nicht mehr aus eigener Kraft vom Fleck kam.

Auch als Straßen- und U-Bahnfahrer, da klopft er auf das Holz seines Steuer- und Schaltpults, ist ihm bisher noch kein Unfall mit Personenschaden passiert. „Aber davon kann sich niemand frei sprechen,“ weiß er. Und ihm ist ein Kollege im Kopf, der sich von der Straßen- und Stadtbahn zur Hafenbahn versetzen ließ, weil er den Schock nicht verwinden konnte, dass ihm in relativ kurzer Zeit gleich zwei lebensmüde Menschen vor die Bahn gesprungen waren.

Für Kapitän Knaebel, der seinen Urlaub im Frühjahr oder im Spätherbst nicht an der See, sondern bevorzugt in den Südtiroler Bergen verbringt, überwiegen in seinem Berufsalltag auf der Ruhr auf jeden Fall die angenehmen Erfahrungen. Immer wieder lassen sich Brautpaare, die an Bord der Weißen Flotte heiraten mit ihm an seiner Haspel fotografieren und kürzlich konnte er einer Dame gratulieren, die mit ihrer Familie an Bord ihren 99. Geburtstag feierte. „Wir haben hier schon öfter mal Fahrgäste aus Belgien, den Niederlanden und der Schweiz an Bord, aber an diesem Tag kam einer der Fest- und Fahrgäste sogar aus Brasilien“, berichtet Knaebel.

Dieser Text erschien am 8. August 2015 in der Neuen Ruhr Zeitung

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