„Ich habe
keine Erinnerung an meinen Vater. Trotzdem hat er meinem Leben Richtung und
Kontur gegeben“, sagt der am 9. Mai 1944 geborene Axel Smend. Sein Vater war der in Mülheim aufgewachsene und
zur Schule gegangene Günther Smend, der zu den Männern des 20. Juli gehörte und
deshalb am 8. September 1944 in Berlin-Plötzensee gehängt wurde.
„Was ich von
meinem Vater gelernt habe, obwohl ich ihn nie kennen gelernt habe, ist, dass
man dort, wo man im Leben steht, Verantwortung übernehmen und zu dem stehen muss,
was man selbst als richtig erkannt hat“, sagt der heute in Berlin lebende und
arbeitende Rechtsanwalt.
Verantwortung
hat der Vater von vier Kindern nicht nur privat, sondern auch gesellschaftlich
übernommen, in dem er sich seit vielen Jahren ehrenamtlich im Vorstand und im
Kuratorium der Stiftung 20. Juli engagiert. „Die Stiftung wurde bereits 1947 unter
der Federführung von Fabian von Schlabrendorff gegründet, der als Adjutant des
Generalmajors Henning von Tresckows, selbst zu den Männern des 20. Juli gehört
hatte. Ziel der Stiftung war es, den Überlebenden und Hinterbliebenen des 20.
Juli ein Forum und eine Anlaufstelle zu bieten. Hier und da wurde auch in
finanzieller Not geholfen. Heute versuchen wir mit Hilfe einer
Wanderausstellung und in Gesprächen mit Schülern im In- und Ausland den
deutschen Widerstand gegen Hitler zu thematisieren und so in Erinnerung zu
halten. Deshalb werden wir am 20. Juli auf den Spuren des Widerstandes in
Berlin auch eine Stadtrallye für Jugendliche veranstalten“, berichtet Smend.
Gerade in seinen zahlreichen Gesprächen mit Schülern erlebt der 70-jährige immer wieder, „dass Jugendliche neben ihren Detailfragen zum Attentat auf Hitler (Warum konnte man ihn nicht einfach erschießen?) auch den Bogen in die Gegenwart schlagen, wenn sie erkennen, dass auch wir heute in unserem Alltag immer wieder gefordert sind, Widerstandskraft, Initiative und Verantwortung zu übernehmen, um jeder Form von Rechtsextremismus, Rassismus, Intoleranz und Ungerechtigkeit rechtzeitig entgegenzutreten.“
Der
menschliche Zwiespalt zwischen „mutigem und vorangehenden Engagement und der
Tendenz, sich im Ernstfall lieber weg zu ducken“ bleibt für Smend zeitlos
aktuell. Auch wenn es für den Sohn eines
1944 hingerichteten Widerstandskämpfers „eine große Enttäuschung ist“, dass die
Mordtaten des nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) so lange unentdeckt
und ungesühnt geblieben sind, glaubt er, dass auch sein Vater mit dem heutigen
Deutschland zufrieden wäre. „Denn wenn wir heute im internationalen Vergleich
nach rechts und links schauen, haben wir doch eine gut funktionierende
Demokratie, die mit den Idioten, die immer noch den falschen Idealen des
Nationalsozialismus nachlaufen fertig werden kann und fertig werden muss.“
Dass der
bewusste und sensible Umgang mit der NS-Vergangenheit und das Lernen aus ihr
nicht immer selbstverständlich waren, weiß Axel Smend aus seiner eigenen
Biografie. „Während meine Mutter mit meiner 1940 geborenen Schwester Henriette,
mit meinem 1941 geborenen Bruder Rolf und mit mir sehr offen über die
Geschichte meines Vaters sprach und uns damit half, die Motive seines Handelns
zu verstehen und nachzuvollziehen, war der 20. Juli 1944 in meiner Schulzeit
kein Thema. Noch in den frühen 50er Jahren gab es Gerichtsurteile, in denen die
Männer um Claus Schenck Graf von Stauffenberg als Verräter bezeichnet wurden“,
erinnert sich Smend.
Bis heute
kann er es kaum fassen, dass die Witwe des bei einem Luftangriff am 3. Februar
1945 getöteten Volksgerichtshof-Präsidenten Roland Freisler vom ersten Tag an
eine Witwenrente bekam, während seine Mutter bis zum Ende der 50er Jahre darauf
warten musste, eine Witwenrente für sich und eine Halbwaisenrente für ihre
Kinder zu bekommen. „Bis dahin bekamen wir nur von der Stiftung 20. Juli finanzielle
Unterstützung, so dass uns unsere Mutter mit einer Stelle als Bürokraft
durchbringen musste“, erinnert sich Smend. Darüber hinaus wurden seine
Geschwister und er bereits 1947 von dem Schweizer Arzt Albrecht von Erlach zu
einem für die Halbwaisen der deutschen Widerstandskämpfer organisierten
Erholungsurlaub in die Schweiz eingeladen. „Das war für uns, die wir aus dem
hungernden Deutschland kamen, wie das Paradies, in dem Milch und Honig flossen“,
schwärmt Smend.
In der
Rückschau bleibt für ihn der Eindruck, dass sich in Deutschland erst während
der 60er Jahre die Einsicht durchgesetzt hat, dass der Widerstand, den sein
Vater und viele andere Menschen aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen
Bereichen Hitler entgegengesetzt haben, „dafür gesorgt hat, dass wir Deutschen
nach 1945 zumindest ein gewisse moralische Grundlage hatten, auf die wir
aufbauen konnten.“ Die neue Sicht auf den Widerstand gegen Hitler im
Allgemeinen und auf die Männer des 20. Juli wurde in Smends Augen vor allem
durch die Ermittlungen des jüdischen Frankfurter Staatsanwaltes Fritz Bauer im
Prozess gegen Otto Ernst Remer (1953) und durch die 68er Bewegung befördert.
Remer hatte als Offizier den Aufstand des 20. Juli 1944 niedergeschlagen und nach
1945 als rechtsextremer Politiker den Widerstand gegen Hitler als Verrat
verleumdet. Und die rebellierende Jugend fragte ihre Eltern 1968: „Was habt ihr
gewusst und was habt ihr getan?“
Für sich
selbst hat Smend im Rückblick auf das Leben und Sterben seines Vaters die
Einsicht mitgenommen, „dass ich mit meinen Alltagsproblemen relativ souverän
umgehen kann, weil sie sich angesichts der der existenziellen Nöte und Ängste,
die mein Vater zwischen seiner Verhaftung und seiner Hinrichtung durchleben musste,
doch sehr stark relativieren.
Günther
Smend wurde am 29. November 1912 in
Trier geboren und kam mit seiner Familie 1924 nach Mülheim. Hier lebte er mit
seinen Eltern und seinen jüngeren Geschwistern Rolf und Hella im Haus
Luisenthal 11, wo seit 2007 ein „Stolperstein“ des Kölner Künstlers Gunter
Demnig an den Mann aus dem militärischen Widerstand erinnert. Während seiner
Schulzeit am heutigen Otto-Pankok-Gymnasium, wo er 1932 das Abitur bestand, war
Smend als Ruderer und Läufer sehr erfolgreich und errang 1930 die
Stadtmeisterschaft im 5000-Meter-Lauf. Nach dem Abitur verließ er Mülheim in
Richtung Detmold, um wie sein Vater Julius, in einem Infanterieregiment Offizier
zu werden. Als Offiziersanwärter lernte er während seiner Zeit in Detmold auch
seine spätere Frau Renate von Cossel (1916-2005) kennen. Das Paar heiratete im
März 1939. Nach Kriegsbeginn kämpfte Smend unter anderem in Frankreich und
Russland, ehe er 1943 zum Besuch der Kriegsakademie nach Berlin abkommandiert und
im April 1943 zum Generalstab des Heeres befördert wurde. Ab Juli 1943
arbeitete er dort als Adjutant für den Generalstabschef des Heeres, Kurt
Zeitzler. Da Zeitzlers kritische Haltung zu Hitlers Kriegsführung bekannt war, wurde
Smend von Oberst Claus Schenck Graf von
Stauffenberg gebeten, Zeitzler zur Teilnahme am Staatsstreich gegen Hitler zu
bewegen. Der Versuch scheiterte und machte Smend in den Augen der Nazis zum
Mitwisser des gescheiterten Attentates. Am 1. August 1944 verhaftet, wurde er am
30. August 1944 vom Volksgerichtshof unter dem Vorsitz von Roland Freisler zum
Tode verurteilt und am 8. September 1944 in Berlin-Plötzensee erhängt. Seine
Frau und ihre drei Kinder, die damals in Lüneburg lebten, mussten ihre Wohnung
verlassen und in eine kleinere Wohnung umziehen. Alle Briefe und
Hinterlassenschaften ihres Mannes wurden ihr abgenommen. Elf Jahre später
besuchte Axel Smend mit seiner Mutter zum ersten Mal den Ort, an dem sein Vater
von den Nazis ermordet worden war. 2007 nahm er mit seinen Geschwistern und
seiner Tante Hella im Luisenthal an der Verlegung des Stolpersteines teil, der
dort bis heute an seinen Vater erinnert.
Dieser Text erschien am 19. Juli 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
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