Michael Könen hat sich gerade in Porto Alegre den
französischen 3:0-Sieg über Honduras angeschaut. Als nächstes stehen die
Partien Niederlande gegen Australien und Russland gegen Algerien auf seinem
WM-Spielplan. Doch der 46-jährige Wirtschaftswissenschaftler und Unternehmensberater
aus dem Ruhrgebiet ist zurzeit weniger als Fußballfan, denn als
Entwicklungshelfer im Süden Brasiliens unterwegs. Denn mit seinem Verein
Kindern helfen Kindern, grenzenlos unterstützt er seit mehr als 15 Jahren die
Sozial- und Jugendarbeit, die die Salesianer Don Boscos im Süden Brasiliens in
Belle Itajai, Viamao, Ascurra, Joinville, Curitiba und Guarapuava leisten. Über
die Motivation für sein persönliches Engagement und die soziale Lage im Land
der Fußballweltmeisterschaft äußerte er sich jetzt im Gespräch mit der
Tagespost.
Wie kam es zu Ihrem
persönlichen Engagement für die Salesianer Don Boscos im Süden Brasilien?
Vier Jahre nach meinem Abitur am Essener Don-Bosco-Gymnasium
habe ich 1992 in Brasilien einen Freund besucht und dabei die Sozialarbeit der
Salesianer in Belle Itajai kennengelernt. Im Jahr darauf machte ich dort ein
achtwöchiges Praktikum. Das war der Anfang.
Wir haben im Moment rund 50 Mitglieder, die durch ihre
eigenen Mitgliedsbeiträge und durch ihre Mund-zu-Mund-Propaganda, etwa in
Schulen, Gemeinden oder bei unterschiedlichen Veranstaltungen vom Festival
Brasil bis zum Weltkindertag jedes Jahr 5000 bis 10.000 Euro für die gute Sache
zusammenbringen.
Was ist die gute
Sache?
Die Salesianer Don Boscos betreiben im Süden Brasilien fünf
Sozialstationen, die alle in sogenannten Armenviertel (Favelas) liegen. Hier
bekommen Kinder und Jugendliche nicht nur eine Mahlzeit, eine werteorientierte
Erziehung und eine sinnvolle Freizeitgestaltung, sondern auch eine Schul- und
Berufsausbildung und damit eine Chance für ihr weiteres Leben.
Können viele diese
Chance nutzen?
Dort, wo die Salesianer arbeiten, entwickeln junge Leute
eine positive Lebenseinstellung, die sie an ihre Zukunft glauben und in ihre
Zukunft investieren lässt. Das sieht man schon daran, wenn die Menschen
beginnen, ihre Hütten durch den Bau eines Steinhauses zu ersetzen. Viele
brauchen noch nicht mal eine zwei- oder dreijährige Berufsausbildung als
Friseur, Bäcker oder Sekrtärin. Oft reicht schon der Anschub durch ein
mehrmonatiges Berufstraining, um ihnen einen Arbeitsplatz zu verschaffen.
Wie unterstützen Sie
diese Sozialarbeit?
Durch die 5000 bis 10.000 Euro, die wir jährlich als Spenden
zusammentragen und 1:1 den Salesianern im Süden Brasiliens zur Verfügung
stellen, konnten wir schon diverse Arbeitsgeräte von der Druckmaschine über
einen Backofen bis zum Lieferwagen, aber auch die Errichtung von Spiel- und
Sportplätzen, den Bau einer Begegnungsstätte oder die Anschaffung von
Schulmaterialien, Sportgeräten und Musikinstrumenten finanzieren. Das Geld
bringe ich jedes Jahr persönlich nach Brasilien und bespreche die aktuellen
Projekte mit dem Pater Provinzial. Derzeit müssen zum Beispiel Sanitäranlagen
renoviert werden.
Warum protestieren
die fußballverrückten Brasilianer auf einmal gegen die WM?
Wenn der Ball rollt, ist der Brasilianer Fußballer. Das war
so. Das ist so. Und das bleibt so. Aber die Proteste haben mich nicht
überrascht. Denn immer mehr Menschen in Brasilien erkennen, dass die WM und die
Olympischen Spiele 2016 für sie eine geeignete Plattform sind, um öffentliche
und politische Aufmerksamkeit für ihre berechtigten Interessen zu bekommen.
Hinzu kommt, dass im Oktober Präsidentschafts- und Parlamentswahlen anstehen.
Da müssen die Politiker auf Proteste reagieren.
Wo hakt es im Land
des fünffachen Fußball-Weltmeisters?
Beim Stadienbau für die WM ist viel Geld dumm verbraten
worden, während die versprochenen Investitionen in die Infrastruktur von
Straßen und Flughäfen weiter auf sich warten lassen. Aber auch im Gesundheits-
und Bildungssektor muss dringend investiert werden. Die Gesundheitsversorgung
ist teuer und schlecht. Die Renten- und Krankenversicherung ist in Brasilien
nicht ansatzweise mit der unseren zu vergleichen. Die Salesianer helfen den
Armen zum Teil mit einer kostenlosen Gesundheitsversorgung. Aber die
Ärzteverteilung im Land ist nicht optimal. Und es gibt zu wenige Krankenhäuser
und zu viele Kliniken, die bereits marode sind. Auch Bildung ist in Brasilien
ein Wirtschaftsgut. Wer seinen Kindern eine gute Ausbildung verschaffen will,
wird tunlichst vermeiden, sie auf staatliche Schule zu schicken. Doch für die
Ausbildung an privaten Schulen und Hochschulen muss man tief in die Tasche
greifen. Die monatlichen Studiengebühren liegen bei umgerechnet rund 1000 Euro,
der gesetzliche Mindestlohn bei etwa 250 Euro pro Monat. Und die Preise in
Brasilien sind im Schnitt mit denen bei uns vergleichbar.
Wie sehen Sie die
Zukunft Brasiliens, unabhängig davon, ober der WM-Gastgeber diesmal auch
Fußballweltmeister wird?
Das Land hat ein großes Potenzial. Der Mittelstand ist in
den letzten Jahren gewachsen. Es gibt viele Rohstoffe und eine junge und
wachsende Bevölkerung, die mit ihrer riesigen Binnennachfrage die Wirtschaft
ankurbelt. Die Zivilgesellschaft hat Fortschritte gemacht. Immer mehr
Brasilianer engagieren sich und haben erkannt, dass sie ihre Lebensbedingungen
durch eigenes Zutun verbessern können und das politische Korruption kein
Naturgesetz, wie das tägliche Auf- und Untergehen der Sonne ist. Ich kenne zum
Beispiel einen Rechtsanwalt, der mit einem privaten Verein die Ausgaben des
Bürgermeisters von Itajai kontrolliert. Allerdings hat Brasilien den Fehler
gemacht, seine Märkte zu sehr nach außen abzuschotten. Damit wird es natürlich
schwer, neue Technologien ins Land zu bekommen.
(Weitere Informationen gibt es unter
www.grenzenlose-hilfe.de im Internet oder direkt bei Michael Könen unter der Rufnummer 0 173/32 15 00 8)
Dieser Text erschien am 28. Juni 2014 im Neuen Ruhr Wort und in der Tagespost
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