Am 15. Januar 1971 wurde der Mülheimer Ehrenstadtdechant Manfred von Schwartzenberg in St. Engelbert zum Priester geweiht. Im Gespräch mit der Mülheimer Woche und dem Lokalkompass blickt der 76-Jährige dankbar, aber nicht unkritisch auf sein Leben als Priester und auf seine Kirche.
Was hat Sie bewegt, Priester zu werden?
SCHWARTZENBERG: Das waren Menschen, die mir in ihrer Lebensführung und in ihrer lebendigen Religiosität ein Vorbild waren und die ich deshalb hoch geschätzt habe. Neben meinen Eltern denke da vor allem an meinen Religionslehrer,-an meinen Deutschlehrer und an meinen Musiklehrer. Hinzu kamen großartige Gemeinschaftserlebnisse im katholischen Jugendbund Neudeutschland, in dem man mir Organisations- und Leitungsaufgaben zugetraut hat. Das alles zusammen hat mich dazu gebracht, mich genauer mit den Möglichkeiten eines Berufslebens in der Kirche zu beschäftigen. Auch die Nachwirkungen des Zweiten Vatikanischen Konzils, das mit seinen Reformen dafür gesorgt hat, das wir in der katholischen Kirche erwachsen geworden sind, haben mich motiviert, Priester zu werden.
Gab es auch andere Berufswünsch?
SCHWARTZENBERG: In meiner Schule hatten wir eine große Aula, in der oft auch Künstler aufgetreten sind, denen wir dann den Vorhang auf- und zugezogen haben und die wir mit unseren Scheinwerfern ins richtige Licht gesetzt haben. Damals habe ich darüber nachgedacht, Theaterwissenschaft zu studieren. Aber auch die Theologie hat ja ihre theatralischen Momente. Liturgie feiern und Theaterspielen. Das passt gut zusammen.
Was hat Sie als Priester angetrieben?
SCHWARTZENBERG: Musik und Caritas waren immer meine Antriebsfedern. Soziales Engagement, Mitmenschlichkeit und die Gestaltung der Liturgie. Das war mir immer wichtig.
War die priesterliche Pflicht zur Ehelosigkeit für Sie kein Hindernis?
SCHWARTZENBERG: Nein. Ich habe als Priester immer in Gemeinschaft gelebt und mich niemals einsam gefühlt. Das fing schon während der Schul- und Studienzeit an, in der ich einen gemischten Chor geleitet habe. Als Kaplan habe ich dann eine Band gegründet und durch die Jugendarbeit das Skifahren und Segeln gelernt. Als Militärseelsorger habe ich Soldatenwallfahrten nach Lourdes organisiert und in St. Barbara habe ich als Pfarrer mit Leuten aus meiner Gemeinde unter anderem das Nikolaus-Groß-Musical auf die Bühne gebracht. Ich habe 50 glückliche Jahre erleben dürfen, weil ich immer tolle Menschen getroffen habe, mit denen ich zusammen produktiv etwas machen konnte. Das gilt auch für den Einsatz unserer Gemeinde in der Flüchtlingshilfe. Ich kann für all diese menschlich wertvollen Begegnungen und Erfahrungen nur dankbar sein.
Gab es nie einen Moment des Zweifels?
SCHWARTZENBERG : Ich fahre voll auf die Frohe Botschaft des Jesus von Nazareth ab und bin ein Mann der Kirchen, deren soziales Engagement ich sehr bewundere. Aber ich stehe dem kirchlichen Dogmatismus sehr kritisch gegenüber. Was da alles im Laufe der Zeit erfunden worden ist, ist zum Teil wirklich grauenhaft. Da fühle ich mich als vernunftbegabter Mensch nicht ernst genommen. Die wichtigste Erfahrung meines Priesterlebens ist: Das Schlimmste, was es gibt, sind Menschen, die die Wahrheit gepachtet haben und sie anderen aufzwingen wollen. Ich habe als Pfarrer viele gläubige Gemeindemitglieder getroffen, die sich von der Kirche distanziert hatten, weil sie als geschiedene und wiederverheiratete Eheleute nicht an der Heiligen Kommunion teilnehmen durften. Die habe ich zurück in die Kirche geholt, in dem ich ihnen gesagt habe: Schaut euch mal den Jesus von Nazareth an, wie menschlich er den Menschen seiner Zeit begegnet ist und wie er ihnen jenseits aller Gesetze geholfen hat. Denken wir nur an die biblischen Gleichnisse vom verlorenen Sohn oder von der Ehebrecherin. "Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!"
Die Kirche ist in einem tiefgreifenden Strukturwandel, den Sie als Pfarrer und Stadtdechant mitgestalten mussten. Wie sehen Sie die Gegenwart und Zukunft Ihrer Kirche?
SCHWARTZENBERG: Ich leide sehr unter den Missbrauchsfällen im Priesteramt. Die haben die Kirche nach unten gezogen und ihre Glaubwürdigkeit beschädigt. Viele sind deshalb ausgetreten. Aber ich werbe dafür, die Kirche nicht aufzugeben, weil Sie für unsere Gesellschaft gut und wichtig ist. Denn sie tritt für soziale Gerechtigkeit ein und gibt den Menschen Gemeinschaft und Halt, ob im Gottesdienst, bei einer Fronleichnamsprozession, beim Gemeindefest oder bei einer Jugendfete. Deshalb hat uns die Coronavirus-Pandemie ins Mark getroffen, weil Gemeinde immer auch Gemeinschaft ist. Die Kirche hat sich immer wieder in kleinen Gemeinschaften erneuert. Und diese Gemeinschaft braucht Menschen, die sich in ihr und für sie engagieren. Das ist das A und O. Ich freue mich aber auch über kreative Menschen, die dieses Corona-bedingte Nicht-Begegnung überbrücken, sei es im Internet oder in dem die Mitarbeitenden der Pfarrbücherei Gemeindemitgliedern Bücher nach Hause bringen. Ich selbst feiere mein Priesterjubiläum am 15. Januar um 19 Uhr mit einem Hausgottesdienst, dem man über die Internetseite unserer Pfarrgemeinde www.barbarakirche.de beitreten kann.
Zur Person
Manfred von Schwartzenberg wird 1944 in Essen geboren. Nach dem Abitur am dortigen Burg-Gymnasium studiert er an der Ruhr-Universität Bochum katholische Theologie. Nach seiner Priesterweihe arbeitet er zunächst als Kaplan in Gelsenkirchen-Schalke. In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre lernen ihn die Mülheimer als Kaplan von St. Mariae Rosenkranz und als Stadtjugendseelsorger kennen. 1982 beruft ihn der damalige Ruhrbischof Franz Hengsbach zum Militärseelsorger bei der Bundeswehr. 1992 kehrt er als Pfarrer von St. Barbara nach Mülheim zurück und wird ein Jahr später zum Mülheimer Stadtdechanten berufen. Bis 2007 steht er an der Spitze der katholischen Stadtkirche und bis 2019 an der Spitze seiner Pfarrgemeinde St. Barbara. 2018 wird er für sein vielseitiges Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
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