Dienstag, 27. Oktober 2015

Mensch, Malocher und Poet: Eine Rückschau auf Günter Westerhoff

Günter Westerhoff 2005

„Mein Platz ist noch frei“, staunt der Leiter des Stadtarchives, Kai Rawe, über den Andrang. Gut 70 Zuschauer sind der Einladung des Stadtarchives, der Stadtbücherei und des Filmbüros NRW gefolgt. Sie wollen sich im Kino Rio nicht die neueste Produktion eines Kino-Regisseurs anschauen. Sie wollen sich einen Dokumentarfilm anschauen, den Klaus Wildenhahn 1979 in Mülheim gedreht hat. Für den Norddeutschen Rundfunk portraitierte er den damals 56-jährigen Günter Westerhoff.

Der Arbeiter und Dichter, der bis zu seinem Tod in diesem Jahr in der alten Heißener Bergmannsiedlung Mausegatt/Kreftenscher gelebt hat, führt die Zuschauer Ende der 70er Jahre durch die alte Bergmannssiedlung. Sie ist damals gerade erst durch eine Bürgerinitiative um Walter Schmidt vor der Privatisierung und Modernisierung gerettet worden.

Für viele Zuschauer ist der Film „Der Nachwelt eine Botschaft“ ein Wiedersehen mit Günter Westerhoff, der selbst als Schlosser auf Zeche Rosenblumendelle gearbeitet hat, aber auch mit vielen Notizbüchern und seiner Schreibmaschine Gedichte, Erzählungen, Hörspiele und Drehbücher geschrieben hat.

Sein Enkel Axel sieht sich mit dem Großvater auf dem Fahrrad durch die Natur streifen. Seine Frau Anneliese sieht sich mit ihrem verstorbenen Mann beim Kartoffel schälen und Reibekuchenessen. „Ich wollte damals gar nicht gedreht werden. Denn er sollte im Mittelpunkt stehen“, erinnert sich die Witwe. Gertrud Franken und Ingeborg Steinbach sehen ihren langjährigen Nachbarn noch einmal beim Bandoneonspiel. „Eigentlich war er ein Allrounder“, sind sie sich einig. „Er war damals sehr stolz auf diesen Film“, erinnert sich seine Frau, die mit ihrem Mann 66 Jahre verheiratet war und fünf Kindern das Leben geschenkt hat. Seine Tochter Annemarie erkennt in den Szenen, in denen Westerhoff über seine eignen Kriegserlebnisse in Russland spricht, oder in seinen Gedichten und kurzen Prosatexten von der Maloche und den Nöten der Bergleute berichtet, den Vater, den sie als „gerecht und tolerant“ erlebt und geliebt hat. Wenn Westerhoff Sätze, wie: „22 Millionen Tote! Wenn ein Volk unter dem Zweiten Weltkrieg gelitten hat, dann das Russische“ oder über die schon in der Jugend zerstörte Seele Hitlers nachdenkt und von jenen Bergleuten berichtet oder schreibt, die „in ihren besten Jahren gestorben sind und ihre Kinder und Enkel nicht haben aufwachsen sehen, weil ihnen die Staublunge die Luft zum Atmen und damit vor der Zeit das Leben nahm“, spürt der Zuschauer etwas von der Sensibilität und Melancholie des Menschen, Malochers und Poeten Westerhoff, der während des gesamten Filmes, nicht als großer Arbeiterdichter, sondern als einfacher, bescheidener, bodenständiger und nachdenklicher Mensch auftritt. Man spürt auch die Sensibilität des Filmemachers Wildenhahn, der Westerhoff, sein örtliches Umfeld, seine Nachbarn und Kollegen aus der Industriegewerkschaft Bergbau, Energie und Chemie ganz in den Mittelpunkt stellt und auf eine langatmige Kommentierung gänzlich verzichtet. So wird sein Film zu einer Hommage an die Menschen des Ruhrgebietes und zu einem facettenreichen Panorama des Strukturwandels in einer Stadt, in der einst bis zu 3000 Bergleute mit dem schwarzen Gold und vollem Körpereinsatz den Lebensunterhalt für ihre Familien verdient haben.


Der Autor und sein Werk


Günter Westerhoff (1923-2015) wurde 1980 mit dem Ruhrpreis für Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet.

Nach der Volksschule arbeitete er als Schlosser und Mitglied der Grubenrettung auf Zeche Rosenblumendelle.

Während seines Kriegseinsatzes (1942 bis 1945) wurde er fünfmal verwundet.

Er gehörte zur Arbeiter-Dichter-Gruppe 61 um Max von der Grün und veröffentlichte unter anderem die Gedicht- und Erzählbände: „Gedichte und Prosa“ (1966), „Vor Ort“ (1978) und „Zwangsvereidigt“ (2005).

In seinem Gedicht „Bei der Arbeit“ aus dem Band „Vor Ort“ schreibt er:

Mein Arm verhält beim Feilenstrich. Die Kraft des Vaters spüre ich. Er ist nun alt. Oft trappt in meinem Arbeitsschritt sein ruhigschweres Schreiten mit. Sein Monogramm ist eingeschlagen ins Werkzeug, das er lang getragen und nächstens schon nimmt es mein Sohn.


Dieser Text erschien am 16. Oktober 2015 in der NRZ und in der WAZ

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