„Wenn man bekannt und beliebt werden will, muss man eine Bürgerbuslinie ins Leben
rufen“, sagt Knut Binnewerg und lacht. Der Mann muss es wissen, hat er doch im
Oktober 2012 mit 30 anderen ehrenamtlichen Fahrerkollegen den Styrumer Bürgerbus
ins Rollen gebracht. Ein bis zweimal pro Woche sitzt er für jeweils drei Stunden hinter
dem Steuer und fährt vor allem ältere und behinderte Bürger durch den Stadtteil.
Meistens geht es zum Arzt oder zum Einkaufen. „Obwohl es in Styrum zwei Bus- und
zwei Straßenbahnlinien gibt, haben wir hier viele Wohnquartiere, die nicht optimal an
den öffentlichen Personennahverkehr der Mülheimer Verkehrsgesellschaft
angebunden sind, weil der Fußweg zur nächsten Haltestelle für viele Leute zu weit
wäre“, erklärt Binnewerg, warum sich seine Mitstreiter und er 2012 in das Abenteuer
Bürgerbus stürzten. Fahrgäste, wie Ursula Reich (62) und ihr gehbehinderter Mann
Willi (68) sind für Binnewerg der beste Beweis, dass der Bürgerbus in Styrum
gebraucht wird. „Seit es den Bürgerbus gibt, haben wir an Mobilität gewonnen und
mein Mann kann jetzt zur Not auch mal allein zum Marktcenter an der
Steinkampstraße fahren und dort einen Kaffee trinken“, freut sich Ursula Reich. „Die
sind außerdem immer sehr freundlich und hilfsbereit“, lobt sie Binnewerg und die
anderen Bürgerbusfahrer.
Tante Emma auf vier Rädern
Tatsächlich bleibt der Bürgerbusfahrer auf seiner Tour nicht stur hinter seinem
Lenkrad sitzen und kassiert die 1,50 Euro für die einfache Fahrt oder notiert, ob ein
Fahrgast mit Schwerbehindertenausweis freie Fahrt hat und die Kosten von der
Bezirksregierung erstattet werden.
Immer wieder steht er auf, hilft Fahrgästen bei
Bedarf aus oder in den achtsitzigen Kleinbus. Auch wenn Rollatoren oder
Einkaufstaschen hinein oder hinaus zu bugsieren sind, ist Binnewerg ein Mann der Tat.
Der 66-Jährige muss nicht um Hilfe gebeten werden. Er sieht, wenn jemand
Unterstützung braucht und packt mit an. Auch die zweite oder dritte
Krankengeschichte des Tages hört er sich geduldig an und ist nie um einen Scherz
oder ein aufmunterndes Wort für seine Fahrgäste verlegen. Und wenn es der Fahrplan
des im Stundentakt durch Styrum pendelenden Bürgerbusses erlaubt, dann wird auch
schnell mal eine schwere Einkaufstasche bis zur Haustür getragen. „Wir sind hier so
was, wie ein rollender Tante-Emma-Laden“, beschreibt Binnewerg die charmante
Mischung aus Nahverkehr, Nahversorgung und menschlicher Nähe.
„Obwohl ich schon über 40 Jahre in Styrum lebe, staune ich immer wieder darüber,
dass sich dieser von der Industrie geprägte Ort, einen dörflichen Charakter bewahrt
hat. Hier kennt jeder jeden und jeder spricht mit jedem“, erzählt der pensionierte
Hauptschullehrer, der früher die Schüler der Hexbachtalschule auf den richtigen Weg
gebracht hat, auch wenn dafür schon mal Umwege nötig waren. „Da musste man
manchmal nicht nur Lehrer, sondern auch Vater und Sozialarbeiter sein“, erinnert sich
Binnewerg an sein pädagogisches Berufsleben, das er 2013 abgeschlossen hat.
Seine kommunikative Art und sein pädagogisches Fingerspitzengefühl, das spürt man
auch bei der Fahrt durch den Stadtteil, hat sich Binnewerg bewahrt.
Seine Fähigkeit,
Dinge in die richtige Richtung zu steuern, in dem er beherzt auf Menschen zugeht, sie
ansprechen und zum Mitmachen zu motivieren, hat er auch schon in seiner Zeit als
Bezirksvertreter und Bezirksbürgermeister genutzt. Und er nutzt sie heute nicht nur
als Vorsitzender des Bürgerbusvereins, sondern auch als Schiedsmann, der in seinem
Stadtteil Nachbarschaftsstreitigkeiten schlichtet.
„Ich freue mich, wie Bolle, dass das mit dem Bürgerbus funktioniert“, sagt Binnewerg
mit Blick auf die 700 Fahrgäste, die jeden Monat mit dem Bürgerbus fahren, der seit
seiner ersten Fahrt im Herbst 2012 immerhin schon 92 000 Kilometer zurückgelegt hat.
Tatsächlich sind Sätze, wie: „Das ist schon klasse, dass es so was gibt“ bei der Fahrt mit
dem Bürgerbus öfter zu hören.
„Man ist einfach mittendrin und sieht, dass das, was man macht auch Sinn macht und
den Leuten ganz konkret hilft“, beschreibt Binnewerg seine ganz persönliche
Motivation. Deshalb setzt er sich auch als Ruheständler nicht nur hinter das Lenkrad
des Bürgerbusses, sondern als Vorsitzender des Bürgerbusvereins auch täglich an
seinen heimischen Schreibtisch, um organisatorische Fragen zu klären: Haben wir
genug Fahrer und genug Werbepartner für unseren Bus? Und muss das Fahrzeug mal
wieder zur Inspektion oder in die Waschstraße?
Dabei lässt Binnewerg keinen Zweifel daran, dass der Erfolg des Styrumer
Bürgerbusses keine One-Man-Show ist, sondern am Lenkrad, wie am Vereinssteuer im
Vorstandsteam viele Väter und Mütter hat, die wie Binnewerg unentgeltlich viel Zeit
und Energie investieren, um Bürger mit dem Bürgerbus im besten Sinne des Wortes zu
bewegen und mobil zu machen.
Für Knut Binnewerg steht fest, dass er auch in seinem Ruhestand weiter am Steuer des
Bürgerbusses bleiben will, so lange die Gesundheit mitmacht. „Denn“, so sagt der
Pensionär der auch politisch aktiv is: „Ich habe mich einfach daran gewöhnt, mich
ehrenamtlich zu engagieren und will damit nicht aufhören. Denn beim Bürgerbus
stellen sich die Erfolgserlebnisse, anders als in meiner Zeit als ehrenamtlicher
Kommunalpolitiker, einfach schneller ein.“
Dieser Text erschien am 7. Februar 2015 in der Neuen Ruhr Zeitung
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Weihnachten im Krieg
Manchmal scheint es so, als lerne die Menschheit nichts aus ihrer Geschichte. Auch dieses Jahr ist Weihnachten ein Fest des Friedens, mitt...
-
Jan Sensky vor seinem Dienswagen Wenn Sie ein altes Möbel- oder Kleidungstück oder auch Geschirr zu Hause stehen haben, die noch gut zu ...
-
Der 30. und 31. Januar ist in meinem Kalender rot angestrichen", erzählt Familienforscherin Bärbel Essers. Dass das so ist, hat mit der...
-
„Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt.” Auch dieses Volkslied dürfte die Schildberger Sing- und Spielschar ...
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen