Freitag, 2. Januar 2015

Die Paulikirche: Geschichte eines Mülheimer Politikums

Dort, wo heute an der Delle Autos parken und man im Hintergrund die 1989 eröffnete Sparkasse auf dem damals neugestalteten Berliner Platz sieht, stand im Jahr 1934, als das historische Hochwasser-Foto aus dem Stadtarchiv entstand, noch die Paulikirche. In dem Fachwerkhaus, das man auf dem alten Foto sieht, sollte in den 80er Jahren die Geschäftsstelle der Grünen einziehen. Die historische Aufnahme zeigt die Paulikirche noch mit ihrer Turmspitze, die am 23. Juni 1943 dem großen Luftangriff auf Mülheim zu Opfer fallen und auch nach dem Krieg nicht wieder aufgebaut werden sollte.

Die Paulikirche, die 1971 abgerissen werden sollte, hatte eine bewegte Geschichte. Die erste Paulikirche wurde im 17. Jahrhundert als Kirche der Lutheraner an der Delle errichtet. Als die Kirche zu klein und die Gemeinde mit rund 5000 Mitgliedern zu groß geworden war, errichtete man um 1880 die zweite Paulikirche. Auch wenn die theologischen und liturgischen Unterschiede zwischen Reformierten und Lutheranern an Bedeutung verloren und die Paulikirche als Gotteshaus der evangelischen Altstadtgemeinde zu kleinen Schwester der Petrikirche wurde, schätzten viele Mülheimer die Paulikirche. In ihr wurden Kinder getauft, gaben sich Paare das Ja-Wort und wurden täglich ökumenische Andachten abgehalten.

Ihren letzten Gottesdienst erlebte die Paulikirche am 27. Juni 1971. Damals wie heute (siehe Friedenskirche) wurde die Aufgabe der Kirche finanziell begründet. Die Restaurierung der Kirche, so hieß es damals, sei für die evangelische Altstadtgemeinde viel zu teuer. Und außerdem brauche man die Paulikirche als zweite Kirche neben der Petrikirche nicht mehr.

Die Paulikirche, so hatte es das Presbyterium bereits 1969 beschlossen, sollte abgerissen und das Grundstück für den Bau von Altenwohnungen genutzt werden.

Heute wird die Friedenskirche am Heißener Humboldthain Ende des Jahres als Gotteshaus aufgegeben und (wie berichtet) zu einer Urnengrabstätte umgebaut. Doch anders, als 1971, stellen die evangelischen Christen in Mülheim nicht mehr die Bevölkerungsmehrheit. Damals waren 106?000 Mülheimer (56 Prozent der Bevölkerung) Protestanten. Heute stellen die rund 52?000 Protestanten Mülheims noch rund 32 Prozent der Stadtbevölkerung. Damals gab es 190.000 Mülheimer. Heute sind es noch 166.000.

1971 war der Abriss der Paulikirche ein Politikum. Alte Mülheimer trauerten um die Kirche an der Delle. Einige junge Mülheimer gingen auf die Barrikaden und besetzten im August 1971 das dem Abriss geweihte Gotteshaus. Ihre Idee: Die Kirche solle nicht abgerissen, sondern zu einem selbstverwalteten Jugendzentrum umfunktioniert werden. Mit diesem Plan, konnten sich nicht nur einige Gemeindemitglieder, sondern auch die politischen Nachwuchsorganisationen von SPD und FDP anfreunden.

Zwar diskutierten Mitglieder des Initiativausschusses Jugendclubhaus mit Vertretern der Kirchengemeinde und der Stadt über ihre Pläne, fanden bei den Entscheidungsträgern am Ende aber kein Gehör. Die besetzte Kirche wurde von der Polizei geräumt. Das Presbyterium der ev. Altstadtgemeinde bekräftigte im September 1971 seine Entscheidung für den Abriss, der am 6. Oktober 1971 auch vollzogen wurde.

Ironie der Geschichte. Die an der Delle geplanten Altenwohnungen entstanden später am Scharpenberg. Aus dem Kirchengrundstück wurde ein Parkplatz.


Dieser Text erschien am 29. Dezember 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung

1 Kommentar:

  1. Ich kann mich gut an die Probleme beim Abriss des Turmes erinnern. Wir haben damals geschmunzelt: die Paulikirche wehrt sich bis zuletzt!

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