Mittwoch, 21. Januar 2015

Wer Gott bezeugen will, muss den Menschen sehen: Pfarrer Michael Manz wechselte vor einem Jahr unfreiwillig die Gemeinde und fühlt sich jetzt aber genau am richtigen Platz


„Ich weiß nicht, wohin mich Gott führt. Ich weiß nur, dass er mich führt“, zitiert Pfarrer Michael Manz sein Lebensmotto, das er beim Schriftsteller Gorch Fock gefunden hat. Genau ein Jahr ist es her, dass der evangelische Seelsorger nicht ganz freiwillig die Gemeinde wechselte, von Heißen nach Styrum ging. „Als ich erfuhr, dass die Friedenskirche am Humboldthain aufgegeben werden sollte, ging für mich erst mal eine Welt unter“, erinnert sich Manz.

Doch heute weiß er: „Ohne diesen Bruch hätte ich mich nie in Styrum beworben, wo ich jetzt angekommen bin und mich am richtigen Platz fühle.“ Denn hier hat der Sohn einer Arbeiterfamilie sehr viel mehr als in der beschaulichen Heimaterde mit Menschen zu tun, die nicht nur die seelsorgerische, sondern auch die konkrete soziale Hilfe brauchen.

Beides gehört für den 52-Jährigen zusammen. „Man kann die Leute nicht von oben herab bepredigen und theologisch salbadern. Wer Gott bezeugen will, muss den Menschen sehen und ihn mit seinen Nöten ernst nehmen“, sagt Manz und beschreibt damit die wichtigste Erfahrung seines Pfarrerlebens, die sich in den letzten zwölf Monaten noch einmal verstärkt hat. Deshalb machte er aus der Aktion Mensch Friedenskirche die Aktion Immanuel hilf. „Hier kommen bestimmt dreimal so viele Menschen zu mir, die Unterstützung brauchen“, beschreibt Manz die soziale Wirklichkeit in Styrum. In den beiden Wochen vor Weihnachten hat er allein 40 Lebensmitteltüten an die notleidende Frau und den notleidenden Mann gebracht. Die sind nicht als Manna vom Himmel gefallen, sondern von den Frauen des Abendkreises gepackt worden. „Das ist das Tolle hier in Styrum“, sagt Manz: „Es gibt nicht nur viele Menschen, die Hilfe brauchen, sondern hier wollen die Menschen auch helfen und füreinander da sein.“ In der konkreten Gemeindearbeit stellt er immer wieder fest: „Das es hier viele Menschen gibt, die nur darauf warten, angesprochen zu werden, um die Ärmel hochzukrempeln.“ Das erlebt er nicht nur bei den rund 100 ehrenamtlichen Gemeindemitarbeitern, sondern auch bei Styrumern, die sich zum Beispiel im Nachbarschaftsverein oder in der Feldmannstiftung an der Augustastraße mit sozialer Basisarbeit für ihre Nachbarn im Stadtteil stark machen.

Als Pfarrer versteht er sich hier in Styrum nicht nur als geistlicher Leiter der Sonntagsgottesdienste, die vielleicht von 50 der 3500 Gemeindemitglieder besucht werden. Ihm geht es darum, sich zu kümmern und Klinken zu putzen. Hausbesuche und Geburtstagsgrüße gehören für ihn ebenso zur Seelsorge, wie ein Gemeindefest mit Menschenkickerturnier, ein Gospelkonzert in der Immanuelkirche oder ein Martinsmarkt. „Die Menschen haben die Single-Isierung unserer Gesellschaft satt und wollen zumindest in ihrem kleinen Kosmos Gemeinde und Stadtteil etwas zusammen erleben und auf die Beine stellen.“, glaubt Manz.

Darin sieht er auch eine Chance für die Kirche, wenn sie in einer zusehends sozial gespaltenen Gesellschaft, die ihn zunehmend an die Verhältnisse des späten 19. Jahrhunderts erinnert, Menschen jenseits von Gottesdiensten und Kirchenmauern christliche Nächstenliebe erfahren lässt. Dazu gehört auch ein sozialer Feuerwehrtopf, mit dem der Styrumer Pfarrer kleine, aber wirksame Soforthilfe leisten kann, um zum Beispiel mit ein paar Euro den nächsten Besuch im Waschsalon oder Weihnachtsgeschenke für Kinder aus dem Gemeindekindergarten zu organisieren, die eine Bescherung sonst nur vom Hörensagen kennen.

Und manchmal kann konkrete Seelsorge auch ganz einfach und ohne großen Geldaufwand möglich sein. „Sie sind schuld, dass ich jetzt wieder zur Kirche komme“, sagte ihm jüngst eine Frau, die sich für seinen Glückwunsch zu ihrem runden Geburtstag bedankte. Nicht nur sie, sondern rund 350 Gemeindemitglieder konnte Manz zum Weihnachtsgottesdienst in der vollbesetzen Immanuelkirche an der Kaiser-Wilhelm-Straße begrüßen, rund 295 mehr als zum Weihnachtsgottesdienst 2013 gekommen waren. „Das war wirklich ein kleines Weihnachtswunder“, sagt Manz mit einem Augenzwinkern.

Dieser Text erschien am 5. Januar 2015 in der Neuen Ruhr Zeitung

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