Dienstag, 20. Juli 2010

Seit 30 Jahren gibt es in Mülheim eine Verbraucherberatungsstelle: Fragen und Antworten rund um die Lobbyarbeit für den König Kunden


Mit der Eröffnung der ersten Verbraucherberatungsstelle bekam der Verbraucherschutz in Mülheim vor 30 Jahren ein Gesicht und eine Anlaufstelle. Mit der heutigen Leiterin Christiane Lersch sprach ich für die NRZ über die Entwicklung und Arbeitsschwerpunkte der Bartungsstelle, deren Kundenkontakte von etwa 4500 im Jahr 1980 auf rund 20 000 im vergangenen Jahr angestiegen sind.

Warum kam es im Juli 1980 zur Eröffnung der Verbraucherberatungsstelle?
In vielen anderen Städten gab es schon Beratungsstellen. Es hatte sich gezeigt, dass es wichtig ist, Verbraucherzentralen vor Ort zu haben, um eine unabhängige Beratung in Fragen der Haushaltsführung und der Geräteberatung anbieten zu können, weil die Vielzahl der unterschiedlichen Produkte und Geräte im Laufe der Jahrzehnte immer größer geworden war und die Verbraucher eine Orientierungshilfe benötigten. Außerdem bekamen wir damals vom Gesetzgeber auch die Möglichkeit Verbraucher in Rechtsfragen zu beraten. Ab 1983 spielte zum Beispiel das Problem der Sittenwidrigen Kreditverträge eine große Rolle.

Wie hat sich Verbraucherberatung seitdem verändert und weiterentwickelt?
Sie hat sich von der Geräteberatung abgewandt und leistet heute vor allem Rechtsberatung. Anfangs ging es vor allem um die Reklamation defekter Hausgeräte. Heute spielen auch Reise- und Telekommunikationsrecht sowie Internet- und Energierecht, aber auch das Gesundheitswesen eine wichtige Rolle.

Wie behält man als Verbraucherberaterin bei so vielen Rechtsbereichen den Überblick?
Wir werden ausgezeichnet geschult. Und wenn wir uns bei einer Frage nicht sicher sind, haben wir auch eine Verbracherschutzzentrale, die uns mit ihren Fachleuten unterstützend zur Seite steht.

Wo drückt Verbraucher derzeit besonders häufig der Schuh?
Es geht derzeit massiv um Telekommunikationsrecht und Gewinnspiele.

Mit welchen Fragen werden Sie in Beratungsgesprächen konfrontiert?
Bei der Telekommunikation haben wir derzeit das Problem, dass Verträge unterschrieben werden, die die Kunden nicht verstehen. Da werden neben einem Festnetzanschluss auch mal gerne mehrere Mobilfunkverträge abgeschlossen oder es werden Handys versprochen, die dann nicht ausgeliefert werden. Immer wieder wird im Verkaufsgespräch etwas anderes verhandelt, als das, was danach vom Kunden unterschrieben wird. Ich habe einen Kunden, der einen Festnetz und fünf Mobilfunkverträge unterschrieben hat, weil er der deutschen Sprache nicht mächtig ist. Das geht natürlich auf keine Kuhhaut. Auch bei Gewinnspielen haben wir immer wieder das Problem, dass Kunden mehrere Gewinnspiele untergeschoben werden, obwohl sie vielleicht nur eines oder auch gar keines abgeschlossen haben. Das geschieht in der Regel durch unlautere Anrufe, bei denen Kunden ein Gewinnspiel an der Backe haben, wenn sie an der falschen Stelle Ja gesagt haben. Auch wenn sie diesen mündlichen Vertrag dann widerrufen, wird das ignoriert.

Wie können Sie geschädigten Kunden aus der Klemme helfen?
Wir haben in Einzelfällen die Möglichkeit über Kontaktpartner in den Unternehmen die spezielle Situation eines Kunden zu erklären und damit die Verträge wieder zu lösen. Ansonsten gibt es rechtliche Möglichkeiten. Wir prüfen zum Beispiel, ob Widerrufsrechte nicht anerkannt werden, die zu geben sind, wenn ein Vertrag im Internet geschlossen worden ist. Von uns ist aber auch viel Psychologie gefordert, wenn es darum geht, Kunden die Angst zu nehmen, weil sie von Internet-Abzockern, die rechtlich nichts zu melden haben, mit massiven Forderungen bedrängt werden.

Schreiben Sie viele böse Briefe?
Wir haben Musterbriefe, mit denen sich Kunden erst mal selber helfen können. Wir können natürlich auch eine Rechtsvertretung übernehmen. Bei komplizierten Fällen könnten wir auch die Anwältin der Verbraucherzentrale einschalten, die zum Beispiel auch eine außergerichtliche Klärung vorantreibt.

Müsste der Gesetzgeber Geschäfte am Telefon nicht grundsätzlich verbieten?
Es wäre schön gewesen, wenn der Gesetzgeber, damals noch unter Regierungsverantwortung der Großen Koalition, die letzte Rechtsänderung gegen unlauteren Wettbewerb im vergangenen Jahr so vorgenommen hätte, wie wir uns das gewünscht haben, nämlich, dass telefonisch zustande gekommene Verträge vom Kunden noch einmal schriftlich bestätigt werden müssten. Leider hat es damals dagegen eine massive Lobbyarbeit, vor allem durch die Versandhäuser gegeben. Da stehen dann angeblich Arbeitsplätze auf dem Spiel und dann wird eine sinnvolle Lösung eben mal verneint. Das Gesetz soll zwar überprüft werden, aber leider erst in drei Jahren.

Wie kann man sich gegen solche Telefonabzocke schützen?
Sobald man merkt, dass es sich um den unerwünschten und unlauteren Anruf einer Firma handelt gar nichts mehr sagen und einfach auflegen. Man sollte sich nicht in eine Gespräch verwickeln lassen, indem man dann an der falschen Stelle Ja sagt und eine Vertrag am Hals hat.

Wer bezahlt den Verbraucherschutz in Mülheim?
Der Etat der Verbraucherberatungsstelle wird zu je 50 Prozent von Stadt und Land finanziert, abzüglich unserer eigenen Einnahmen. Etwa zehn Prozent unseres Budgets können wir selbst erwirtschaften. Wenn wir zum Beispiel Rechtsberatung durchführen, kostet das sieben Euro. Eine außergerichtliche Rechtsvertretung kostet 19 Euro. Versicherungs- und Altersvorsorgeberatung werden individuell und selbsttragend vom Verbraucher bezahlt. Testberichte aus der Infothek kosten 1,50 Euro und Kopien 15 Cent. Das macht keinen Verbraucher arm.

Bedroht die öffentliche Finanznot die Existenz der Verbraucherberatungsstelle?
Mit der Stadt haben wir einen Vertrag, der bis Ende 2014 läuft. So lange sind unsere Finanzen gesichert. Danach hoffen wir natürlich auf die Weiterführung dieser Beratungsstelle. Bisher sind da alle Zeichen sehr positiv, dass dies auch von der Stadt und allen Parteien gewollt und gewünscht ist. Zurzeit haben wir kein Problem. Wenn es wirtschaftlich noch weiter den Bach heruntergeht, müssen wir noch mal gucken. Aber wir fahren jetzt schon mit geringsten Mitteln.

Warum zahlt sich Steuergeld für Verbraucherberatung aus?
Unsere Arbeit beugt vor. Wir sparen Sozialleistungen, indem wir dafür sorgen, dass Geld, dass wirtschaftlich in Mülheim zur Verfügung steht hier bleibt und nicht in die Kassen dubioser Anbieter abfließt und die Rechte des Verbrauchers einfordern, wenn zum Beispiel Pfändungsgrenzen beachtet werden. So verhindern wir, dass Menschen in Verschuldung abrutschen oder Sozialleistungen bekommen müssen.

Hintergrund: Die 46-jährige Diplom-Ökotrophologin Christiane Lersch leitet die Mülheimer Verbraucherberatungsstelle seit September 2009. Sie trat die Nachfolge der plötzlich verstorbenen Susanne Groth an. In der Beratung unterstützt wird die Ernährungs- und Hauswirtschaftswissenschaftlerin Lersch von ihren Kolleginnen Karin Bordin und Christine Bruns. Vor ihrer Mülheimer Zeit leitete sie ab 1992 die Verbraucherberatungsstellen in Velbert, Bochum und Langenfeld.

Die erste Mülheimer Verbraucherberatungsstelle wurde im Juli 1980 an der Friedrichstraße 21 eröffnet und von Ulrike Hänscheid-Löber geleitet. Später zog die Beratungsstelle zur Friedrich-Ebert- und danach zur Kaiserstraße um, ehe sie im November 2009 vom Forum in ihre heutigen Räume an der Leineweberstraße 54 einzog, wo sie montags und donnerstags von 9 bis 14 und von 15 bis 18 Uhr sowie dienstags und freitags von 9 bis 14 Uhr geöffnet unter der Rufnummer: 3 20 25 oder per Mail an: muelheim@vz-nrw.de erreichbar ist. Weitere Informationen im Internet unter: http://www.vz-nrw.de/ erreichbar ist.

Eine leicht gekürzte Fassung dieses Textes erschien am 20. Juli 2010 in der NRZ

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