Dienstag, 8. März 2011

Hoch auf dem silber-blauen Wagen der Röhrengarde: Ein närrisches Vergnügen im Mülheimer Rosenmontagszug

"Wir kommen alle in den Himmel, weil wir so lieb sind", lautet ein Karnevalsschlager. Am Rosenmontag merkt man, dass dieser närrische Gassenhauer einen wahren Kern hat. Denn die Karnevalisten sind so lieb und so freigiebig, um zig tausend Mölmsche mit Kamelle und Co zu versorgen. Gratis. Ein fröhliches Helau reicht.
Petrus belohnt die Spendierfreude der Jecken mit einem frühlingshaften Rosenmontagswetter, an dem nicht nur die Gesichter auf den Wagen und am Straßenrand, sondern auch die Sonne strahlt.

Der Karnevalsreporter wirft an diesem Rosenmontag an Bord des Gesellschaftswagens der KG-Röhrengarde, was er kann. Er merkt schnell. Als Rosenmontagszugfahrer braucht man Kondition, um im närrischen Dreikampf Ziehen, Reißen, Werfen bestehen zu können. Allein auf dem Wagen der Röhrengarde, der sich um 13 Uhr an der Kaiserstraße mit der Startnummer 6 in den närrischen Lindwurm des Rosenmontagszuges einreiht, stapeln sich 150 Kisten voller Kamelle, Waffeln, Popcorn und Chipstüten, Lutscher, Mausespeck- und Schokoladenriegel. Das Nachwerk will unter das Narrenvolk gebracht werden.

Was geworfen wird, fällt nicht vom Himmel: "Unsere Gesellschaft investiert jedes Jahr etwa 1500 Euro in das Wurfgut für den Rosenmontagszug. Der größte Teil wird von unseren Ehrensenatoren bezahlt. Für den Rest sorgen Sponsoren oder der Hauptausschuss Groß-Mülheimer Karneval", erzählt die Vorsitzende der Röhrengarde, Elli Schott.

Da versteht es sich natürlich von selbst, dass Ehrensenatoren, wie Hebert Ertel und Brigitte Donau auch auf dem Zugwagen mitfahren und vor allem mitwerfen dürfen. Hinzu kommt, dass die beiden Röhrengardisten auch zum Wagenbauteam der Gesellschaft gehören. "Wir haben in diesem Jahr nicht nur unseren eigenen Wagen von einem Clown in einen Harlekin umgebaut, sondern auch noch einen Motivwagen für die Gemeinschaftshauptschule an der Bruchstraße gebaut. Das hätten wir mit unseren sechs bis sieben Wagenbauern nie geschafft, wenn wir nicht schon im Mai damit angefangen hätten," erzählt Ertel. "Ich habe geholfen, wo ich konnte", erinnert sich Donau an die zig Stunden in der Wagenbauhalle, in denen sie den vor allem mit Holz und Draht gebauten Gesellschaftswagen blau anmalte und anschließend Karos aus Aluminiumfolie schnitt, damit aus dem Blau auch ein Silber-Blau wurde.

Bevor sich der Rosenmontagswagen der Röhrengarde zusammen mit seinen 34 Kollegen um 14.11 Uhr in Bewegung setzt wird Martin Weltgen noch schnell mit dem Orden der Gesellschaft ausgezeichnet. Denn der Landwirt stellt den Silber-Blauen seit Jahren seinen Trecker für den Rosenmontagswagen zur Verfügung und sitzt dann auch selbst am Steuer. Diesmal sind seine vier- und sieben Jahre alten Enkelsöhne Thomas und Stefan mit von der närrischen Partie.
Der Trecker hat es in sich. Der Wagen ruckelt und es riecht immer wieder nach Diesel. Den härtesten Job im Zugteam der Röhrengarde haben zweifellos die Ordner, die den Wagen der Gesellschaft zu Fuß begleiten und verhindern, dass übereifrige Kamellejäger unter die Räder kommen. Wie gesagt: Karnevalisten brauchen Kondition.

Und dazu gehört eben nicht nur eine gute Wurftechnik, sondern auch Stehvermögen auf wankendem Untergrund. Da tut der warme Tee, mit dem Elli Schott die Wagenmannschaft der Röhrengarde versorgt, besonders gut. Alkohol ist auf den Zugwagen Tabu. Erst nach dem Zug gönnen sich Schott und ihre Karnevalskollegen bei der Karnevalsparty in der Stadthalle ein Bier als Belohnung.

Der Rosenmontagszug ist eine echte Lebensschule. Das sieht man auch am Straßenrand. Auch beim Kamellefangen gilt: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Manche Jecken am Straßenrand haben eine gute Fangtechnik, Marke Regenschirm, Plastiktüte und Cowboyhut oder sie wissen sich mit einem fröhlichen Helau und einem Lächeln so in Szene zu setzen, dass sie viel öfter etwas zugeworfen bekommen, als andere, die irgendwo in der breiten Mitte stehen und abwarten. Sie müssen nehmen, was vom Himmel regnet und übrigbleibt.

Keine Frage. Wurftechnisch gesehen ist die gute alte Kamelle für den Rosenmontagszugfahrer immer noch erste Wahl. Doch bei den Jecken am Straßenrand stehen die bei weitem nicht so aerodynamischen Chipstüten höher im Kurs. Denkt man am Anfang der 3,5 Zug-Kilometer noch: "Wer soll das alles werfen und fangen", so erkennt man spätestens an der Friedrichstraße, als die letzten Kartons geöffnet werden, dass beim Wurfgut genug nie genug ist, auch wenn die Wagenbesatzung selbst ihre stillsten Reserven, die vielleicht mal für die Zeit nach dem Zug gedacht waren, über die Bande gehen lässt. Aber Geben ist eben auch am Rosenmontag seliger als Nehmen, vor allem wenn man als Rosenmontagszugfahrer in so viele fröhliche und dankbare Gesichter am Straßenrand schaut.

Dieser Beitrag erschien am 8. März 2011 in NRZ und WAZ

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