Montag, 26. Mai 2025

Der Sämann

 Als der 2014 heiliggesprochene Konzilspapst Johannes XXIII. 1963 starb, war Michael Janßen drei Jahre alt. Und doch hat das Charisma des Angelo Giuseppe Roncalli, der als Papst das II. Vatikanum eröffnete und damit die Türen und Fenster der Katholischen Kirche öffnete, um frische Luft und reformbereite Aufbruchstimmung hineinzulassen so beeindruckt, dass es ihn zu seiner Berufswahl inspirierte. Als Janßen 20 Jahre nach dem Ende des II. Vatikanischen Konzils (1985) zum Priester geweiht wurde, gab es in Mülheim noch 16 Pfarrgemeinden und 15 Pfarrer. Heute betreuen Janßen und sein Amtsbruder Christian Böckmann noch drei Pfarrgemeinden. Doch Janßen, der seit 2004 Pfarrer von St. Mariae Geburt und seit 2008 Stadtdechant ist, macht sich keine Illusionen. Die Zukunft der Mülheimer Stadtkirche sieht er in einer Pfarrgemeinde, die auf dem Kirchenhügel verwaltet wird und deren Kirche nur einer von vielen "christlichen Orten" in der Stadt sein wird,

"Wir müssen als Christen mittendrin in der Stadt sein. Und wenn wir von unserer Frohen Botschaft überzeugt und begeistert sind, werden wir auch andere Menschen davon überzeugen und sie dafür begeistern", glaubt Janßen. Ist das nicht nur frommer Zweckoptimismus angesichts des demografischen und sozialen Wandels, der die Zahl der Mülheimer Katholiken in Janßens 40 Priesterjahren von mehr als 60.000 auf weniger als 40.000 hat schrumpfen lassen.

Angesichts seiner seelsorgerischen Gespräche, die er auch mit den Menschen führt, die aus der Katholischen Kirche ausgetreten sind, bleibt Janßen optimistisch. Auch in seinen Gesprächen mit jungen Menschen spürt er "eine große Sehnsucht nach Halt und Orientierung für ein sinnvolles Leben." Auch ausgetretene Katholiken bestätigen ihnen immer wieder, dass ihr Kirchenaustritt mit dem priesterlichen Missbrauchskomplex in der katholischen Kirche, aber nicht mit ihrem Glauben an die Frohe christliche Botschaft zu tun habe.

Anders, als während des II. Vatikanischen Konzils (1962-1965) sieht Janßen die katholische Kirche nicht im Frühling, sondern im Herbst, also in einer Übergangszeit, in der die Felder beackert und besät werden müssen, ohne dass man die Früchte seiner Arbeit sehen oder ernten könnte. Jesu Gleichnis vom Sämann lässt grüßen.

Zu beackern gibt es auch in der kleiner gewordenen Stadtkirche, daran lässt der inzwischen 65-jährige Janßen keinen Zweifel, auch weiterhin jede Menge. Die "priesterzentrierte Kirche", "die sich an Gebäude klammert, die sie sich nicht mehr leisten kann", sieht er an ihrem Ende. Die von der christlichen Ökumene und dem interreligiösen Dialog geprägten Gegenwart und Zukunft gehöre qualifizierten Laien im kirchlichen Haupt- und Ehrenamt und dem "überfälligen Diakonat der Frau." Auch "verheirateten Männern, die sich in Ehe und Familie bewährt haben", sollte man nach seiner Ansicht den Zugang zum katholischen Priesteramt ermöglichen.

Mehr über Michael Janßens Priesterjubiläum lesen Sie hier und dort

Sonntag, 25. Mai 2025

Erinnernswert

 Radrennfahrer hatten bei mir bisher nicht den besten Ruf. Ich verband sie und ihren Sport vor allem mit Doping. Auch die sogenannten Radfahrer, die auf der Rennstrecke des Lebens nach oben buckeln und nach unten treten, taugen nicht als Vorbilder.

Ganz anders der dreifache Giro-di-Italia und zweifache Tour-de-France-Sieger Gino Bartali, den ich jetzt durch einen Deutschlandfunkbeitrag des Berliner Sportjournalisten Tom Mustroph kennengelernt habe. Er hat uns die menschlich großartige Geschichte des zwischen 1930 und 1953 aktiven Radrennfahrers, der 1914 geboren und 2000 verstorben ist.

Der Italiener aus der Toskana gewann während seiner Karriere mehr als 100 Rennen. Doch seinen menschlich größten Erfolg erfuhr sich Bartali in keinem Radrennen, sondern in den Kriegsjahren 1943/44 Kurier einer jüdisch-katholischen Untergrundbewegung um den florentinischen Bischof und Kardinal della Costa gefälschte Pässe transportierte, mit denen 800 verfolgte Juden auf dem faschistischen Italien vor der deutschen Wehrmacht fliehen konnten, die den Norden Italiens besetzt hatten, nachdem die Amerikaner auf Sizilien gelandet waren.

Weil er damals auch eine jüdische Familie versteckte und sie so vor dem Tod im Holocaust bewahrte, ernannte ihn die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem postum 2013 zum "Gerechten unter den Völkern." Bartali lehnte zeitlebens jede Ehrung ab. Als gläubiger Christ wollte er seinen humanitären Einsatz nicht "wie einen Orden ans Revers heften", sondern in seiner Seele bewahren.

Seinen Spitznamen "der radelnde Mönch" spielte auf seine Religiosität an. Den er gehörte der Laiengemeinschaft des Karmeliterordens an. Nachdem sein jüngerer Bruder Guilio 1936 an den Folgen eines Radrennunfalls  gestorben war, zog sich Bartali zwischenzeitlich aus dem Radrennsport zurück und suchte in einem Karmeliter-Kloster Ruhe und Trost. Nur der Überzeugungskraft seiner damaligen Verlobten und späteren Ehefrau Adriana war es zu  verdanken, dass Gino Bartali seine Karriere als Radprofi  auch für das Andenken seines tödlich verunglückten Bruders Giulio fortsetzte. Und nachdem er nach dem Ende seiner Karriere 1953 eine Fahrradfabrik gründete stifte die ersten drei der von ihm hergestellten Räder stiftete er dem damaligen Papst Pius XII. für bedürftige Kinder und Jugendliche. Kein Wunder also, dass auch die italienische Musiklegende.  Tom Mustrophs DLF-Beitrag über Gino Bartali hören Sie hier Und Paolo Contes musikalische Hommage an Gino Bartali hören Sie hier

Sonntag, 11. Mai 2025

Unter Zwang

 Die NS-Zeit war auch für Mülheim sein dunkelstes Kapitel. 80 Jahre nach dem Ende widmet sich unsere Stadtgesellschaft aus gutem Grund der Erinnerung an jene 25.000 Menschen, die während des Zweiten Weltkriegs in unserer Stadt Zwangsarbeit leisten mussten. Allein im Reichsbahnausbesserungswerk mussten mehr als 1400 junge und ganz junge Menschen aus der damaligen Sowjetunion für Hitlers Kriegswirtschaft schuften. Dort, wo wir heute im Ringlokschuppen Kultur und Kulinarisches genießen dürfen, wurde am 2. Mai eine erste Gedenktafel aufgestellt, die das erste Glied in einer Kette von Erinnerungstafeln, die man zum Beispiel per Rad auf den Spuren der Zwangsarbeit im Mülheim unter dem Hakenkreuz erfahren kann.

Solche Formen der Erinnerungskultur sind heute notwendiger, denn je, da die Generation der Zeitzeugen ausstirbt und die sichtbaren Spuren der einst 55 Lager aus dem Stadtbild verschwunden sind. Dabei zeigen jüngste Erkenntnisse, die unter anderem vom VVN-Mitglied Günter Zonbergs recherchiert und zusammengetragen worden sind, dass es im Mülheim des Zeiten Weltkriegs 162 Orte gegeben hat, an denen Menschen Zwangsarbeiten leisten mussten, ob in der Industrie, in der Landwirtschaft oder in privaten Haushalten, um nur einige Beispiele zu nennen.

Das zeigt, dass die Zwangsarbeit in der Stadtgesellschaft des Zweiten Weltkrieges allgegenwärtig und sichtbar war. Viele Firmen, Familien, Behörden und andere öffentliche Einrichtungen haben von Zwangsarbeit profitiert, zumal viele deutsche Arbeiter zur Wehrmacht eingezogen worden waren.

Nach Angaben der Stadtverwaltung aus dem Jahre 1950 sind während des Krieges 800 Menschen, die hier als sogenannte Fremdarbeiter eingesetzt waren, während ihrer Zeit in Mülheim an der Ruhr zu Tode gekommen sind. Viele von ihnen sind auf dem Altstadtfriedhof an der Dimbeck begraben, Dort haben auch ehemalige Zwangsarbeiter aus der Ukraine bei ihrem Mülheim-Besuch im Jahr 2002 Blumen niedergelegt,

Besonders betroffen macht. Den Eltern unter den Zwangsarbeitern wurden ihre Kinder weggenommen. Offiziell wurden sie in staatlichen Kinderheimen untergebracht. Da sie aber nie wieder aufgetaucht sind, muss man von ihrer Ermordung ausgehen. Ermordet wurde auch jene Zwangsarbeit, denen man unterstellte Lebensmittel oder Kleidung gestohlen oder intime Beziehungen zu Deutschen unterhalten zu haben. Während Zwangsarbeiter bei der Trümmerräumung und bei der Bombenentschärfung eingesetzt wurden, wurden viele von ihnen Opfer der alliierten Luftangriffe, weil ihnen der Zugang zu Luftschutzräumen untersagt war. Auch vor dem Hintergrund massiver Misshandlungen durch das Wachpersonal aus den Reihen der SA, der Polizei und der Wehrmacht, die nach dem Krieg nicht geahndet wurden, überrascht es nicht, dass sich viele freigelassene Zwangsarbeiter im Frühjahr 1945 an ihren ehemaligen Peinigern rächten und mit Plünderungen ihr Überleben sicherten.

Ein Kontrast zu dieser Grausamkeit waren jene Menschen aus Mülheim, die den Zwangsarbeitern, trotz eines strengen Verbotes, immer wieder Kleidung und Lebensmittel zukommen ließen. Zu einem Sinnbild für die Menschlichkeit in Zeiten der staatlich verordneten Unmenschlichkeit wurde die 1903 in Russland geborene, aber seit 1918 in Mülheim lebende Eleonore Helbach. Sie ging als "Russenengel" in die Stadtgeschichte ein, weil sie ihre Dienstverpflichtung als Dolmetscherin als Anwältin und Fürsprecherin der Zwangsarbeiter nutzte. Erst 1997 wurde ihr humanitärer Einsatz mit der Ehrenspange der Stadt Mülheim an der Ruhr gewürdigt, 2001 ist sie in Broich gestorben. Ihre Aufzeichnungen aus den Kriegsjahren 1942 bis 1945 hat der Mülheimer Geschichtsverein 2003 postum in einem Buch über die Zwangsarbeit in Mülheim an der Ruhr herausgegeben. Seit dem Jahr 2000 haben sich zwölf Mülheimer Unternehmen mit Zahlungen an der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft (EVZ) beteiligt, darunter auch Unternehmen, die gar keine Zwangsarbeiter beschäftigt hatten.

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Freitag, 9. Mai 2025

Habemus Papam

Auf Franziskus folgt also Leo XIV. Nach seiner ersten Rede auf der Loggia des Petersdoms sieht Mülheims Stadtdechant Michael Janßen den neuen Papst als "totalen Kontrapunkt zu Donald Trump. Mit seiner Namenswahl knüpft der in den USA geborene und durch seine Arbeit in Peru geprägte Augustinermönch Robert Francis Prevost als Leo XIV. an Leo XIII. an, der 1891 mit seiner Sozialenzyklika "Rerum Novarum" als Arbeiterpapst und als Begründer der katholischen Soziallehre in die Geschichte eingegangen ist. Auch in Mülheim hintierlie8 Leo XIII. Spuren. Für die damals mithilfe des katholischen Industriellen August Thyssen im Arbeiterstadtteil Styrum  errichtete Kirche St. Mariae Rosenkranz stiftete er im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts einen bis heute existenten Seitenaltar.

Die ersten Botschaften seines Namensnachfolgers sind klar: Leo XIV spricht vom Frieden, davon Brücken bauen zu wollen und explizit auch von der Fortsetzung des synodalen Prozesses in der Katholischen Kirche. Nicht nur das lässt den Stadechanten hoffen. Er sieht in Leo XIV. einen Papst, "der in die Fußstapfen von Papst Franziskus treten", aber nicht: "dessen Kopie sein wird". Michael Janssen erkennt bei Leo XIV. das charismatische, lebenserfahrene und kommunikative Potenzial, dass notwendig sei, um als Papst "zur Stimme der Menschheit und der Menschlichkeit zu werden."

Kleines ganz groß

  Sie sind echte Macher, die Männer und Frauen um Martin Menke, die mit ihrem Trägerverein, neues Leben in die Alte Dreherei des ehemaligen ...