"Alles Neue macht der Mai." So dichtete 1829 der Mülheimer Dichter, Lehrer und Heimatforscher Hermann Adam von Kamp. 1863, also vor 160 Jahren, brachte der Mai den neuen Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein hervor. Ein Jahr später gab es ihn auch in Mülheim. Er war der Vorläufer der deutschen Sozialdemokratie. Dass heute bekannte Kürzel SPD bürgerte sich ab 1891 ein.
Damals kam die neue Sozialdemokratische Partei Deutschlands aus dem Untergrund zurück an die Oberfläche des politischen Kräftespiels. Zwischen 1878 und 1890 hatten Bismarcks Sozialistengesetze die Sozialdemokraten in die Illegalität gedrängt und der staatlichen Verfolgung ausgesetzt, Auch nach dem Ende der Sozialistengesetze galten die auch in Mülheim aktiven Sozialdemokraten Kaiser Wilhelm II. als "vaterlandslose Gesellen."
Politische Herzensanliegen
Das 1891 in Erfurt beschlossene Programm der damals von August Bebel geführten SPD formulierte bis heute gültige sozialdemokratische Herzensanliegen. Was der erste sozialdemokratische Bundeskanzler 1969 in seiner ersten Regierungserklärung auf die Formel: "Wir wollen mehr Demokratie wagen!" galt auch schon für die Sozialdemokraten zu Kaisers Zeiten.
Die SPD war die erste Partei in Deutschland, die zum Beispiel die Legalisierung der Gewerkschaften und das Frauenwahlrecht forderte. Auch freie Volksbildung und die Garantie der Grundrechte, die mit der Reichsverfassung von 1871 noch nicht gegeben war, gehörten zur politischen DNA der frühen Sozialdemokraten. Zu ihnen gehörte auch der Lehrer und Journalist Wilhelm Hasenclever und der Tischler Klemens Hengsbach, die 1866 und 1902 in den Deutschen Reichstag einzogen. Hier stellten die Sozialdemokraten ab 1912 die stärkste Fraktion. Daran konnte auch nichts ändern, dass Kaiser Wilhelm II. die Sozialdemokraten als "vaterlandslose Gesellen" diffamierte.
Da die Regierung des Kaiserreiches nicht dem Reichstag, sondern nur dem Kaiser und preußischen König gegenüber verantwortlich war, trotz zunehmender Anhängerschaft, erst nach dem Übergang vom Kaiserreich zur Republik ab 1918 politische Macht ausüben. Dies galt auch für die kommunale Politik, der die Sozialdemokratie bis zum Ende des preußischen Dreiklassen-Zensus-Wahlrechtes politisch ausgebremst hatte. Das von 1850 bis 1918 in Preußen bei Landtags- und Kommunalwahlen praktizierte Dreiklassen-Wahlrecht teilte die Wählerschaft nach ihrem Steueraufkommen ein und sicherte so dem steuerzahlenden Wirtschaftsbürgertum und dessen liberalkonservativen Vertretern in Landtagen und Stadträten eine 2/3-Mehrheit. Mit der Einführung des Frauenwahlrechtes, der Tarifautonomie und des Achtstundentages konnten die Sozialdemokraten unter der Führung des späteren Reichspräsidenten Friedrich Ebert zentrale Forderungen durchsetzen. Nicht von ungefähr ist seit 1949 auch in Mülheim eine Straße nach Friedrich Ebert benannt.
Von der System-Opposition zur staatstragenden Partei
Bei den ersten republikanisch-demokratischen Wahlen wurde die Sozialdemokratie 1919 nicht nur im Reich, sondern auch in Mülheim zur stärksten politischen Kraft. Zwischen 1920 und 1932 war mit Ernst Tommes erstmals ein Sozialdemokraft als Beigeordneter für die kommunale Sozial- und Gesundheitspolitik zuständig.
Die meisten sozialdemokratischen Kommunalpolitiker waren in den 1920er Jahren, so wie der damalige Partei- und Fraktionsvorsitzende Wilhelm Müller (1890-1944) hauptamtliche Gewerkschaftssekretäre. Das galt auch für den damaligen SPD-Stadtverordneten und späteren Oberbürgermeister Heinrich Thöne (1890-1971).
So wie die Sozialdemokraten im Reichstag im März 1933 das Ermächtigungsgesetz ablehnten, so lehnten sie im Mülheimer Stadtrat auch die ersten Beschlüsse der aus Nationalsozialisten und Deutschnationalen gebildeten Ratsmehrheit, wie die Ehrenbürgerschaften für Reichskanzler Adolf Hitler und für den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg sowie den Ausschluss jüdischer Unternehmer von der städtischen Auftragsvergabe ab.
Widerstand und Verfolgung
Für viele politische aktive Sozialdemokraten begann nach dem Verbot ihrer Partei im Sommer 1933 die Zeit des Widerstands. Wilhelm Müller, dessen gleichnamiger Sohn zwischen 1965 und 1980 für die Mülheimer SPD im Deutschen Bundestag sitzen sollte, musste diesen Widerstand gegen Hitler, ebenso wie seine kommunistischen Ratskollegen Otto Gaudig und Fritz Terres mit dem Leben bezahlen.
Auferstanden aus Ruinen
Nach dem Ende der NS- und Kriegszeit, gründete sich die SPD auch in Mülheim neu. Mit dem Leiter der örtlichen Allgemeinen Ortskrankenkasse, Heinrich Thöne, stellte die SPD ab 1948 erstmals den Mülheimer Oberbürgermeister. Auch die erste Oberbürgermeisterin der Stadt, die 1982 ins Amt gewählte Eleonore Güllenstern und der Journalist und erste Mülheimer Bundestagsabgeordnete Otto Striebeck (1894-1972) war ein Sozialdemokrat.
Getragen von einer breiten Zustimmung und Verankerung in der Stadtgesellschaft und begünstigt durch die Erfolge des Wiederaufbaus und des nachfolgenden westdeutschen Wirtschaftswunders, wurden die Sozialdemokraten zwischen 1948 und 1994 zur politisch bestimmenden Kraft. Auch die direktgewählten Mülheimer Landtagsabgeordneten Bundestagsabgeordneten sind seit 1950 bzw. seit 1961 durchgehenden Sozialdemokraten.
Mit Bodo Hombach stellten die Mülheimer Sozialdemoraten in den 1990er Jahren einen Landes- und Bundesminister und mit Hannelore Kraft zwischen 2010 und 2017 die NRW-Ministerpräsidentin. Die kommunalpolitische Dominanz der SPD ging aber nach dem Rücktritt der Oberbürgermeisterin, Eleonore Güllenstern, die sich 1994 in eine private Kreditaffäre verstrickt war, verloren. Auch die Direktwahlen für das Oberbürgermeisteramt gingen 1999, nur um wenige Stimmen, und mit deutlichem Abstand 2020 verloren.
Parteien und Politik im sozialen Wandel
Wie die Volkspartei CDU auch, mussten die Sozialdemokraten in den vergangenen 25 Jahren einen starken Mitgliederschwund hinnehmen, weil gesellschaftliche Milieus, wie das der Industriearbeiterschaft bröckeln und unter dem sozialen Mega-Trend der Individualisierung und des demografischen Wandels die Zahl der Menschen abnimmt, die bereit sind, sich parteipolitisch dauerhaft zu binden. So ist die Zahl der Mülheimer SPD-Mitglieder seit 1998 von 4500 auf jetzt 1200 abgesunken.
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