Am Volkstrauertag 2022 waren deutlich mehr Bürgerinnen und Bürger zum Mahnmal des unbekannten Soldaten gekommen, um den vergangenen und den gegenwärtigen Opfern von Krieg Gewalt Herrschaft und Terrorismus zu gedenken. Vorsichtig geschätzt waren es 100 Bürgerinnen und Bürger, die sich vor dem Mahnmal an der Kettwigerstraße versammelt hatten.
Der Volkstrauertag wurde auf Initiative des Volksbundes Deutsche
Kriegsgräberfürsorge 1919 ins Leben gerufen und 1922 zum staatlichen Gedenktag
erklärt. Bürgermeister Markus Püll zitierte in seiner Funktion als
Kreisvorsitzender des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge unter anderem aus
einer vor 100 Jahren gehaltenen Reichstagsrede des Sozialdemokraten Paul Löbe: „Wir
brauchen Versöhnung und Verständigung, um Leiden zu lindern, Wunden zu heilen,
aber auch, um Tote zu ehren und Verlorene zu beklagen. Das bedeutet Abkehr vom
Hass und Heimkehr zur Liebe. Und unsere Welt hat die Liebe nötig!
Der Superintendent der evangelischen Kirche Pfarrer Gerald Hillebrand
und der Stadtdechant der katholischen Kirche Pfarrer Michael Janßen setzten mit
einer Dialogansprache ein Zeichen der Ökumene. Sie machten deutlich, dass die
Erinnerung an Krieg und Gewaltherrschaft in Deutschland auch heute und künftig
notwendig sei, um die Werte der christlichen Botschaft, die auch die Werte der
freiheitlichen Demokratie und des Grundgesetzes seien, zu bewahren, zu leben
und, wo nötig, zu verteidigen. Hillebrand sagte: „Es gibt heute viele Menschen,
die das gemeinsame Gedenken am Volkstrauertag, viele Jahre nach dem Ende des
Zweiten Weltkrieges in Frage stellen. Doch wir sollten an diesem gemeinsamen
Gedenken am Volkstrauertag festhalten. Denn es hat seinen Sinn, in dem es die
Toten ehrt, die Lebenden mahnt und die Kommenden warnt!“ Und Janßen betete: „Gott,
wir bitten dich: Schenk uns Aufmerksamkeit und Zivilcourage, damit wir
protestieren, wo wir Unrecht wahrnehmen, dass wir helfen, wo die menschliche
Würde mit Füßen getreten wird und dass wir Menschen auf der von dir so wunderbar
geschaffenen Mutter Erde erkennen, dass wir alle deine Kinder sind.“
Der vom Musiklehrer Stephan Adam-Glagovsek geleitete Oberstufenchor der Gesamtschule Saarn
und das Bläserensemble um den Rathaus-Mitarbeiters, Alexander Vogtmann,
begleiteten die Kundgebung zum Volkstrauertag musikalisch und gaben ihr damit einen
würdigen und berührenden Charakter. Die Lieder, die die Saarner Oberstufenschülerinnen
und Oberstufenschüler sangen, „Flashlight“ und „Time“ erzählten von der
Widersprüchlichkeit unseres menschlichen Lebens und unserer Welt, die so
wunderbar und zugleich auch so grausam sein können. Und sie erzählten von der
vergehenden Zeit, die es uns möglich machen kann, aus Fehlern zu lernen, Schuld
zu vergeben und sich mit sich selbst und mit anderen Menschen zu versöhnen. Die
Bläser um Alexander Vogtmann setzen mit der Internierung des 1841 von Hoffmann
von Fallersleben gedichteten Deutschlandliedes den Schlussakkord, dessen dritte
Strophe von allen Anwesenden gemeinsam gesungen, mit dem Dreiklang von
Einigkeit und Recht und Freiheit den Kern unserer Demokratie, in Erinnerung
rief, der am Volkstrauertag 2022, angesichts der inneren und äußeren
Anfechtungen unserer Demokratie eine tiefere Bedeutung bekam.
Zu den Mülheimerinnen und Mülheimern, die an diesem Sonntagmittag den Weg
zum Mahnmal des Unbekannten Soldaten gefunden hatten, gehörten auch
Oberbürgermeister Marc Buchholz und der ehemalige Bürgermeister und FDP-Stadtrat
Paul Gerhard Bethge. Er gehört mit seinen 98 Lebensjahren zur Generation, die
als Soldaten der deutschen Wehrmacht vom Hitler Regime missbraucht wurden und
nach dem erlebten und überlebten Krieg von Werkzeugen der NS-Diktatur zu
politischen Mitgestaltern der neuen westdeutschen Nachkriegsdemokratie geworden
sind. Bethge erinnerte sich: „Ich habe die Errichtung des Mahnmals des Unbekannten
Soldaten an der Kettwiger Straße in meinem ersten Ratsjahr 1964 vorgeschlagen
und seine Realisierung im Jahr 1968 miterleben können. Nachdem dem Vertreter
der politischen Parteien und andere gesellschaftliche Organisationen am Mahnmal
Kränze niedergelegt hatten machte Bürgermeister Markus Püll deutlich, dass sich
der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, dem in Mühlheim rund 50 Bürgerinnen
und Bürger angehören, über zusätzliche Unterstützer und Mitglieder freuen
würde. In diesem Zusammenhang erinnerte er daran, „dass die Pflege von Kriegsgräbern
gerade für Jugendliche, die im Frieden aufgewachsen sind, eine anschauliche und
praktische Form der Erinnerungskultur darstellt.“ Sie zeige Ihnen, so Püll, „was
Krieg für Menschen bedeutet, und was getan werden muss, um auch heute und morgen
Kriege zu verhindern oder zu beenden.“ Laut Püll gibt es in Mülheim acht Gräber
von Mülheimer Soldaten, die in den beiden Weltkriegen gefallen sind. Nicht nur
an die 10.000 Mülheimer Soldaten, die in den beiden Weltkriegen des 20.
Jahrhunderts ihr Leben verloren haben, wurde am Volkstrauertag erinnert,
sondern auch an die 59 Bundeswehrsoldaten, die während des Afghanistan-Einsatzes
zwischen 2001 und 2021 gefallen sind.
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