Mittwoch, 5. Juni 2024

Reden wir über Europa

Am 9 Juni sind 350 Millionen  Menschen in Europa zur Wahl des Europäischen Parlaments aufgerufen. Wahlberechtigt sind diesmal alle Bürgerinnen und Bürger der EU, die 16 Jahre und älter sind. Gewählt werden kann man aber erst ab 18.

Früher wählen

Mit der Absenkung des Wahlalters steigt die Zahl der Wahlberechtigten um rund eine Million Menschen. Mehr Menschen sind nur bei den Parlamentswahlen in Indien, 790 Millionen, aufgerufen.

Anders, als bei Landtags- und Bundestagswahlen haben wir diesmal nur eine Stimme. Denn das EU-Wahlrecht, des seit 1979 direkt gewählten Europäischen Parlaments kennt keine Wahlkreise, auch wenn dies die Sozialdemokraten für die nächste Europawahl 2029 fordern. Anders als in Frankreich oder Tschechien gibt es in Deutschland zurzeit keine 5% Sperrklausel. 0,5% der Stimmen reichen, um mit einem Mandat ins Europäische Parlament einzuziehen und eine Wahlkampfkostenerstattung der öffentlichen Hand in Höhe von 0,83€ zu erhalten.

Eine Chance für kleine Parteien

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass bei der letzten deutschen Europawahl 2019 mit der Tierschutzpartei, mit der Satirepartei Die Partei, mit den Piraten und mit dem Wahlbündnis Volt sowie mit der wertkonservativen Ökologisch Demokratischen Partei (ÖDP) auch Parteien ins Europäische Parlament eingezogen sind, die bei Bundestags- und Landtagswahlen aufgrund der dort angewendeten Fünfprozent-Sperrklausel keine Chance auf einen Parlamentssitz haben.

Bei der Europawahl stimmen die Wählerinnen und Wähler, 61 Millionen von ihnen kommen aus Deutschland und etwa 130.000 aus Mülheim, über eine Parteiliste ab. Gewählt wird nach dem reinen Verhältniswahlrecht, bei dem jede Stimme zählt. Dieses sehr demokratische Wahlrecht wurde in Deutschland auch während der Weimarer Republik von 1918 bis 1933 angewendet und wird heute auch in zahlreichen europäischen Staaten und in Israel praktiziert.

96 Abgeordnete kommen aus Deutschland

96 der 720 zu wählenden Mitglieder des Europäischen Parlaments, werden aus Deutschland kommen. Da die Bundesrepublik Deutschland ist das bevölkerungsreichste Land der EU und  stellt deshalb auch die größte Abgeordnetengruppe, gefolgt von Frankreich, dass 81 Abgeordnete ins Europäische Parlament entsendet. Doch einmal ins Europäische Parlament gewählt, die Wahlperiode dauert jeweils 5 Jahre, schließen sich die nationalen Abgeordneten zu transnationalen Fraktionen zusammen.

Seit 1979 direkt gewählt, geht das Europäische Parlament, mit dieser Wahl in seine 10. Wahlperiode. In der jetzt abgelaufenen neunten Wahlperiode stellten die europäischen Christdemokraten der Europäischen Volkspartei mit 176 Abgeordneten die stärkste Fraktion, gefolgt von den Sozialdemokraten mit 139 Abgeordneten, den Liberalen mit 102 Abgeordneten, den Grünen mit 72 Abgeordneten den europäischen konservativen Reformern mit 69 Abgeordneten und der Fraktion Identität und Demokratie mit 49 Abgeordnete. Weitere 29 Abgeordnete gehören zurzeit keiner Fraktion im Europäischen Parlament an. Das schränkt ihre parlamentarischen Rechte und Arbeitsmöglichkeiten stark ein.

Transnationale Fraktionen

Vor diesem Hintergrund ist der Ausschluss der deutschen AfD aus der rechtsextremen Fraktion Identität und Demokratie eine schwere Schlappe für die deutsche Rechtspartei, da sie sich nach einem Wiedereinzug ins Europäische Parlament zunächst um eine neue Fraktionszugehörigkeit kümmern müsste. Trotz der jüngsten Skandale um die beiden Listenführer der rechtspopulistischen AFD zeigen die jüngsten Umfragen, dass die AfD 14% der Stimmen erreichen könnte. Die in Berlin regierenden Sozialdemokraten von Bundeskanzler Olaf Scholz werden in den aktuellen Umfragen zwischen 14 und 16% und die Grünen bei etwa 14% gehandelt. Die FDP schwankt zwischen 4 und 5%. Die Linken schwanken zwischen 3 und 5%. Das Bündnis Sahra Wagenknecht, das sich von der Linken abgespalten hat, und zur Zeit als Gruppe im Deutschen Bundestag vertreten ist, kann laut den jüngsten Umfragen mit etwa 6% der Stimmen rechnen. Stärkste Partei dürfte demnach die Union werden, der mit CDU und CSU zwischen 29 und 31% vorhergesagt werden.

Mit der Kommissionspräsidentin und Spitzenkandidatin der Europäischen Volkspartei, Ursula von der Leyen, und dem Fraktionsvorsitzenden der EVP Fraktion Manfred Weber stehen gleich 2 Deutsche an der Spitze der EVP Wahlliste.

Drei Abgeordnete aus dem Ruhrgebiet

Mit Jens Geier (SPD), Dennis Radtke (CDU) und Terry Reintke (Grüne) haben 3 Abgeordnete aus dem Ruhrgebiet eine sehr gute Aussicht, erneut ins Europäische Parlament einzuziehen. Geier kommt aus Essen, Radtke aus Bochum und Reitnke aus Gelsenkirchen. Die Mülheimer FDP Europakandidatin Alondra von Groddeck hat aufgrund ihres Listenplatzes keine Aussicht ins Europäische Parlament gewählt zu werden.

Sowohl bei der ersten Direktwahl des Europäischen Parlaments 1979 als auch bei der zweiten Direktwahl 1984 zogen mit dem Sozialdemokraten Heinz Oskar Vetter, dem damaligen DGB-Chef, und dem christdemokratischen Juristen Dr. Otmar Franz 2 Mülheimer ins Europäische Parlament ein. Die erste Direktwahl des Europäischen Parlaments war in Mülheim auch die erste Wange die Mithilfe der elektronischen Datenverarbeitung ausgezählt wurde. Das Europäische Parlament gibt es bereits seit 1952. Damals handelte es sich allerdings nicht um ein direkt gewähltes Parlament, sondern um eine parlamentarische Versammlung von auf nationaler Ebene gewählten Abgeordneten, die aus den jeweiligen Parlamenten der Mitgliedstaaten entsandt wurden. Die ersten Präsidenten des Europäischen Parlaments, der belgische Sozialdemokrat Henri Spaak, der italienische Christdemokrat Alcide de Gasperi und der französische Christdemokrat Robert Schumann waren die ersten Präsidenten des Europäischen Parlaments und gleichzeitig Gründungsväter der europäischen Integration. Sie war mit der Gründung der Montanunion 1952 begonnen und mit der Euratom und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1957/58 fortgesetzt wirden.

Mit den Christdemokraten, Dr. Wilhelm Furler und Hans Gert Pöttering sowie den Sozialdemokraten, Klaus Hänsch, und Martin Schulz standen später auch deutsche Parlamentarier an der Spitze des Europäischen Parlaments.

Die Rechte des Europäischen Parlaments

Anders als Bundestag und Landtage hat das Europäische Parlament kein Initiativrecht in der Gesetzgebung. Dennoch konnte es in den letzten 45 Jahren seine Rechte erheblich ausweiten.

Ohne die Zustimmung des des Europäischen Parlaments kann keine Europäische Kommission ins Amt gewählt werden. Das Europäische Parlament hat die Möglichkeit einzelne Kommissare oder auch die gesamte Kommission abzuwählen. Außerdem können in der Europäischen Union keine Richtlinien und Verordnungen und kein Haushaltsplan verabschiedet werden, denen das Europäische Parlament nicht zustimmt. Das gilt auch für den Europäischen Rat, in dem die Vertreter der Regierungen der Mitgliedsstaaten sitzen. Das Initiativrecht in der Gesetzgebung der Europäischen Union, die aktuell etwa zwei Drittel der deutschen Gesetzgebung beeinflusst, liegt bei der 27-köpfigen EU-Kommission. Allerdings können sowohl das Europäische Parlament als auch der Europäische Rat die Europäische Kommission dazu auffordern zu einem bestimmten Politikfeld einem Gesetzesvorschlag vorzulegen. Wie in Deutschland findet die zweite Lesung der EU- Gesetzgebung in einem der aktuell 27 Fachausschüssen statt. Außerdem gibt es die Möglichkeit eines Vermittlungsverfahrens, wenn sich Rat und Parlament nicht einig sind, ob und wie sie einem Gesetzentwurf der Europäischen Kommission zustimmen oder nicht zustimmen sollen.

Politischer Wanderzirkus

Das Europäische Parlament tagt mit seinem Plenum in Straßburg, mit  seinen Fraktionen und Ausschüssen aber in Brüssel. Seine Verwaltung, das Generalsekretariat, hat seinen Sitz in Luxemburg. Diese kosten- arbeits- und zeitaufwendige Dreiteilung des Parlamentsbetriebs ist dem EU-Proporz geschuldet.

Zur zehnten Europawahl treten in Deutschland 35 Parteien mit insgesamt 1400 Bewerberinnen und Bewerbern an. Die Förderung des europäischen Binnenmarktes, die Förderung der Spitzenforschung, Freiheit Gerechtigkeit, Klimaschutz, Bürgerrechte, Wohlstand eine engere militärische Zusammenarbeit der EU Staaten und der gemeinsame Kampf gegen die Folgen des Klimawandels sind in unterschiedlicher Gewichtung in fast allen Parteiprogrammen zu finden. Die Nationalkonservativen und rechtsextremen Parteien lehnen die Europäische Union in ihrer jetzigen Form allerdings ab und wollen sie in einem Staatenbund souveräner europäischer Demokratien verwandeln. Der EU-Binnenmarkt soll erhalten bleiben, die Asylpolitik allerdings in den Aufgabenbereich der nationalen Regierung zurückgeführt werden.

Angesichts grenzüberschreitender Kriminalität und illegaler Migration wurden 1999 die EU-Polizeibehörde Europol und 2005 die EU-Grenzschutz Agentur Frontex ins Leben gerufen. Iim Vertrag von Prüm hat die Bundesrepublik 2006 eine polizeiliche Zusammenarbeit mit ihrem östlichen und westlichen Nachbarn innerhalb der EU vereinbart. Mit der Einführung des europäischen Binnenmarktes 1993 gelten in der Europäischen Union die 4 Freiheiten des Waren- Dienstleistungs- Personen- und Kapitalverkehrs. Gleichzeitig verpflichten sich die EU-Mitgliedsstaaten im Vertrag von Schengen zu einem gemeinsamen verstärkten Schutz der Außengrenzen beim gleichzeitigen Verzicht auf Binnengrenzkontrollen. Inwiefern vor dem Hintergrund der aktuellen Sicherheits- und Migrationslage nationale Grenzschutzkontrollen wieder eingeführt werden können oder müssen, diskutiert. Grundsätzlich sieht das Schengener Abkommen schon jetzt Ausnahmen vor, die nationale Grenzschutzmaßnahmen bei europäischen Großereignissen oder auch bei Gefahr im Verzug vorsieht.

Sowohl die Liberalen als auch die Grünen sprechen sich mit Blick auf die EU für eine Legalisierung des Cannabiskonsums aus. Sowohl SPD CDU FDP als auch Grüne sprechen sich für eine geordnete beziehungsweise rigide Asylpolitik aus, bei der das grundsätzliche Recht auf politisches Asyl aber erhalten bleiben soll. Dem verstärkten der Flüchtlinge setzen Linke und das Bündnis lange Wagenknecht die Förderung einer solidarischen Willkommenskultur entgegen. Im Gegensatz zu Union SPD FDP und Grünen kritisieren Linke und das Bündnis Sahra Wagenknecht auch die verstärkte Rüstung und die Waffenlieferungen der Eu-Staaten in die vom russischen Angriffskrieg bedrohte Ukraine.  Sie sprechen sich für den Stopp der Waffenlieferungen, für eine  generelle Abrüstung und für eine zivile Konfliktlösung aus.


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