Sonntag, 28. Juli 2024

Was uns der 20. Juli zu sagen hat

Gegenwart ist die Fortsetzung der Geschichte. Im deutschen Fall ist es eine über weite Strecken eine tragische und dunkle Geschichte, die zum Beispiel anhand der NS- und der SED-Diktatur zeigt, wohin politischer Extremismus und der damit verbundene absolute Machtanspruch einer Partei und ihrer Ideologie führen kann. Bei einer Ausstellungseröffnung im Haus der Stadtgeschichte hat Dr. Axel Smend darauf hingewiesen, dass nicht nur eine Diktatur, sondern auch eine Demokratie "wiederständisches Denken und Handeln" braucht, wenn es darum geht ihren Kern, die Bewahrung der Menschenwürde, siehe Artikel 1 des Grundgesetzes, zu bewahren. Was der Jurist Axel Smend meint, ist der Unterschied zwischen Legalität und Legitimität.

Nur weil eine bestimmte Ideologie und ihr daraus resultierendes Handeln und Denken vielleicht gesellschaftsfähig und politisch mehrheitsfähig und am Ende sogar legal zur Rechtsnorm erhoben wird, muss sie noch lange nicht legitim sein. Auch wenn die NS- und die SED-Diktatur nicht 1:1 miteinander zu vergleichen sind, so haben sie doch gemein, dass sie den Widerstand von Menschen hervorgebracht haben, die gegen jeden Mainstream der Inneren Stimme ihres Gewissens gefolgt sind.

Zu diesen Menschen gehörte auch Axel Smends Vater Günther Smend. Er wurde als Generalstabsoffizier des Heeres zum Mitglied und Mitwissers des Militärischen Wiederstandes um den Grafen von Stauffenberg, dessen Leben aktuell im Haus der Stadtgeschichte dargestellt wird. Der 1912 geborene und zwischen 1924 und 1932 in Mülheim aufgewachsene Generalstabsoffizier, wurde nach dem gescheiterten Hitler-Attentat verhaftet, verurteilt und hingerichtet, weil er im Angesicht der NS-Verbrechen versucht hatte, seinen Vorgesetzten, den Generalstabschef Kurt von Zeitzler, für eine Unterstützung des Umsturzes zu gewinnen.

Noch zehn Jahre nach dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler wurde Axel Smend 1954 von seinem Schuldirektor als "Sohn eines Verräters" bezeichnet. Tatsächlich haben Günther Smend und andere Menschen, die, wie zum Beispiel die von den Nationalsozialisten ermordeten Stadtverordneten Fritz Terres, Otto Gaudig und Wilhelm Müller mit ihrem vergeblichen, aber deshalb nicht weniger mutigen und ethisch richtigen Widerstand gegen die menschenverachtende NS-Ideologie ein bis heute wirksames Beispiel gegeben, an das die deutsche Nachkriegsgesellschaft zum Beispiel mit ihrem 1949 in Kraft getretenen Grundgesetz anknüpfen konnte, in dem stärkenden Bewusstsein, dass nicht alle Deutsche zwischen 1933 und 1945 Mitläufer, Gefolgsleute und Handlanger der NS-Diktatur und ihrer Verbrechen war.

Der ebenfalls zum Militärischen Widerstand gehörende Generalmajor Henning von Tresckow hat dies schon im Juli 1944 erkannt, als er in einem Brief an den Grafen von Stauffenberg schrieb:

"Das Attentat muss erfolgen. Koste es, was es wolle. Sollte es nicht gelingen, so muss trotzdem in Berlin gehandelt werden. Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, dass die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte unter Einsatz des Lebens den entscheidenden Wurf gewagt hat. Alles andere ist daneben gleichgültig.

In seinem Sinne sagt Axel Smend heute zurecht, "dass wir dem 20. Juli 1944 ebenso positiv gedenken können, wie dem Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953 oder dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989."


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Mittwoch, 10. Juli 2024

Lebendige Demokratie

 Unser Grundgesetz wird 75. Das war Anlass für eine Demokratiekonferenz. Eingeladen hatten die Katholische Akademie und das Centrum für bürgerschaftliches Engagement (CBE). 130 interessierte Menschen kamen zum Mitdenken und Mitreden in die Wolfsburg. 

"Wir sind als Demokratinnen und Demokraten viele und wir sind mächtig. Aber wir müssen mit unserem Engagement sichtbarer werden", sagte Johannes Karl. Der Mann vom Verein Artikel leitete einen Workshop mit dem vielsagenden Titel: "Das Grundgesetz, ein unbekanntes Buch!"

So unbekannt ist das Grundgesetz dann doch nicht, zumindest bei denen, die sich in den 15 Initiativen und Institutionen vor Ort für unsere Demokratie engagieren und an ihren Infoständen hinter der Akademie zum Gespräch einluden.

Stadtdirektor David Lüngen zeigte sich beeindruckt von der Vielfalt des Engagements, etwa am Stand des Jugendstadtrates oder am Stand der Astrid-Lindgren-Grundschule, die ihr Kinderparlament vorstellte. Einig war sich Lüngen mit Rektorin Katrin Grollmann, "dass Kinder schon früh in die Demokratie hineinwachsen müssen, indem sie merken, dass ihre Stimme gehört wird und das sie ihre Umwelt mitgestalten können.

Viel gewonnen wäre aus Lüngens Sicht, wenn Bund, Länder und Kommunen einen finanziell faire Lastenverteilung hinbekämen, "damit wir vor Ort auch noch etwas entscheiden und erleben können, dass Konrad Adenauer Recht hatte, als er sagte: 'Die Kommunalpolitik ist die beste Schule der Demokratie.'"

Manfred Zabelberg von der Mülheimer Zeitzeugenbörse und Andrea Stern vom Projekt "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage" sind sich einig, dass Schule Kindern und Jugendlichen mehr projekt- und praxisbezogene Demokratiebildung anbieten muss, zum Beispiel in Form von Projekttagen und Zeitzeugengesprächen.

Viel beachtet war bei der Demokratiekonferenz auch Annika Lante vom Evangelischen Kirchenkreis An der Ruhr. Denn sie präsentierte auf Bierdeckeln kompakte Argumente gegen menschenfeindliche Stammtischparolen und Vorurteile.


Zum CBE



Montag, 8. Juli 2024

Nachrüstung 2.0

 Sicherheitspolitik bleibt in der Katholischen Akademie Die Wolfsburg ein Thema. Nach dem Sicherheitspolitischen Berater Christian Mölling war hier jetzt der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, zu Gast. Der Jahresempfang des Ruhrbischofs Franz-Josef Overbeck macht es möglich. Im Podiumsgespräch mit Overbeck, der auch deutscher Militärbischof ist, betonte Breuer: "Kriege können nicht militärisch, sondern nur politisch gelöst werden. 

Eine dauerhafte Friedensordnung muss das Ziel sein." Dem schloss sich auch Bischof Overbeck an: "Frieden bleibt für uns Christen ein Ziel erster Ordnung. Aber es gibt auch keine Alternative zur Verteidigung unserer Freiheit", sagte Overbeck mit Blick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Breuer machte deutlich, dass die Nato angesichts der stark voranschreitenden Aufrüstung Russlands zu einer Nachrüstung gezwungen sei. Nur mit einer glaubwürdigen militärischen Abschreckung könne man einen russischen Angriff auf die Nato dauerhaft verhindern und den notwendigen Verhandlungsspielraum für einen "fairen Frieden in der Ukraine" schaffen. Deshalb sieht Breuer die ukrainische Selbstverteidigung gegen den russischen Luftangriff als "aktuell größte Friedensbewegung Europas."

Der oberste der aktuell 180.000 Soldaten will die Truppenstäke unserer Armee, mittelfristig auf 203.000 und langfristig auf 450.000 Mann steigern. Deshalb begrüßt er den Plan des Bundesverteidigungsministers, Boris Pistorius, mithilfe einer Jahrgangsbefragung zusätzliche Soldaten zu rekrutieren. "Das gesellschaftliche Ansehen der Bundeswehr ist in den vergangenen zehn Jahren wieder gestiegen. Und es gibt genug Männer, die bereit sind, unsere Demokratie zu verteidigen. Auch unsere Nato-Partner erkennen unsere neuen militärischen Bemühung an."


Die Wolfsburg

Samstag, 6. Juli 2024

Partnerstädte hatten die Wahl

Wie im Landestrend, hat auch in Mülheims nordenglischer Partnerstadt Darlington die Kandidatin der Labour Party bei der Unterhaus-Wahl am 4. Juli das Parlamentsmandat gewonnen. Lola McEvoy (Labour) erhielt nach Angaben der Regionalzeitung Northern Echo 16.621 Stimmen. Ihr konservativer Vorgänger, Peter Gibson, landete mit 14.323 auf Platz 2. Michael Walker konnte auf Platz 3 für die rechte Reform-UK-Party 6852 Stimmen. Der Kandidat der Grünen, Mathew Snedker, erhielt 2847 Stimmen, während sich 1735 Wählerinnen und Wähler für den Liberaldemokraten Simon Thorley entschieden.

Gibson war 2019 für Darlington ins Parlament eingezogen und hatte vor fünf Jahren die damalige Labour-Abgeordnete Jenny Chapmann abgelöst. Nach ihrer Wahl nannte Darlingtons neue Labour-Abgeordnete die Stärkung des Öffentlichen Dienstes, die Förderung von Kindern und den ökologischen Umbau der britischen Wirtschaft als ihre wichtigsten politischen Ziele.

Anders, als wir, haben unsere europäischen Mitbürgerinnen und Mitbürger aus Großbritannien bei Parlamentswahlen nur eine Wahlkreisstimme. Wer ins Unterhaus einziehen will, muss in seinem Wahlkreis die einfache Mehrheit der Stimmen erringen. Es gilt das Prinzip "The winner takes it all!"! Wie der Name es sagt, fördert das Mehrheitswahlrecht die Bildung parlamentarischer Mehrheiten. Anders, als bei uns, sind Koalitionsregierungen in Großbritannien nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Andererseits fallen durch das Mehrheitswahlrecht die Stimmen der im Wahlkreis unterlegenen Kandidatinnen und Kandidaten unter den Tisch.

Insofern ist unser seit 75 Jahren praktiziertes modifiziertes Wahlrecht mit seinen zwei Stimmen, die Mehrheits- und Verhältniswahlrecht miteinander verbinden weniger mehrheitsbildend, dafür aber repräsentativer und demokratischer.

Während des Kaiserreiches (1871-1918) wurde der deutsche Reichstag nach dem absoluten Mehrheitswahlrecht gewählt, das heute in Frankreich und damit auch in unserer Partnerstadt Tours angewandt wird. Deshalb kam es in den beiden Tourainer Stimmbezirken und in den 575 anderen Wahlkreisen bei der Wahl der neuen Nationalversammlung am 7. Juli zu einem zweiten Wahlgang, weil im ersten Wahlgang kein Bewerber die absolute Stimmenmehrheit auf sich vereinigen konnte. 
Nach Angaben der Regionalzeitung Nouvelle le Republique siegte im ersten Tourainer Wahlkreis der Abgeordnete der Neuen Volksfront Charles Fournier mit 57,9 Prozent der Stimmen. Sein Herausforderer, Pierre, aus der Präsidentenpartei Ensemble erreichte 42,1 Prozent. 61,8 Prozent der Wahlberechtigten stimmten ab.
Im zweiten Tourainer Wahlkreis lag die Wahlbeteiligung bei 70,3 Prozent. Hier konnte sich die Abgeordnete Sabine Thillaye aus der Präsidentenpartei Ensemble mit 59,7:42, Prozent gegen ihren RN-Herausforderer Ducamp durchsetzen.



"Wozu sind denn Kriege da?"

  "Wozu sind die Kriege da?" Udo Lindenberg schrieb und sang dieses Lied 1981 auf dem Höhepunkt der Atomraketenrüstung des Kalten ...