Montag, 13. Januar 2025

Mein Seminar: Polizei im Wandel der Zeit: Quellentexte für den 13.01.2025

 

Das "Dritte Reich" als Zivilisationsbruch und die Polizei als Weltanschauungselite (dhpol.de)

Das NS-Unrechtsregime schafft einen Doppelstaat, in dem das vorhandene zivile Verwaltungssystem mittels Maßnahmen aus verschiedenen Machtzentren willkürlich unterlaufen wird. Die Grenze zwischen  Polizei und SS wird bewusst zugunsten der SS verwischt, der schließlich alle Gewalt zufällt.

Militarisierung und "Verreichlichung"

Das 1933 errichtete NS-Herrschaftssystem hat ein Interesse daran, den überkommenen Verwaltungsaufbau der Polizei gründlich umzudefinieren. Schlag auf Schlag werden zwei Tendenzen parallel zueinander vorangetrieben:

Einmal die Verreichlichung der Polizei, die am 7. April 1933 mit der Gleichschaltung der Länder eingeleitet und am 1. April 1935 mit der Übernahme der Landespolizeieinheiten durch das Reich vorläufig abgeschlossen wird.

Zum anderen die Militarisierung der Polizei, die am 3. Juli 1935 durch die Eingliederung und Überführung der kasernierten Landespolizeieinheiten in die Wehrmacht offiziell vollzogen wird. Dies bedeutet für die Schutzpolizei eine erhebliche Schwächung ihrer Sollstärke.

Parteipolitische Einbindung der Polizei

Eine neue Qualität erreichen diese Vereinheitlichungsbestrebungen Mitte 1936 mit der Berufung Heinrich Himmlers in das eigens geschaffene Amt des „Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei“. Unter einem Dach werden Ordnungspolizei (Schutzpolizei, Gendarmerie) und Sicherheitspolizei (Kriminalpolizei, Politische Polizei bzw. Gestapo) vereint. Das Ziel einer Verschmelzung der Polizei insgesamt mit der SS ist deutlich erkennbar, was ab 1939 in der Errichtung des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) als der alles bestimmenden Polizeibehörde seinen Ausdruck findet. Dies trifft besonders auf die Polizeiaktivitäten in den besetzten Gebieten zu.

Polizeiliche Indoktrination

Die Polizeiausbildung und -praxis erfährt eine inhumane weltanschauliche Verzerrung und die Polizeiorganisation wird zum willfährigen Instrument der Verbrechen des nationalsozialistischen Unrechtsregimes.

Die "Entzivilisierung" der deutschen Gesellschaft

Auch Angehörige der Ordnungspolizei sind in Mordaktionen eingebunden, die im Zuge einer Machtausweitung der Polizei in den eroberten Gebieten stattfinden; besonders jüngere Jahrgänge dieser Funktionselite setzen ihre Normallaufbahn in einem der berüchtigten Polizeibataillone fort – z.B. in dem im Herbst 1940 gebildeten Kölner Ausbildungsbataillon, aus dem das spätere Polizeibataillon 309 hervorgeht.Eine – neben den Vernichtungslagern und der Justiz – dritte Ebene, auf der ein staatspolizeiliches Instrument zur Unterdrückung ausländischer Zwangsarbeiter und Kriegsgefangener zum Zuge kommt, ist bislang zu wenig beachtet worden: Das zur – eher „unpolitischen“ – Überwachung der Arbeiterschaft eingesetzte System der Arbeitserziehungslager. Auf dieses wuchernde Haftlagersystem greifen – verstärkt während des Krieges – die Privatwirtschaft, Stadtverwaltungen und staatliche Fürsorgebehörden zurück.

Die „Entzivilisierung“ der deutschen Gesellschaft während des Dritten Reiches ist das unübersehbare Kennzeichen des Zeitalters der Diktaturen im 20. Jahrhundert.

Das „Dritte Reich“ in Zwischenkriegszeit und Weltkrieg 1933 – 1945 Das „Dritte Reich“ als Zivilisationsbruch und die Polizei als Weltanschauungselite Der Aufstieg der Hitler-Bewegung beginnt vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen und politischen Krise der Weimarer Republik. In der seit 1929 eskalierenden Staatskrise erhalten die extremistischen Parteien auf der rechten und linken Seite des Parteienspektrums immer mehr Zulauf. Versuche der konservativ-bürgerlichen Parteien, die nationalsozialistische Bewegung zu „zähmen“ und für den eigenen Machterhalt zu instrumentalisieren, schlagen fehl und besiegeln mit der legalen Machtübernahme Hitlers am 30. Januar 1933 das Schicksal der Weimarer Republik. Schon bald wird deutlich, dass die formelle Errichtung des Nationalsozialismus im Jahr 1933 einen nie da gewesenen Zivilisationsbruch darstellt. Die Weimarer Verfassung wird durch die noch im Februar 1933 erlassenen Verordnungen zum Schutz von Volk und Staat und mit dem Ermächtigungsgesetz vom März 1933 außer Kraft gesetzt, die wesentlichen demokratischen Freiheiten werden abgeschafft. Der damit geschaffene Ausnahmezustand bietet die pseudo-rechtliche Legitimation für ein staatliches Terrorregime ohne Beispiel. Das NS-Unrechtssystem schafft einen Doppelstaat, in dem das vorhandene zivile Verwaltungssystem mittels Maßnahmen aus verschiedenen Machtzentren willkürlich unterlaufen wird. Das gesamte staatliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben wird unter dem Vorwand der Schaffung einer harmonischen, nationalsozialistisch orientierten Volksgemeinschaft gleichgeschaltet, das kulturelle Leben vom „undeutschen Geist“ „befreit“. Wesentliches Merkmal für die Organisationsentwicklung der Polizei in der Zeit des Nationalsozialismus ist dabei die sogenannte „Verreichlichung“, die den Prozess der rigorosen Zentralisierung der Polizei durch die NS-Machthaber beschreibt. Dieser Prozess erfährt mit der Gründung des Reichssicherheitshauptamtes 1939 seinen vorläufigen Abschluss. Die Zentralisierung der Polizei soll den direkten Zugriff der Nazi-Partei auf dieses wichtige innenpolitische Instrument zur Sicherung der eigenen Macht gewährleisten. Mit den im Frühjahr 1933 erlassenen Verordnungen und Gesetzen, die bis zum Kriegsende 1945 ihre Gültigkeit behalten, werden wesentliche demokratische Rechte und Freiheiten abgeschafft und der Polizeiapparat erhält umfassende neue Eingriffs- und Überwachungsmöglichkeiten. Die Polizei entwickelt sich in dieser ersten Phase der NSHerrschaft ohne große Probleme oder gar Widerstände zum willfährigen Instrument des NSTerrorregimes. Gründe und Ursachen für diesen problemlosen Wechsel von ca. 95% der Weimarer Polizeibeamten in die Nazipolizei liegen in der personellen aber auch organisatorischen Entwicklung der Weimarer Polizei begründet. Dem schleichenden Prozess der Entrechtlichung des öffentlichen Gewaltmonopols (z. B. durch die Praxis der Schutzhaft), entspricht auf der Organisationsseite die Verwischung der Grenzen zwischen paramilitärischen Parteiformationen wie SA und SS einerseits und der Polizei andererseits. Äußere Zeichen dieser „Entstaatlichung“ der Polizei sind in der Ernennung Himmlers zum „Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei“ (1936) und in den SS-Angleichungsdienstgraden für Polizei- Offiziere zu sehen. Die Grenze zwischen „Ordnungspolizei“ und „Sicherheitspolizei“ wird bewusst verwischt zugunsten der SS, der schließlich alle Gewalt zufällt. Organisationsintern äußert sich die „Entstaatlichung“ in der inhumanen weltanschaulichen Verzerrung von Polizeiausbildung und –praxis. Aus- und Fortbildungssituationen werden von der „Weltanschaulichen Schulung“ dominiert, in der deutlich gemacht wird, dass im Zweifelsfall die nationalsozialistische Ideologie absoluten Vorrang vor rechtsstaatlichen Begrenzungen polizeilicher Tätigkeit hat. Die Bevölkerung unterstützt den alltäglichen Terror der Geheimen Staatspolizei durch die bereitwillige und vielfache Denunziation ihrer Mitbürger. Nur so kann sich der Mythos von der Allwissenheit der Gestapo entwickeln, die damit, unterstützt von der Ordnungspolizei, auf sehr wirksame Art und Weise die systematische Verfolgung und allzu oft damit auch die Vernichtung von Regime-Gegnern betreiben kann. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges fallen die letzten ethischen, rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Begrenzungen polizeilichen Handelns. Polizei-Bataillone und Einsatzgruppen beteiligen sich nicht nur an der Organisation des Holocaust in den von der deutschen Kriegsmaschinerie besetzten Gebieten, sondern sind durch Massenerschießungen vor allem in Osteuropa direkt am nationalsozialistischen Völkermord beteiligt. Deutsche Polizeibeamte werden so mitschuldig an den Verbrechen gegen die Menschlichkeit und an den Kriegsverbrechen, mit der die deutsche Kriegsmaschinerie bis Mai 1945 weite Teile Europas und Nordafrikas überzieht

 

Carsten Dams: Die Polizei in Deutschland 1945-1989/Einleitung, bpb.de

Mit dem Untergang des NS-Staates im Mai 1945 begann in Deutschland die Phase der "erzwungenen Neuorientierungen". Dies betraf die unterschiedlichsten gesellschaftlichen und staatlichen Bereiche: die Polizei bildete hierbei keine Ausnahme. Innerhalb dieser war die Notwendigkeit zu einem Neubeginn sogar besonders ausgeprägt: Wohl keine andere staatliche Institution war derartig eng mit dem Nationalsozialismus verknüpft. Den sichtbarsten Ausdruck fand dies in der Person Heinrich Himmlers: gleichzeitig "Reichsführer-SS" und "Chef der deutschen Polizei", später auch Reichsinnenminister.


Die Gestapo, das Synonym für den NS-Polizeistaat, wurde während der Nürnberger Prozesse zur verbrecherischen Organisation erklärt. Die übrige Polizei nahm man hiervon aus, obwohl die ebenso wie die uniformierte Polizei an unzähligen Verbrechen beteiligt gewesen war und hunderttausendfach gemordet hatte. Dies wurde verschwiegen, vertuscht und verharmlost: Man konnte zu dem Eindruck gelangen, die Polizei des Dritten Reiches habe nur Kleinverbrecher verfolgt oder den Verkehr geregelt. In der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde dies in der Regel nicht thematisiert; die alltäglichen Probleme einer Gesellschaft, die in jeglicher Hinsicht aus den Fugen geraten war, standen im Vordergrund. Viele der Polizeibeamten, die sich während der NS-Zeit schuldig gemacht hatten, beriefen sich auf einen Befehlsnotstand.

Im Strafrecht gilt die Notstandsvorschrift, nach der Straffreiheit garantiert ist, wenn Taten unter Druck unausweichlicher Gefahr für Leib und Leben begangen wurden.

In Prozessen wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen haben die Angeklagten daher immer wieder vorgebracht, sie hätten nur Befehle ausgeführt, deren Verweigerung mit dem Tod oder mindestens der Einweisung in ein Konzentrationslager bedroht gewesen sei. Diese Behauptung eines so genannten Befehlsnotstandes hat bisher in keinem einzigen Fall der Nachprüfung standgehalten. Es hat bei Befehlsverweigerung niemals Gefahr für Leib und Leben bestanden. Kein Soldat oder Polizist, kein Funktionär des NS-Staates, kein KZ-Wächter wurde gegen seinen eigenen Willen zu verbrecherischen Handlungen gezwungen.

Auch bei der SS wurden Angehörige von Einheiten, die sich weigerten, zum Beispiel an völkerrechtswidrigen Erschießungsaktionen teilzunehmen, allenfalls versetzt, aber niemals zum Tod verurteilt, standrechtlich oder ohne Urteil erschossen. Die "Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen" in Ludwigsburg hat nach sorgfältiger Prüfung festgestellt, dass den Gerichten kein einziger Fall vorgelegt wurde, in dem ein "Befehlsnotstand" gegeben war.

 

Stefan Klemp "Nicht ermittelt", Die Polizei-Bataillone der Deutschen Wehrmacht, 2. erweiterte und überarbeitete Auflage, Klartext Verlag, Essen 2011, S.235.

Bei Kriegsbeginn 1939 wurden in Deutschland aus den verschiedenen Polizei-Hundertschaften und – Ausbildungsabteilungen 21 Polizei-Bataillone mit je rund 500 Mann gebildet. 13 dieser Bataillone wurden den Wehrmachtsverbänden zugeteilt, die in Polen einmarschierten. Zu ihrer Aufgabe gehörte es, hinter der Front versprengte polnische Soldaten gefangen zu nehmen, zurückgelassenes polnisches Kriegsgerät einzusammeln und auch in anderer Hinsicht für Sicherheit in den rückwärtigen Gebieten zu sorgen. Mitte 1940 war die Zahl der Polizei-Bataillone bereits auf 101 angewachsen, nachdem die 26.000 jungen Rekruten und viele der einberufenen älteren Reservisten ebenfalls zu Bataillonseinheiten zusammengefasst worden waren. Die neuen Bataillone entstanden auf zwei Arten: Zum einen wurden zur Bereitstellung des erforderlichen Unteroffizierskader Berufspolizisten und bewährte Freiwillige aus den ersten, 1939 nach Polen verlegten Bataillonen befördert und auf die neu gebildeten Einheiten verteilt, deren Mannschaften man mit eingezogenen älteren Reservisten auffüllte. Diese Verbände bezeichnete man als "Reserve-Polizei-Bataillone". Zum anderen wurden aus den Reihen der 26.000 jungen Freiwilligen, die im Herbst 1939 in die Ordnungspolizei eingetreten waren, besondere Polizei-Bataillone mit den Nummern 251-256 und 301-325 gebildet. Aus ihnen sollten die neuen Eliteverbände der Ordnungspolizei hervorgehen.

13 Bataillone wurden in dem besetzten mittleren Teil Polens, dem sogen. "Generalgouvernement" stationiert; 7 weitere kamen in die eingegliederten Ostgebiete, d.h. in den von Deutschland annektierten westlichen Teil Polens. 10 Bataillone stationierte man in den besetzten tschechischen Ländern Böhmen und Mähren, dem sogen. "Protektorat". Außerdem wurden 6 Bataillone in Norwegen und 4 in den Niederlanden stationiert.

Die deutsche Ordnungspolizei legte am 5. Januar 1941 fest, dass die Bezeichnung "Polizeibataillon" nur die aus den Polizei-Ausbildungs-Bataillonen entstandenen Bataillone führen durften. Alle anderen Bataillone, die überwiegend aus Reserve-Polizisten bestanden, führten ab diesen Zeitpunkt die Bezeichnung "Reserve-Polizei-Bataillon"

Martin Hölzl, "Buer und Belzec" in Stefan Goch (Hsg.) "Städtische Gesellschaft und Polizei" Schriftenreihe des ISG, Beiträge Band 12, Klartext-Verlag Essen, 2005

Zitiert nach:

Gelsenzentrum, Portal für Stadt- und Zeitgeschichte in Gelsenkirchen

 

Die Polizeibataillone 65 und 316 und der Mord an den Juden während des zweiten Weltkrieges

Während des zweiten Weltkrieges gehörten hunderte von Männern aus Gelsenkirchen und benachbarten Städten den Polizeibataillonen 65 und 316 an. Heimatstandort dieser mobilen, jeweils 550 Mann starken Verbände der Ordnungspolizei war das Polizeipräsidium Recklinghausen, zu dem seit 1928 das Polizeiamt Gelsenkirchen gehörte. Ihre Marschrouten führten diese Polizeibataillone aus dem nördlichen Ruhrgebiet beispielsweise nach Kaunas in Litauen, in die weißrussische Stadt Mogilew und nach Horseröd in Dänemark. Damit sind nur einige der Orte genannt, die auf dem Weg der Batallione quer durch das deutschbesetzte Europa lagen. Zum Auftrag der Polizeibataillone in Osteuropa gehörten solche Kommandos, über die es seinerzeit im Kameradenkreis geheißen hatte:

"1. Zug Löcher schaufeln, 2. Zug 'legt um', 3. Zug schaufelt zu und pflanzt Bäume"

Gemeint waren Massenerschießungen von jüdischen Familien aus dem Raum Krakau, durchgeführt von der 3. Kompanie des Reservepolizeibataillons 65 zwischen Sommer und Herbst 1942. Wie die Praxis des Völkermordes aus der Sicht der Polizisten aussah, zeichnet der folgende Beitrag am Beispiel von zwei Fallstudien nach. Im Mittelpunkt stehen die Einsätze des Polizeibataillons 316 im Sommer und Herbst 1941 in Weißrussland und die Tätigkeit des Reservepolizeibataillons 65 im Sommer und Herbst 1942 in Polen. Die Darstellung basiert zum großen Teil auf Erkenntnissen der nordrhein-westfälischen Justiz, die in den 1960er Jahren wegen Mordes ermittelte und weit über 600 Batallionsangehörige zu den Vorgängen befragte. Ein Schlußkapitel fragt nach den Motiven, die zur Teilnahme an den Verbrechen geführt haben könnten.

1. Die Rekrutierung und Aufstellung der Polizeibataillone 65 und 316 

Dem Einsatz von Polizeibataillonen während des zweiten Weltkrieges ging eine Entwicklung voraus, in deren Verlauf sich die Polizei von der Exekutive eines Rechtsstaates schrittweise zu dem wichtigsten Instrument eines Verfolgungssystems wandelte. Nicht nur die politische Polizei, die bald als Geheime Staatspolizei berüchtigt wurde und die ebenfalls zur Sicherheitspolizei zählende Kriminalpolizei veränderten sich tiefgreifend. Auch die uniformierte Polizei entwickelte sich zum Vollstreckungsorgan der NS-Diktatur. Unter der neu eingeführten Bezeichnung Ordnungspolizei wurden die städtische Schutz- und Gemeindepolizei und die auf dem Land tätige Gendarmerie zusammengefaßt und 1936 einer Berliner Zentralbehörde, dem Hauptamt Ordnungspolizei unter Kurt Daluege, unterstellt. Deutliches Zeichen der Umorganisation war die Ernennung des Reichsführers SS, Heinrich Himmler, zum Chef der gesamtdeutschen Polizei.

Die Verflechtung von staatlichen Behörden und Parteiformationen setzte sich innerhalb der Polizeihierarchie weiter fort. Spitzenpositionen nahmen Nationalsozialisten ein, die in der Regel zugleich Himmlers Schutzstaffel (SS) angehörten. Strukturell, personell und nicht zuletzt propagandistisch auf NS-Kurs gebracht, wurde die Ordnungspolizei in die Vorbereitungen der Mobilmachung für den neuen Weltkrieg einbezogen. Als diese Planungen vorübergehend zugunsten der Wehrmacht geändert wurden, bedeutete das eine starke Abgabe von Polizeikräften an die Wehrmacht. Während die Armee nun binnen kürzester Zeit 56.000 Mann Zuwachs erhielt, musste bei der Polizei entsprechendes Personal erst wieder aufgestockt werden.

Dazu wurden 91.500 Männer der ungedienten Jahrgänge 1901-1909 in ihrer Freizeit zu einer Hilfspolizei ausgebildet, die offiziell "verstärkter Polizeischutz" (VPS) hieß und im Kriegsfall die reguläre Polizei entlasten sollte. Mit Kriegsbeginn erhielten die Angehörigen des verstärkten Polizeischutzes per Notdienstverordnung ihre Einberufung zum Polizeidienst als sogenannte Reservepolizisten. Sie bildeten ein wichtiges Personalreservoir zur Aufstellung der nach ihnen benannten Reservepolizeibataillone, die ab September 1939 erfolgte. Neben Reservisten kamen in diesen Einheiten aber auch zahlreiche Berufspolizisten zum Einsatz, die insbesondere die Führungspositionen übernahmen.

 

Im Bereich des Polizeipräsidiums Recklinghausen entstand auf diese Weise das Reservepolizeibataillon 65, dem im Verlauf seines Bestehens mehr als 300 Gelsenkirchener angehörten. Im Mai 1940 endete für die Reservisten des Polizeibataillons 65 die Ausbildungszeit mit der Vereidigung. Als die Polizisten anschließend zu ihrem ersten Einsatz in die besetzten Niederlande aufbrachen, rückten ihre Kollegen vom Polizeiausbildungsbatallon Recklinghausen, dem späteren Polizeibataillon 316, gerade in die Kaserne ein. Die Angehörigen des Polizeiausbildungsbataillions gehörten den Geburtsjahrgängen 1909-1912 an und waren damit durchschnittlich etwas jünger als die Reservepolizisten.

Sie hatten sich aufgrund einer Werbekampagne in den ersten Kriegsmonaten zum Polizeidienst gemeldet. Neben einem Interesse am Polizeiberuf spielten noch weitere Gründe eine Rolle, die Zivilkleidung gegen die grüne Polizeiuniform einzutauschen. Die meisten der rund dreißig Jahre alten Rekruten waren verheiratet und hatten eine Familie zu versorgen. Mit der Meldung zur Polizei verbanden viele die Hoffnung auf ein besseres Einkommen und eine sichere Existenzgrundlage, besonders diejenigen, die in ihrem bisherigen Berufsleben schon einmal arbeitslos gewesen waren.

Die Polizei warb mit der Aussicht auf Verbamtung und bevorzugte Beförderung. Schon beim Eintritt wurden den Polizeirekruten pauschal vier Dienstjahre angerechnet, was die Attraktivität der staatlichen Offerte noch steigerte. Dazu kam die überlegung, dass mit Dauer des Krieges ohnehin eine Einziehung zur Wehrmacht bevorstand. Vor diesem Hintergrund erschien der Polizeidienst als ungefährlichere Alternative zum regulären Wehrdienst. Im November 1940 endete für das Polizei-Ausbildungsbataillon Recklinghausen, das nun offiziell die Bezeichnung Polizeibataillon 316 trug, die militärische Grundausbildung und es schloss sich eine knappe Einweisung in die ebenfalls militärisch geprägte Polizei-Theorie und -Praxis an.

Die beiden Bataillone 65 und 316 gliederten sich die längste Zeit ihres Bestehens in jeweils drei Kompanien. Jede der rund 150 Mann umfassenden Kompanien setzte sich ihrerseits aus drei bis vier Zügen zusammen, die nochmals in Gruppen unterteilt waren. Zusammen mit dem Batallionsstab, einer Nachrichteneinheit und einer eigenen Kraftfahrstaffel erreichte jedes Batallion die reguläre Einsatzstärke von ungefähr 550 Offizieren, Unterführern und Mannschaftsgraden.

2. "Alles mögliche ist erschossen worden, ich weiß auch nicht, was das für Volk war" - Weißrussland im Sommer und Herbst 1941: Der Einsatz des Polizeibataillons 316 

Am 17. Februar 1941 brach das Polizeibaitallon 316 zu seinem ersten Einsatz nach Tabor im sogenannten Protektorat Böhmen und Mähren auf, um dort das Polizeibataillon 204 abzulösen. Tabor wie auch Warschau, wohin das Polizeibataillon im Juni 1941 verlegt worden war, waren nur Zwischenetappen für den unmittelbar bevorstehenden Kriegseinsatz im Mittelabschnitt der Ostfront. Mit überschreiten der polnisch-sowjetischen Grenzlinie unterstand das Polizeibataillon 316 als Teil des Polizeiregiments Mitte nicht mehr der Weisungsbefugnis des Berliner Hauptamtes Ordnungspolizei, sondern dem regional zuständigen höheren SS- und Polizeiführer Erich von der Bach-Zelewski. Als "Himmlers Stellvertreter" im Bereich der Heeresgruppe Mitte konnte Bach-Zelewski nicht nur das Polizeiregiment Mitte, sondern auch über die Truppen der Waffen-SS und die Einsatzgruppe B verfügen. Die insgesamt vier in der Sowjetunion tätigen Einsatzgruppen (A-D), die ihrerseits in kleinere Einsatzkommandos unterteilt waren, hatten den Auftrag, in den rückwärtigen Gebieten hinter der Front tatsächliche, bzw. vermeintliche Gegner zu ermorden, wobei kommunistische Funktionäre und Juden ausdrücklich hervorgehoben waren.

Eine Zusammenarbeit zwischen Einsatzgruppen und Ordnungspolizei bei diesem als "Weltanschauungs- und Vernichtungskrieg" konzipierten Feldzug war von Beginn an intendiert. Im einzelnen war die "Durchführung dieser sicherheitspolizeilichen Aufgaben" zwischen den Führern der Einsatzgruppen bzw. Einsatzkommandos und Kräften der Ordnungspolizei abzustimmen. Bach-Zelewski, dem die Koordinierung aller ihm unterstehenden Kräfte oblag, lieferte sich in den nächsten Wochen und Monaten einen regelrechten Wettlauf mit seinen weiter nördlich und südlich agierenden Kollegen um die höchste Mordquote im jeweiligen Zuständigkeitsbereich.

Wenige Tage nachdem die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion angegriffen hatte, rückten Anfang Juli 1941 die Polizisten aus dem Ruhrgebiet in die kurz zuvor eroberte Stadt Byalistok ein und bezogen Quartier. Auf einer Einsatzbesprechung setzte der Kommandeur des Polizeiregiments Mitte, das sich aus den Polizeibatalionen 307, 316 und 322 zusammensetzte, die Befehlshaber seiner Einheiten über den bevorstehenden Auftrag in Kenntnis. Demnach hatten sie in erster Linie für "Aufklärung, Befriedung, Sicherstellung und Bewachung von Lagern"zu sorgen. Die allgemeine Richtschnur hieß, "Polen und Russen gelten als Feinde. Es ist hart, entschlossen und rücksichtslos durchzugreifen."

Bewaffnete Zivilisten waren ebenso wie politische Kommissare zu erschießen. Bezeichnenderweise ordnete gleich der erste größere Einsatz die Durchsuchung des jüdischen Viertels an, mit der am 8. Juli 1941 um fünf Uhr morgens begonnen wurde. Nach nationalsozialistischem Verständnis galten die Juden, insbesondere Intellektuelle, als Träger des kommunistischen Systems, was das weitere Vorgehen bestimmte. Die Polizeibataillone 316 und 322 wurden angewiesen, das jüdische Viertel nach "bolschewistischen Kommissaren und Kommunisten" zu durchsuchen und Wertgegenstände zu beschlagnahmen, die angeblich von Juden geplündert sein sollen.

Während die Durchsuchungsaktion noch im Gange war, stattete Heinrich Himmler den Ordnungspolizisten seinen Besuch ab und erkundigte sich nach dem Fortgang der Maßnahmen. Am Abend des selben Tages fand eine Besprechung statt, an der außer Himmler Erich von dem Bach-Zelewski und Offiziere des Polizeiregiments Mitte teilnahmen. Als eine weitere Instanz des Verfolgungsnetzwerkes war die Wehrmacht durch ihren Befehlshaber des rückwertigen Heeresgebietes vertreten. Von dieser Besprechung soll Major Waldow, der Kommandeur des Polizeibataillons 316, "ganz verstört" zurückgekommen sein und habe, so erinnerte sich später sein Adjudant, seine drei Kompanieführer um sich versammelt. Dann habe er ihnen mitgeteilt, "daß man ihm dort eröffnet habe, daß wir Judenerschießungen durchzuführen haben werden".

Damit konnte Himmler nur Massenerschießungen gemeint haben, denn seit der Ankunft der Batallione in Byalstock waren schon einzelne oder kleinere Gruppen von Juden erschossen worden. Allein das Polizeibataillon 322 hatte bis zum Abend des Durchsuchungstages 22 Personen erschossen, zum Teil auf Anordnung des Sicherheitsdienstes der SS. Laut Kriegstagebuch des Polizeibataillons 322, einem der wenigen aussagekräftigen Dokumente der Ordnungspolizei, die nicht bei Kriegsende verbrannt worden sind, handelte es sich fast ausschließlich (...) um Juden. Ebenso waren durch das Polizeibataillon 316 in diesem Zeitraum Juden und russische Offiziere erschossen worden, einige nach Verurteilung durch Standgerichte.

Am anderen Morgen besuchte mit dem Chef der Ordnungspolizei, Kurt Daluege, ein weiterer NS-Spitzenfunktionär das Polizeiregiment Mitte. Vor dem angetretenen Polizeibataillon 316 hielt er im Bialystoker Sportstadion eine Rede, deren ganze Tragweite den Polizisten erst einige Tage später bewusst werden sollte. Daluege betonte in seiner Ansprache, "daß das Regiment stolz sein kann, an der Niederringung des Weltfeindes, des Bolschewismus, mitbeteiligt zu sein. Noch kein Feldzug sei von solcher Bedeutung gewesen, wie grade der jetzige. Der Bolschewismus wird nun ausgerottet werden, zum Segen Deutschlands, Europas, ja der ganzen Welt." Mit einem Sieg Heil auf den Führer beschloss der General die Ansprache. Zwei Tage später erhielten die Bataillone des Polizeiregiments Mitte durch ihren Regimenskommandeur, Oberstleutnant Max Montua, folgenden Auftrag übermittelt:

"1. Auf Befehl des höheren SS und Polizeiführers z.b.V. beim Befehlshaber des rückw. Heeresgebietes Mitte, sind alle als Plünderer überführte männliche Juden im Alter von 17-45 Jahren sofort standrechtlich zu erschiessen.
Die Erschiessungen haben abseits von Städten, Dörfern und Verkehrswegen zu erfolgen. Die Gräber sind so einzuebnen, daß keine Wallfahrtsorte entstehen können.
Ich verbiete das Fotografieren und die Zulassung von Zuschauern bei Exekutionen.
Exekutionen und Gräber sind nicht bekannt zu geben.

2. Die seelische Betreuung der bei dieser Aktion beteiligten Männer, haben sich die Batallionskommandeure und Kompanie-Chefs besonders angelegen sein zu lassen. Die Eindrücke des Tages sind durch Abhaltung von Kameradschaftsabenden zu verwischen.
Ferner sind die Männer laufend über die Notwendigkeit der durch die politische Lage bedingten Maßnahmen zu belehren.

3. Durchgeführte Exekutionen sind mir täglich bis 20 Uhr in kürzester Form zu melden."


Am Samstag, dem 12. Juli 1941, erfolgte auf der Grundlage des Befehls vom Vortage frühmorgens die Bekanntgabe der genauen Einsatzaufgaben durch die Offiziere der Polizeibataillone 316 und 322 an ihre Mannschaften. Der Auftrag lautete zunächst auf Festnahme aller Juden im "arbeits- oder wehrfähigen Alter" in einem bestimmten Stadtviertel. Während ein Teil der Polizisten den ihnen zugewiesenen Bezirk abriegelten, drangen Kollegen von ihnen in die Wohnungen der Juden ein. Jüdische Männer, die sich nicht sofort abführen ließen, wurden mit Gewalt aus den Häusern gezerrt.

Einer der beteiligten Polizisten der ersten Kompanie, zum Zeitpunkt seiner Vernehmung ein 59-jähriger Gastwirt, schilderte unter Tränen, wie er die Festnahmen erlebt hatte:

"Es gab hier furchtbare Abschiedsszenen, denn die jüdische Bevölkerung ahnte, daß diese männlichen Personen in den Tod gingen. Vermerk: "Herr H. weinte ergriffen". (...) Bestialisch wurden die Opfer von ihren Angehörigen losgerissen und auf die LKW's geprügelt. Hierbei hatten sich nicht nur Angehörige meiner Kompanie, sondern auch Teile der poln. Bevölkerung (Nichtjuden) aktiv beteiligt. Während einige Angehörige der Kompanie mit ihren Gewehrkolben auf die Juden einschlugen, besaßen die Polen bzw. die Nichtjuden Knüppel bzw. abgerissene Zaunlatten, mit denen sie ebenfalls rücksichtslos auf die Wehrlosen einschlugen. Ich war so erschüttert über diese grausame und unmenschliche Handlung, daß ich mich abseits hielt, um nicht wegen meiner Passivität aufzufallen".

Alle Festgenommenen wurden in dem Sportstadion gesammelt, in dem drei Tage zuvor der Chef der Ordnungspolizei "die Ausrottung des Bolschewismus" propagiert hatte. Nach Wegnahme der Wertsachen mussten sie dichtgedrängt in sommerlicher Hitze auf dem Boden hocken und warten. Einige wurden bewusstlos, andere begannen vor Durst zu schreien. Aus Mitleid verteilten wachhabende Polizisten Wasser an Juden, bis Unterführer darauf aufmerksam wurden und es verboten. Immer wieder erschienen Angehörige am Stadion, um sich bei den Wachposten nach dem Verbleib ihrer Männer, Väter und Söhne zu erkundigen, denen man bei der Festnahme erklärt hatte, sie kämen zu einem Arbeitseinsatz. Am späten Nachmittag begann der Abtransport der mittlerweile mehreren tausend Gefangenen in ein Waldgebiet einige Kilometer außerhalb von Bialystock. Jeweils um die dreißig Männer wurden auf die Ladefläche eines LKW gezwungen und durch Polizisten während der Fahrt bewacht.

Das Erschießungsgelände war doppelt gesichert. Eine äußere Postenkette schirmte das gesamte Areal weiträumig vor unbefugten Zuschauern ab. Um die eigentlichen Erschießungsgräben und den Bereich, wo die Juden von den LKW absteigen mussten, zog sich ein weiterer Absperring von Polizisten. Sie hatten den Befehl, auf jeden Flüchtenden sofort zu schießen. Da immer nur ein Teil der ankommenden Opfer gleichzeitig erschossen werden konnte, mussten die übrigen in Todesangst auf dem Boden kauernd warten, bis auch sie zur Erschießung getrieben wurden. Bei der Bildung der Exekutionskommandos fragten die einteilenden Offiziere und Unterführer zuerst nach Freiwilligen. Wenn sich nicht genügend meldeten, wurden weitere Polizisten einfach als Schützen bestimmt, bis die erforderliche Anzahl erreicht war.

Wie Momentaufnahmen haben einzelne Vernehmungsaussagen Augenblicke des Massakers festgehalten. Julius S., der vor seinem Polizeidienst bei der Firma Krupp gearbeitet hatte, erinnerte sich an den genauen Ablauf des Mordeinsatzes in Bialystock:

"Mit 14 Kameraden meines Halbzuges hatte ich außerhalb des Panzergrabens an dessen einer Längsseite auf Tuchfühlung Stellung zu beziehen, nachdem 15 Juden beziehungsweise Männer in den Panzergraben teils hineingejagt, teis hineingeprügelt wurden, wo sie an der anderen Längsseite des Grabens mit dem Gesicht zu ihrer Wand Aufstellung nehmen mußten. Sie bildeten also auch eine in Tuchfühlung stehende Gruppe. Sie weinten, jammerten oder fluchten. Einige riefen auch: "Ihr Hunde, Ihr Schweine!" Wir 15 Schützen waren direkt dem Befehl des Hauptmann Nord unterstellt. Er ging an der Längsseite des Grabens, an der die Delinquenten standen, von einem Opfer zum anderen, wies jeweils mit der gezogenen Pistole auf das Opfer, vor dem er stand, wobei er diese Person abzählte und sich überzeugte, daß zum Beispiel Schütze 5 gegenüber dem Opfer 5 stand. Danach trat er an die Kopfseite und gab den Befehl "Legt an - gebt Feuer!" und wir Schützen gaben eine Salve ab, wobei wir jeweils auf das Genick des uns gegenüber stehenden Mannes zielten. Die Entfernung betrug etwa 5 Meter. Ich habe nur insgesamt 10 Opfer erschießen können, nachher war ich fertig. Ich trat dann zu dem Absperrkommando ab, nachdem mir der Kollege K. sagte, er wolle mich ablösen, und ich übernahm dann für ihn den Absperrdienst. Offensichtlich hatte er Mitleid mit mir, da ich ihm wohl aufgefallen bin."

Die kurze Schußdistanz hatte furchtbare Verletzungen zur Folge. Wenn nicht das Genick, sondern der Kopf getroffen wurde, platzte die Schädeldecke ab und die Schützen wurden mit Blut, Knochensplittern und Gehirnteilen bespritzt. Auf nicht tödlich Getroffene gaben einzelne Offiziere oder der Stabsarzt mit Pistolen "Nachschüsse" ab. In den Gräben waren Batallionsangehörige damit beschäftigt, nach jeder Salve die Körper der Ermordeten gerade zu ziehen, um pro Graben möglichst viele Tote aufnehmen zu können. Einer der dazu Bestimmten wühlte "wie ein Verrückter" völlig verstört in den Leichen herum, ein anderer soll blutverschmiert "wie ein Metzger" ausgesehen haben.

Um die psychische Belastung der Schützen zu verringern und damit auch die Anzahl von Nervenzusammenbrüchen und Fehlschüssen zu reduzieren, wurden die Exekutionskommandos nach einer Weile ausgetauscht. Dann übernahmen die bisherigen Schützen Absperraufgaben oder bedeckten die Ermordeten nach jeder Salve mit einer dünnen Schicht Erde, bevor die nächsten Opfer in die Gruben getrieben wurden. Noch in der Nacht zum Sonntag wurde unter Scheinwerferlicht der LKW, die bis an die Gräben herangefahren waren, weitergeschossen. Erst als in Folge der schlechten Sichtverhältnisse und der grauenhaften Gesamtumstände immer öfter Fehlschüsse vorkamen, ordente Major Waldow im Einvernehmen mit dem Regiment den vorläufigen Abbruch der Erschießungen an. Die Mehrzahl der Batallionsangehörigen hatte zum ersten Mal Menschen getötet. Zu kollektiven Verweigerungen war es nicht gekommen. Nur wenige haben um eine andere Aufgabe gebeten, die meisten führten die ihnen gegebenen Befehle ohne Nachfragen aus. Wenn Schützen dem Mordhandwerk nicht mehr gewachsen waren, fanden sich wiederholt Freiwillige, die für sie einsprangen.

Als die Polizisten in ihre Unterkünfte zurückkehrten, war die Stimmung gedrückt. Einer der Beteiligten sagte über jenen Abend aus: "Einige schimpften, einige schwiegen. An dem Tag war jeder deprimiert und schockiert. Es wurde nicht viel gesprochen, das war später". Über "die Eindrücke des Tages", wie es im Befehl vom 11. Juli in Bezug auf die Erscheießungen geheißen hatte, half vermutlich auch nicht der Alkohol hinweg, den die Männer noch Abends erhielten. Am anderen Morgen wurde das Morden solange fortgesetzt, bis alle festgenommenen Juden, von denen einige im Erschießungsgelände die Nacht über hatten ausharren müssen, hingerichtet waren. Anschließend ebneten die Polizisten die Massengräber ein und bepflanzten sie zur Tarnung mit Bäumen und Sträuchern. Allein an diesem Juliwochenende waren schätzungsweise 3.000 jüdische Männer und Jugendliche ermordet worden. In den Dienstausweisen der Polizisten wurde unter der Rubrik "Sonstige wichtige Eintragungen" lakonisch "Einsatz am 12. und 13.7.1941 in Bialystock" vermerkt, weitere Einträge sollten folgen.

Das Polizeibataillon 316 verließ nach dem 13. Juli Bialystock in östlicher Richtung und traf Mitte Juli 1941 in Baranowcze ein. Dort hatte zuvor das Einsatzkommando 8 der Einsatzgruppe B mehrere hundert Juden ermordet. Für die nächsten drei Wochen diente Baranowcze dem Polizeibataillon 316 als Ausgangspunkt für eine Reihe von Massenerschießungen, die eigenständig oder gemeinsam mit Angehörigen des Einsatzkommandos 8 durchgeführt wurden. Das Vorgehen entsprach dem in Bialystock praktizierten Muster. Unter einem Vorwand trieben Polizisten die Juden zusammen, beraubten sie ihrer Wertsachen und erschossen sie außerhalb der Ortschaften an vorbereiteten Gruben. Den Ordnungshüter wurde zur "Begründung" immer wieder eingeschärft, "daß in erster Linie die Juden die Unruhestifter hinter der Front seien". Doch die den Juden gemachten Vorwürfe waren völlig willkürlich erhoben und wechselten ständig. Den Polizisten musste bewusst gewesen sein, daß die Juden erschossen wurden, nur weil sie Juden und Angehörige der als minderwertig angesehenen Ostbevölkerung waren.

Auf Veranlassung des höheren SS- und Polizeiführers drang am 17. Juli 1941 ein Einsatztrupp des Einsatzkommandos 8 gemeinsam mit dem Polizeibataillon 316 in Slomin ein und nahm etwa 2.000 Männer fest, unterstützt durch die einheimische Bevölkerung. Einer Meldung zufolge wurden 1.075 "Juden und andere kommunistisch belastete Elemente" erschossen, die übrigen Festgenommenen wurden am Abend laufen gelassen. Am 19. und 20. Juli durchkämmten die Polizeibataillone 307 und 316 die Gegend südlich der Rollbahn 1, eine der Hauptverbindungsstraßen zur Front, entlang der Eisenbahnlinie Baranowcze-Luniniec. Im Zuge dieser Maßnahme exekutierte die 2. Kompanie des Polizeibataillons 316 eine größere Gruppe, die Angaben schwanken zwischen 30 und 150 männlicher Juden nahe der Ortschaft Hansewicze.

Der nächste Einsatz des Bataillons, an dem wieder Angehörige des Einsatzkommandos 8 beteiligt waren, richtete sich am 23. Juli 1941 gegen die jüdischen Bewohner Baranowczes. Nach mehreren Bekundungen waren diesmal aber alle Juden zu ergreifen, "ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht". Auch sie wurden anschließend erschossen. Am 24. Juli kamen Polizisten des Polizeibataillons 316 einem Mordauftrag in Telechany nach, der erst am nächsten Tag abgeschlossen war. Ebenso wurden in der zweiten Julihälfte in Lacowicze, Sluzk und an vielen weiteren, nicht mehr identifizierbaren Orten kleinere und größere Personengruppen, in der Mehrzahl Juden, ermordet. Parallel zu diesen Einsätzen, die sich in Tagesaktionen gezielt gegen eine bestimmte jüdische Gemeinde einer Stadt richteten, wurden von kleineren Kommandos Streifenfahrten in das Umland unternommen.

Ab August 1941 bestimmten für längere Zeit solche Maßnahmen, die mit der Sicherung des eroberten Gebietes und wichtiger Verkehrswege begründet wurden, die Tätigkeit des Bataillons. Dabei wurden außer Juden auch russische Soldaten aufgegriffen, die von der schnell vorrückenden Wehrmacht überrollt worden waren und den Anschluß an ihre Einheiten verloren hatten. Allein im Bereich der Heeresgruppe Mitte waren nach den Kesselschlachten von Bialystock und Minsk bis zum 9. Juli 1941 323.000 Soldaten in Gefangenschaft geraten. Ein Bataillonsangehöriger schilderte die Behandlung der russischen Soldaten durch den Führer der 3. Kompanie: "Meistens entschied er an Ort und Stelle, ob die Gefangenen sofort zu erschießen oder auf einem LKW zu einem Gefangenenlager zu transportieren waren." Maßnahmen gegen versprengte Soldaten und Judenmord gingen bei "Durchkämmungs- und Säuberungsaktionen" ineinander über. Vom 6. bis 12. August 1941 sicherte das Polizeibataillion 316 im Verband mit der 252. Infanteriedivision der Wehrmacht eine groß angelegte Durchsuchung der Pripjet-Sümpfe durch die 1. SS-Kavallerie-Brigade ab. Neben der militärischen Offensive gegen versprengt russische Truppenteile, bei der hunderte Wehrmachtssoldaten fielen, ermordete die SS-Kavallerie über 13.000 Juden in den durchkämmten Gebieten.

Im Rahmen dieser Unternehmung hatte das Polizeibataillon 316 die ersten Gefallenen zu verzeichnen. Nachdem die 1. Kompanie in der Nähe des Dorfes Jazyl überraschend von versprengten russischen Soldaten angegriffen worden war, starben sieben Wachtmeister beim Rückzug im Feuergefecht. Erst nach der Freikämpfung des Dorfes konnten die Leichen geborgen werden, von denen mindestens eine, wahrscheinlich aber mehrere verstümmelt worden waren. Die Empörung wurde noch größer, als die Polizisten in einem nahen Sägewerk Wehrmachtssoldaten tot auffanden, deren Leichen ebenfalls geschändet worden waren. Der höhere SS- und Polizeiführer gab persönlich vor Ort den Befehl zur Ermordung der Einwohner von Jazyl. Obwohl eine Unterstützung der russischen Soldaten durch die Dorfbewohner keineswegs erwiesen war, einige Polizisten hielten sie sogar für ausgeschlossen, wurden sie mit Maschinengewehren "einfach reihenweise zusammen geschossen" und ihr Dorf niedergebrannt.

Angesichts der verstümmelten Kameraden schien sich aus der ideologisch aufgeladenen Sicht der Polizisten die nationalozialistische Propaganda, die den russischen Soldaten eine "heimtückische", "asiatische" Kampfweise unterstellte, zu bestätigen. Bei Streifenfahrten außerhalb der Städte bewegten sie sich in einer für sie fremden, als bedrohlich empfundenen Umgebung, in der überall Partisanen vermutet wurden. Der einheimischen Bevölkerung, auch derjenigen, die sich ausgesprochen freundlich gegenüber den Besatzern verhielt, wurde mit Misstrauen begegnet. Indem die Durchkämmungsaktionen und Straßenkontrollen als Maßnahmen zur Bekämpfung von Unruhestiftern, Partisanen und deren Helfern ausgegeben wurden, wurden die angetroffenen Personen demnach auch als solche angesehen.

Die Ereignisse von Jazyl führten zu einer weiteren Brutalisierung der Polizisten. Nach den ersten eigenen Toten wurden von der 1. Kompanie des Polizeibataillons 316 offensichtlich jeder erschossen, der im Umkreis der Rollbahn angetroffen wurde. Keine drei Wochen nach ihrer ersten Beteiligung an einer Massenerschießung von Juden war die Umsetzung des Holocaust für das Polizeibataillon 316 Alltag geworden.

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Kennzeichnend für die Einsätze im Raum Baranowcze ist die folgende Aussage: "An einem Abend hieß es, daß wir am nächsten Tag zum Einsatz kommen würden. Wir konnten uns an sich bereits denken, dass es sich um eine Judenaktion handeln würde, da diese ja an der Tagesordnung waren, wußten aber noch nicht, welche Aufgaben wir hierbei zu erfüllen haben würden." Waren in Bialystock und Slonim zunächst Frauen und Kinder von den Erschießungen noch ausgenommen worden, hatte diese nur wenige Tage später bei der Ermordung der Juden in Baranowicze schon nicht mehr gegolten. Auch die formale Durchführung der Erschießungen war binnen kürzester Zeit erodiert. In Bialyszock hatte man noch zu Beginn den Anschein einer standrechtlichen Erschießung zu waren versucht, indem jeweils ein Schütze einem Opfer gegenüber stand, eine Todeskontrolle mit "Nachschüssen" stattfand und die Leichen vor Heranführung der nächsten Delinquenten mit Sand abgedeckt wurden. Doch schon eine Woche später wurde dieses Vorgehen, das die Schützen psychisch entlasten sollte, den veränderten Gegebenheiten vor Ort angepasst, als am 19./20. Juli 1941 Juden in Hansewicze unter furchtbaren Bedingungen in einem Sumpfgelände ermordet wurden. Zwar hatte man zunächst auch hier versucht, nach dem bisherigen Schema zu verfahren, in der Erschießungsgrube hatte sich aber Grundwasser gesammelt, das sich trotz Sandschichten im Verlauf der Exekutionen blutrot verfärbte. Jede neue Gruppe von Opfern musste buchsstäblich in das Wasser hineinwaten, ehe sie erschossen wurden.

Das Vorgehen des Polizeibataillons 316 entsprach in seiner Entwicklung der Dynamik des Vernichtungsprozesses, die sich auch bei anderen Einheiten zu dieser Zeit im Mittelabschnitt der Ostfront beobachten lässt. Deutlich wird dieser Zusammenhang unter anderem an der räumlichen Nähe zum Einsatzkommando 8, dem das Polizeibataillon zunächst nach Bialystock, anschließend nach Baranowcze und Anfang September schließlich bis nach Mogilew gefolgt war. Dort ermordete am 19. Oktober 1941 das Polizeibataillon 316 zusammen mit dem Einsatzkommando 8 und ukrainischer Hilfspolizei einer Meldung zufolge, "3.726 Juden beiderlei Geschlechts und jeden Alters."

Vom Säugling bis zum Greis wurden die Bewohner des Mogilewer Ghettos unter unbeschreiblich grausamen Umständen mit Maschinenpistolen erschossen, ein Vorgang, den selbst die Täter als eine "wüste Metzelei" bezeichneten. Im Anschluss konnte Mogilew "als fast judenfrei" bezeichnet werden. Lediglich wenige jüdische Handwerker waren von der Exekution ausgenommen worden, weil sie noch als Zwangsarbeiter benötigt wurden. Am 7. und 8. November 1941 beteiligte sich die 3. Kompanie des Polizeibataillons 316 an der Liquidation des Ghettos von Bobruisk. Schon vor Beginn waren die Polizisten angewiesen worden, bei der Räumung des Ghettos "bettlägerige Juden gleich in ihren Unterkünften zu erschießen". Außerhalb der Stadt ermordete die 3. Kompanie zusammen mit dem Einsatzkommando 8, dessen Chef Bradfisch die Leitung hatte, 5.281 jüdische Männer, Frauen und Kinder. Danach konnte auch Bobruisk und das nähere Umland "judenfrei" gemeldet werden. Bis Ende 1941 war fast die gesamte jüdische Bevölkerung im Osten Weißrusslands ermordet worden.

Die Ghettoräumung in Bobruisk ist wahrscheinlich die letzte Massenerschießung von Juden gewesen, an der das Polizeibataillon 316 im Rahmen seines ersten Osteinsatzes beteiligt gewesen war. In der Folgezeit dominierten vereinzelte Gefechte mit russischen Verbänden sowie der Schutz von wichtigen Bahnstrecken und Straßenverbindungen gegen die zahlreicher werdenden Partisanengruppen den Einsatz. Wieviele unbeteiligte Zivilisten auch hierbei ermordet wurden, läßt sich mangels geeigneter Quellen kaum noch nachweisen. Am 23. Mai 1942 kehrte das Batallion für einige Wochen nach Bottrop zurück, bevor es zu neuen Einsätzen in Jugoslawien, Frankreich und Polen aufbrach. Der in der Nachkriegszeit ermittelnde Staatsanwalt hielt in seinem Abschlußbericht fest, daß die Einheit bis zu diesem Zeitpunkt "selbst bei vorsichtiger Schätzung an der Liquidierung von 10.000 bis 15.000 Personen beteiligt gewesen sein" dürfte.

 

3. "Als wir das Lager erreicht hatten, war unser Auftrag erledigt".

Polen im Sommer und Herbst 1942: Der Einsatz des Reservepolizeibataillons 65

Bevor das Reservebataillon 65 im Generalgouvernement tätig wurde, war die Einheit des Polizeibataillon 316 im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion zum Einsatz gekommen. Zunächst im Baltikum, dann auf dem Vormarsch in das Winterlager bei Luga in Nordrussland waren Bataillonsangehörige an Massenerschießungen von Juden beteiligt gewesen. Männer der 1. und 2. Kompanie hatten in Kaunas an der Festnahme, dem Abtransport der Opfer und an Absperrungen mitgewirkt, während die egentlichen Erschießungen von einheimischer Hilfspolizei auf Befehl und in Kooperation mit einem Einsatzkommando vorgenommen worden waren. Darüber hinaus hatte die 3. Kompanie, die streckenweise getrennt von den übrigen Batallionsteilen agierte, bei einer Massenerschießung in Schaulen Ende Juni/Anfang Juli 1941 sowie im Raum Pleskau im Juli 1941 auch Exekutionskommandos gestellt. Bei den Opfern handelte es sich mehrheitlich um Juden, vereinzelnd aufgegriffene Partisanenverdächtige" waren aber ebenfalls erschossen worden. Die reale Gefährdung durch Partisanen oder versprengte russische Soldaten muß jedoch vergleichsweise gering gewesen sein, denn bis Jahresende 1941 hatte das gesamte Reservepolizeibataillon 65 "nur" drei Tote und zehn Verwundete zu beklagen, die bis auf einen Verwundeten sämtlich in die letzte Juliwoche 1941 gefallen waren.

Dagegen war für die militärisch nur unzureichend ausgebildeten und ausgerüsteten die erste Fronterfahrung zum Desaster geraten. Große Teile des Batallions waren im Januar 1942 bei Cholm zusammen mit Wehrmachtseinheiten von starken Verbänden der Roten Armee eingeschlossen worden. Erst Anfang Mai 1942 war es gelungen, die Eingekesselten, die über 100 Tage die Stadt gegen überlegene sowjetische Kräfte gehalten hatten, freizukämpfen.

Die NS-Propaganda wusste den militärischen Erfolg in ihrem Sinne zu nutzen. Mehrfach hatte die Gelsenkirchener Lokalpresse über die Ereignisse berichtet. Hervorgehoben wurde unter anderem, dass ein Gelsenkirchener Batallionsangehöriger die eigens gestiftete Auszeichnung entworfen hatte. Dieser sogenannte Cholm-Schild war allen an der Einkesselung Beteiligten verliehen worden, das Batallion hatte offiziell den Beinamen "Cholm" erhalten, ganz im Stil siegreicher römischer Legionen. Abseits der Ehrenveranstaltungen fiel die Bilanz weniger feierlich aus: Allein beim Resevepolizeibataillon 65 waren 105 Polizisten gefallen, 18 galten als vermisst und etwa 180 Männer waren verwundet worden. Nach den Kämpfen bei Cholm wurde das Resevepolizeibataillon 65 Anfang Juni 1942 in das Generalgouvernement verlegt, d.h. nach Zentralpolen, das seit der deutschen Besetzung im September 1939 unter deutscher Verwaltung stand, aber nicht wie die westlicheren Gebiete des Landes in das deutsche Reichsgebiet "eingegliedert" worden war. Neuer Standort für die nächsten acht Monate wurde ein Barackenlager in Brunowicze am Rande von Krakau.

Zunächst wurden die in Cholm eingesetzen Polizisten zur Erholung gruppenweise in den Heimaturlaub und zu Ski-Lehrgängen in den polnischen Wintersportort Zakopane geschickt. Aus Gelsenkirchen-Buer kamen Reservisten der sogenannten Polizeikompanie "Ost", um die zahlreichen Gefallenen zu ersetzen. Sie wurden weiter vor Ort in Brunowicze ausgebildet bis das Batallion im Sommer 1942 in vollem Umfang seine Tätigkeit in Krakau aufnehmen konnte. Krakau war zur Hauptstadt des Generalgouvernements erklärt worden und damit Sitz zahlreicher Behörden. Als oberster Repräsentant der deutschen Zivilverwaltung residierte Generalgouverneur Hans Frank oberhalb der Altstadt in der Krakauer Burg, zu deren Schutz Männer des Reservepolizeibataillons 65 eingeteilt waren. Auch hatten sie die Dienststelle des Befehlshabers der Ordnungspolizei für das Generalgouvernement, Herbert Becker, zu bewachen. Dieser bildete nach dem höheren SS- und Polizeiführer Friedrich Wilhelm Krüger, der ebenfalls in Krakau ansässig war, die oberste Befehlsebene für die mindestens 12.000 in den fünf Distrikten des Generalgouvernements eingesetzten Ordnungspolizisten.

Zum Vergleich: die Sicherheitspolizei verfügte nur über rund 2.000 Mann deutsches Personal, sie war demach auf fast allen Gebieten auf die Unterstützung der Ordnungspolizei und der personell sehr starken "Hilfspolizei" auch sogenannten Volksdeutschen, Polen und Ukrainern angewiesen. Eine Form der Zusammenarbeit bestand darin, daß Wachtmeister des Reservebataillons 65 mehrfach jüdische und nichtjüdische Häftlinge aus dem Krakauer Gefängnis der Sicherheitspolizei ("Montelupich-Gefängnis") abholten und in einem Waldstück nahe der Stadt erschossen. Welche Funktionen die Ordnungspolizei ganz allgemein im Generalgouvernement wahrnahm und welches Gewicht ihr beigemessen wurde, erschließt sich aus einer Bestandsaufnahme des SS- und Polizeiführers für den Disrikt Warschau.

Dieser stellte bezogen auf seinen Verantwortungsbereich im Herbst 1941 fest, die Ordnungspolizei sei "bis zum letzten Mann restlos eingespannt. Diese ist so das Mädchen für alles! überall dort, wo Not am Mann ist, wird sie eingesetzt. Sei es nun, es handelt sich um die Bekämpfung des Schleichhandels, Bekämpfung des Bettlerunwesens, Gestellung von Ghettowachen, Gestellung von Gefangenentransportkommandos, Bewachung für Kohlen-, Lebensmittel- und Geldtransporte, Großeinsatz zur überwachung des Verkehrs und Verdunklungsmaßnahmen, Gestellung von Sonderstreifen gegen Sabotageakte an Brücken usw., Sonderkomandos für den SD bei Großeinsatz für Verbrecherbekämpfung usw."

 

Als mit der Auflösung des Ghettos von Lublin am 6. März 1942 die systematische Ermordung der Juden im Generalgouvernement einsetzte, erweiterte sich dieses Aufgabenspektrum noch um tägliche Massenerschießungen und Deportationen in die Vernichtungslager. Was für die Polizisten aus dem Ruhrgebiet bedeutete, daß sie seit Sommer 1942 in die Verfolgung der Juden in Krakau und im weiteren Umland einbezogen wurden.

Im ganzen Distrikt Krakau lebten Anfang 1942 Schätzungen zufolge ca. 218.800 Juden. In vielen Städten waren sie in eigenen Viertel konzentriert und isoliert worden, wo sie unter Kontrolle der Besatzungsbehörden standen und dem Zugriff der Polizei ausgeliefert waren. Nach und nach wurden diese Ghettos aufgelöst, in größeren Städten wie Krakau erfolgten mehrere "Aktionen", bei denen jeweils tausende Menschen deportiert wurden. Überlebenschancen hatten nur solche Juden, die als "arbeitsfähig" eingestuft worden waren und aus wirtschaftlichen Erwägungen vorrübergehend verschont blieben.

Der arbeitsteilig organisierte Vernichtungsprozess stezte die Zusammenarbeit unterschiedlicher Behörden voraus, die Koordination auf Distriktsebene lag bei den jeweiligen SS- und Polizeiführern. Zu den Ghettoräumungen konnten zusätzliche Kräfte angefordert werden, um die örtliche Sicherheits- und Schutzpolizei zu unterstützen, in erster Linie Kräfte der Waffen-SS oder der Truppenpolizei. Im Raum Krakau fiel diese Funktion wiederholt dem Reservepolizeibataillon 65 zu. Offenbar war es zu dieser Zeit üblich, den Polizisten per Aushang am "Schwarzen Brett" die Namen derjenigen mitzuteilen, die zur Teilnahme an einem Einsatz vorgesehen waren. Freiwillige erhielten Sonderrationen an Schnaps, Zigaretten und Tabak.

Das Batallion war mittels der eigenen Kraftfahrzeuge in seinem Aktionsradius nicht auf den Distrikt Krakau beschränkt, wie das folgende Beispiel zeigt. Im August 1942 fuhr die 3. Kompanie zu einem Einsatz nach Kielce, nordöstlich von Krakau im Distrikt Radom. Ihr Auftrag bestand darin, im fast menschenleeren Ghetto, vorausgegangen war die eigentliche Räumung, wahrscheinlich unter der Beteiligung der 1. Kompanie, nach versteckten oder zurückgelassenen Juden zu suchen. Von den Polizisten wurde der Einsatz daher als ein "Nachkmmando" bezeichnet.

Alle aufgegriffenen Juden wurden zu Fuß oder mittels Panjewagen in ein nahes Waldstück gebracht. Dort angelangt, mussten sie sich nackt ausziehen und an Gruben herantreten, die vorher durch polnische Hilfskräfte ausgehoben worden waren. Die Erschießungen erfolgten durch Polizisten des Batallions und durch Angehörige der Sicherheitspolizei. Überwiegend soll es sich bei den ca. 40-50 Aufgegriffenen um ältere Frauen und Männer gehandelt haben, die krank waren und nicht mehr gehen konnten. Vereinzelt waren aber auch Jüngere bis hin zu Kindern unter den Opfern, wie Alois B. zu Protokoll gab:

"Ich erinnere mich noch, daß eine jüdische Frau mittleren Alters mit einem etwa zwei Jahre alten Kind sofort in die Grube hineigesprungen ist und sich dem Exekutionskommando mit dem Gesicht und erhobenem Kopf gegenüber gestellt hat. Dies war für mich ein besonders fürchterlicher Anblick. Wie die Erschießung dieser Frau mit dem Kind erfolgte, ob durch Pistolenschüsse oder durch Schüsse mit einer MP, kann ich heute nicht mehr sagen. Der Anblick bei der Erschießung dieser Frau ist mir ganz deutlich in Erinnerung geblieben. (...) Unser Kommando hat sich meines Wissens am Exekutionsort etwa 3-4 Stunden aufgehalten. Danach war der Einsatz beendet. Wir sind am Spätnachmittag mit unseren Fahrzeugen zu unserer Unterkunft nach Krakau zurückgefahren."

Eine weitere Ghettoräumung, die das Reservepolizeibataillon 65 durchführte, fand zwischen Sommer und Herbst 1942 in Krakau statt. Der Vorgang entsprach dem bekannten Schema: Im Morgengrauen fuhren die Polizisten mit ihren Fahrzeugen zum Ghetto in Krakau. Während ein Teil der Männer die Absperrung übernahm, und Flüchtende aufzuhalten hatte, drangen andere Polizisten in die Häuser ein und trieben die Bewohner auf die Straße. Die nicht mehr Gehfähigen und Schwachen wurden gleich in Ghettonähe erschossen, darunter die Patienten eines jüdischen Krankenhauses. Der Gelsenkirchener Josef D. schilderte ausführlich die Festnahme:

"Ich kam u.a. in ein Krankenzimmer und hier sagte mir der Arzt, es handele sich um eine frisch operierte (Blinddarm) Patientin und diese wäre nicht transportfähig. Ich antwortete ihm, daß wir aber alle Insassen abzuliefern hätten, bzw. die Zahl, die auf dem Schein stand. Und wenn sie nicht mit könne, so müsse er oder ein paar andere ärzte mitkommen. Mit diesen Menschen, genau 46 an der Zahl, fuhren wir zu einem uns bekannten Platz im Wald. (...)

Vorweg möchte ich noch eine traurige Geschichte zu Protokoll geben, die sich im Krankenhaus zutrug. U.a. hatten wir eine alte Krankenschwester mit zu verladen. Diese zeigte mir ein EK I aus dem ersten Weltkrieg und sagte mir, daß sie im ersten Krieg Krankenschwester war. Außerdem bot sie mir Geld und Schmuck an und ich solle ihr das Leben retten. Ich konnte es doch nicht aus der damaligen Situation heraus. Ich nahm zwar das Geld und den Schmuck an mich und gab beides den mit anwesenden SS-Männern. Als wir in den Wald kamen, war auch der Lt. B. noch da. Dort befanden sich, wie ich schon wußte, mehrere Gruben. Die jungen Polen zogen dort an den Gruben die Männer, Frauen und Kinder nackend aus und führten sie an die Grube. Nur der frisch operierten Frau (es handelte sich hierbei um die schon erwähnte Krankenschwester) wurde das Nachthemd angelassen. Diese wurde an die Grube getragen. Ich habe bei der Exekution dieser 46 Insassen des Krankenhauses abgesperrt. Diese Menschen sind dann durch Karabinerschüsse von Schützen aus der 1. Kp. getötet worden. Zumindest nehme ich an, daß auch diese Leute durch die 1. Kp. getötet wurden. Zumeist mußten sich die Opfer auf den Grubenrand knien und in einer Entfernung von etwa 2-3 Metern wurden sie dann, ohne ein vorheriges Feuerkommando getötet".

Außer den Krankenhausinsassen wurden hunderte Menschen im Zusammenhang mit der teilweisen Auflösung des Krakauer Ghettos erschossen, auch hierbei stellte das Reservepolizeibataillon 65 die Schützen für Exekutionskommandos. Für dieses Vorgehen hatte die NS-Bürokratie den menschenverachtenden Ausdruck "örtliche Umsiedlung" ersonnen, in Abgrenzung zur "Umsiedlung". Mit diesem Unwort wurden im Schriftverkehr von Behörden etwa in Zugfahrplänen, sowie im Sprachgebrauch des Batallions die Deportationen in Vernichtungs- oder Konzentrationslager umschrieben, die nun den weitaus größeren Teil der Ghettobewohner traf. Trotz Tarnsprache und Vorwänden, mit denen die Menschen über ihr weiteres Schiksal getäuscht werden sollten, wußten die Juden in Krakau, daß die Züge nach Auschwitz fuhren und die Deportierten dort vergast wurden. Frauen aus dem Ghetto, die täglich bei den Polizeiunterkünften arbeiten mußten, unterhielten sich mit den Polizisten sogar darüber: "Sie selbst würden eines Tages dort auskommen".

Kraftfahrzeuge des Batallions brachten die Menschen vom Ghetto zum Krakauer Güterbahnhof, wo sie in Güterwaggons hineingepfercht wurden. Zur Bewachung stieg ein Kommando des Reservepolizeibataillons 65 in einen eigenen Waggon am Zugende. Ein Mitglied eines solchen Wachkommandos erinnerte sich besonders an die Maßnahmen, die eine Flucht der Juden verhindern sollten:

"Wie viele jüdische Menschen nun an diesem Tage von Krakau nach Auschwitz transportiert worden sind, kann ich nicht genau sagen. Der Güterzug hat meines Wissens jedoch 25-30 Waggons gehabt, die voll mit jüdischen Menschen beladen waren. Die Fahrt von Krakau nach Auschwitz hat meines Wissens einige Stunden gedauert. Soweit ich das heute noch in Erinnerung habe, ist der Zug auch laufend durchgefahren. Dies geschah schon deshalb, um Ausbrüche zu vermeiden. (...) Hinsichtlich eventuell fliehender jüdischer Menschen bestand der Befehl, auf diese zu schießen. Wer diesen Schießbefehl allerdings erteilt hat, kann ich nicht mehr sagen. Soweit ich mich noch erinnere, sind uns unsere Verhaltensmaßnahmen jedoch von einem Offizier des Batallions bekannt gegeben worden.

Ich erinnere mich auch, daß auf dem Transport von Krakau nach Auschwitz einzelne jüdische Menschen geflohen sind. Diese hatten die Waggonluken gewaltsam geöffnet und sich während der Fahrt dort heraushängen und herunterfallen lassen. Von uns konnte dies jedoch kaum verhindert werden, da der Zug laufend durchgefahren ist. Ich meine, daß bei dem Transport auch von Leuten von uns auf fliehende jüdische Menschen geschossen wurde, bin jedoch nicht mehr in der Lage anzugeben, wer geschossen hat, und ob einzelne fliehende jüdische Menschen auch getroffen wurden. (...) Wir sind mit dem gesamten Zug direkt bis ins KL hinein gefahren. Als wir das Lager erreicht hatten, war unser Auftrag erledigt. Ich weiß noch, daß wir direkt nach unserer Ankunft in Auschwitz ein Lokal in der Nähe des KL aufgesucht haben und dort etwas gegessen haben. Anschließend hat unser Kommando geschlossen die Rückfahrt mit der Eisenbahn (Personenzug) von Auschwitz nach Krakau angetreten".


Die meisten der im Sommer und Herbst 1942 aus dem Krakauer Ghetto Deportierten wurden in den Vernichtungslagern Belzec und Auschwitz gleich nach ihrer Ankunft durch Gas ermordet. Wer in Auschwitz bei der "Selektion" nicht sofort in die Gaskammer geschickt wurde, starb infolge Zwangsarbeit, Hunger und Krankheiten. Viele der entkräfteten Menschen überlebte erst gar nicht den stundenlangen Transport. Was an dem Zielort der Deportationszüge geschah, konnte den Polizisten kaum verborgen bleiben. über den hohen Zaun eines Lagers sahen sie "hohe Kleiderberge", außerdem bemerkten sie "Leichengeruch" und Geruch von "verbrannten Haaren. In einer Gaststätte in der Nähe von Auschwitz berichtete ihnen ein betrunkener SS-Mann von der Ermordung durch Gas und der Verbrennung von Leichen.

Außer den geschilderten Einsätzen in Kielce und Krakau haben weitere solcher "Aktionen" stattgefunden. Jedoch reichen die in den Vernehmungen gemachten Angaben nicht aus, sie hinsichtlich Zeit und Ort näher zu bestimmen. Das Batallion, wenigstens aber ein aus Batallionspolizisten gebildetes Kommando, hatte sich regelrecht darauf spezialisiert, Ghettoräumungen durchzuführen. Als ein Beleg für diese Einschätzung kann das Geständnis eines Gelsenkirchener Handwerkers gelten, der sich selbst beschuldigt hatte, innerhalb von acht Wochen "5 bis 6 mal" als Absperrposten einem Kommando angehört zu haben, dessen Aufgabe die Ermordung von Alten, Frauen und Kindern im Zusammenhang mit Deportationen gewesen war". Auch spricht die Tatsache, daß sich kaum noch ein Beteiligter an Ortsangaben und Besonderheiten der mitgemachten Einsätze erinnerte, abgesehen von Verdrängung und nur vorgegebene "Gedächnislücken" in den Vernehmungen, für die Häufigkeit solcher Erfahrungen.

4. Der Holocaust als Charakteristikum der Batallionsgeschichte  

Die dargestellten Fallstudien umfassen diejenigen Phasen der Batallionsgeschichten, in der mit Abstand die meisten Menschen ermordet wurden. Jedoch blieb die Umsetzung der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik auch in den folgenden Kriegsjahren eine zentrale Aufgabe beider Formationen. Die direkte Einbindung in den Genozid, die spätestens mit der Verlegung des Reservepolizeibataillons 65 aus den Niederlanden in die Sowjetunion begonnen hatte, setzte sich über den Winter 1942/43, als die Einheit im Distrikt Lublin tätig wurde, fort. Das gleiche gilt für den weiteren Weg des Polizeibataillons 316, das ebenfalls bis Kriegsende funktionaler Bestandteil des Besatzungs- und Verfolgungsapparates blieb.

Der Kampf gegen tatsächliche oder vermeintliche Partisanen sowie versprengte russische Soldaten, mehrfach auch Fronteinsätze, bestimmen einen wichtigen, aber eben nur einen Teil der gesamten Batallionszeit. Dagegen zieht sich der Holocaust wie ein roter Faden durch die Geschichte beider Einheiten. Die Etappen der immer brutaler und kompromissloser werdenden nationalsozialistischen Vernichtungspolitik spiegeln sich geradezu in den Einsätzen der Polizeibataillone 65 und 316.

Binnen kürzester Zeit vollzogen die Polizisten die Ausweitung des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion mit, als in wenigen Wochen des Sommers 1941 die Massenerschießungen von jüdischen Männern im wehrfähigen Alter schrittweise auch die unterschiedslose Ermordung von Juden jeden Alters und Geschlechts ausgeweitet wurden. Im Herbst 1941 gipfelte diese Entwicklung in der Auslöschung der großen jüdischen Gemeinden von Mogilew und Bobruisk durch das Polizeibataillon 316.

Diese Radikalisierung des Ostkrieges wurde auf das Generalgouvernement übertragen und das durchaus im wörtlichen Sinne. Denn als im Sommer und Herbst 1942 die Männer des Reservepolizeibataillons 65 im Raum Krakau Ghettoräumungen und Deportationen durchführten, konnten sie auf prägende Erfahrungen zurückgreifen: Bestandteile ihres mentalen Marschgepäcks in Polen waren Abstumpfung, Enthemmung und Routine aus einem Jahr Vernichtungskrieg im Baltikum und Nordrussland.

 

Ein weiteres Kennzeichen der Umsetzung des Mordprogramms war seine Bedingungslosigkeit. Nach den großen Ghettoräumungen wurde Jagd auf einzelne Untergetauchte gemacht, um niemanden entkommen zu lassen. Zu diesem Zweck durchstreiften Männer des Reservepolizeibataillons 65 von Herbst 1942 bis Frühjahr 1943 bei Lublin Waldgebiete nach Juden, die Schutz in Erdhöhlen gesucht hatten, um sie an Ort und Stelle zu erschießen.

Auch für die europäische Dimension der "Endlösung", als Juden aus dem gesamten deutschen Herrschaftsbereich in die Ghettos und Vernichtungslager Osteuropas deportiert wurden, lassen sich Beispiele aus der Geschichte beider Einheiten anführen. Während seiner Stationierung in Südfrankreich führte das Polizeibataillon 316 gemeinsam mit der französischen Polizei vom 22. bis 27. Januar 1943 eine groß angelegte Razzia im alten Hafenviertel von Marseille durch. Unter den mehreren tausend Festgenommenen befanden sich auch 780 Juden, die im März 1943 in das Vernichtungslager Sobibor gebracht wurden.

Im gleichen Jahr war das Reservepolizeibataillon 65 für die Begleitung von Deportationen aus Nordeuropa verantwortlich. In den Aufgabenbereich der Polizisten fiel während ihrer Stationierung in Dänemark die Bewachung des Internierungslagers Horseröd, in dem zunächst Kommunisten, später auch Juden inhaftiert waren. In der Nacht vom 1. auf den 2. Oktober 1943 erhielten die Polizisten den Befehl, in Kopenhagen Wohnungen jüdischer Familien zu durchsuchen. Sie trafen überwiegend ältere Menschen an, die nicht mehr nach Schweden hatten flüchten können. Eskortiert durch Kräfte des Polizeibataillons 65 wurden 202 Juden und 150 Kommunisten die in Horseröd inhaftiert waren, per Schiff nach Swinemünde gebracht, um weiter mit der Bahn in Konzentrationslager abtransportiert zu werden. Es folgten noch weitere Deportationen von Juden (am 12. Oktober über Warnemünde) nach Theresienstadt und in das Konzentrationslager Oranienburg bei Berlin.

Die europäischen Ausmaße des Völkermords führten zu Situationen ganz eigener Art, nämlich dem Zusammentreffen von Tätern und Opfern aus dem Raum Gelsenkirchen in einem kleinen polnischen Ort. Anfang November 1943 wurden bis auf ganz wenige Ausnahmen die noch verbliebenen Arbeitslager im Raum Lublin aufgelöst und die jüdischen Zwangsarbeiter erschossen. Der damals 35 jährige Albert K., im Zivilberuf Weber in einer Textilfabrik, nahm als Oberwachtmeister des Polizeibataillons 316 an der Räumung des Lagers Anapol teil. Albert K. hatte mit anderen Polizisten den Auftrag, das Lager zu umstellen. Als die jüdischen Häftlinge aufgefordert wurden, zum Appell anzutreten, kam es zu folgender Begegnung mit einer Zwangsarbeiterin, die sich noch in ihrer Baracke befand:

"Ich stand am Lagerzaun, als die Frau das Fenster öffnete. Ich unterhielt mich mit ihr, sie nannte mir auch noch ihren Namen, den ich aber vergessen habe. Die Frau erzählte mir u.a., daß sie selbst aus Gelsenkirchen komme, und daß alle anderen Lagerinsassen Deutsche seien und aus der Gegend Gelsenkirchen/Recklinghausen stammen würden. Weiterhin erzählte sie mir, daß sie Jüdin sei und auch alle anderen Lagerinsassen Juden seien. Die Frau erzählte mir weiterhin, sie wisse schon, was ihr bevorstehe und sie meinte, es sei gut, dann hätte das Elend ein Ende. Alle Lagerinsassen wurden an diesem Tag durch Exekutionskommandos der Sicherheitspolizei bzw. des Sicherheitsdienstes der SS erschossen, die Bewachungsposten stellte die Ordnungspolizei".

Sogar die Schlussphase des Holocaust, als die Spuren der Verbrechen beseitigt werden sollten, bildet ein Kapitel in der Geschichte des Polizeibataillons 316. Der vorrückenden Roten Armee sollten keine Hinweise auf die deutschen Massaker in die Hände fallen. Bewacht von Batallionspolizisten mussten jüdische Arbeitskommandos Massengräber im Raum Lublin öffnen, die Leichen exhumieren, sie verbrennen und die Asche mit einer Knochenmühle zerkleinern, bevor sie selbst ermordet wurden.

5. Annäherung an die Motive der Täter  

Eine bloße Rekonstruktion von Marschrouten und begangenen Verbrechen der Polizeibataillone 316 und 65 bleibt unbefriedigend, wenn nicht auch versucht wird, die Motivstrukturen der Beteiligten zu ergründen. Dabei stellt sich jedem, der sich mit diesem Feld der Täterforschung befasst, ein ähnliches Grundproblem: Es mangelt an aussagekräftigen Quellen, die über die Motive der Polizisten Auskunft geben könnten. Zwar wurden die ermittelten Batallionsangehörigen in den 1960er Jahren genau dazu von Justiz und Kriminalbeamten verhört, doch geben die Vernehmungsprotokolle heute wie damals nur einen begrenzten Blick auf die Mentalität der Akteure frei. Diese Feststellung betrifft in erster Linie jene Passagen in denen sich die Beschuldigten auf direkte Nachfrage zu ihren Tatmotiven äußern mussten.

Regelmäßig erklärten sie, daß ihre Teilnahme an den Festnahmen und Erschießungen einzig aus Angst vor lebensbedrohlichen Strafen erfolgt sei, sie aber tatsächlichen Verbrechen ablehnend gegenüber gestanden hätten. Damit beriefen sie sich auf eine rechtliche Konstruktion, die als so genannter Befehlsnotstand bekannt wurde und in nahezu allen Verfahren gegen NS-Täter eine Rolle spielte.

Zwar konnten Justiz und Geschichtswissenschaft nachweisen, daß objektiv eine solche alternativlose Zwangslage nicht bestanden hatte, weil nach intensiven Recherchen, auch durch die Anwälte der Beschuldigten, kein Fall bekannt geworden war, bei dem die Verweigerung eines Mordbefehles lebensbedrohliche Konsequenzen zur Folge hatte. Um der damaligen Lage der Polizisten gerecht zu werden, akzeptierten die Gerichte aber auch den subjektiven Befehlsnotstand. Dieser wurde dann als gegeben angesehen, wenn der Befehlsausführende zum Zeitpunkt der Tat irrigerweise davon überzeugt gewesen war, eine Verweigerung hätte ihn in eine lebensbedrohliche Situation gebracht, obwohl ihm tatsächlich eine solche Strafe gar nicht gedroht hätte. Immer wieder beschrieben die Beschuldigten ein auswegloses Szenario, das ihrer damaligen Situation entsprochen haben soll.

Vor diesem Hintergrund müssen die zum Teil großen Widersprüche in den Vernehmungsaussagen gesehen werden, deren Wahrheitsgehalt nicht durch Quellen überprüft werden kann, die einer bewussten Manipulation unverdächtig sind. Weder stehen für beide Polizeibataillone Aussagen von unbeteiligten Zeugen zur Verfügung, noch gibt es Briefe oder ähnliche zeitgenössische Dokumente, die einen unverfälschteren Einblick in die Mentalität der Polizisten geben könnten.

Einiges spricht dafür, daß solche Polizisten, denen die Mordaufträge zuwider waren, tatsächlich aus Angst vor nicht genau abschätzbaren Konsequenzen (aber nicht notwendigerweise aus Angst um ihr Leben, wie sie dann nach dem Krieg zu Protokoll gaben) die Mordbefehle ausgeführt haben. Letztlich nahmen sie es in Kauf, sich am Mordgeschehen zu beteiligen, um einem aus ihrer Sicht nicht einschätzbaren Risiko von vornherein aus dem Wege zu gehen. Sie befanden sich in einem militärisch organisierten Verband mit klarer Befehlshierarchie. Diskussionen zwischen Mannschaft und Offizieren über den Sinn von Befehlen entsprachen weder dem Zeitgeist noch den Gepflogenheiten innerhalb der Polizei. Insbesondere bei solchen Vorgesetzten, die für ihre Härte und ihre nationalsozialistische Gesinnung bekannt und berüchtigt waren, muss es Untergebenen schwer gefallen sein, um eine Freistellung von den Erschießungen nachzusuchen.

Auf der anderen Seite darf die Bedeutung des Befehlsdrucks für die Umsetzung der Mordaufträge nicht überschätzt werden. Häufig wurde in den Vernehmungen die Angst vor hohen Strafen nur vorgeschoben, um weiteren strafrechtlichen Konsequenzen zu entgehen. Einer älteren Untersuchung zu Folge, sollen sich höchstens 20 % der angeklagten NS-Täter in einer wirklichen Konfliktsituation befunden haben, die als subjektiver Befehlsnotstand gewertet werden kann. Wahrscheinlich war schon der Gedanke an eine Versetzung oder an ein Disziplinarverfahren ausreichend gewesen, um sich anzupassen. Der amerikanische Historiker Christopher Browning kam in der bislang fundiertesten und subtilsten Studie über ein Polizeibataillon zu dem Ergebnis, daß in erster Linie Gruppendruck und Autoritätshörigkeit, später dann Routine und Abstumpfung dazu führten, daß "ganz normale Männer" zu Mördern wurden.

Der Kommandeur der von ihm untersuchten Einheit hatte seinen Männern vor der ersten Massenerschießung ausdrücklich die Teilnahme freigestellt, sofern sie sich dieser Aufgabe nicht gewachsen fühlten. Nur wenige traten darauf hin zur Seite und ließen sich vom Mordauftrag entbinden, die übrigen beteiligten sich an dem Massaker.

Für die beiden Polizeibataillone 65 und 316 ist eine solche prinzipielle Möglichkeit noch dazu vom Batallionskommandeur, vor versammelter Mannschaft eröffnet, nicht belegbar. Jedoch war es im Einzelfall beim Polizeibataillon 316 durchaus möglich, sich ohne ernsthafte Folgen von Erschießungen freistellen zu lassen. Albert R., der sich selbst belastet hatte, einem Exekutionskommando angehört zu haben, gab zu Protokoll:

"Ich kann mich jedoch daran erinnern, dass mein Kamerad Jakob P. noch vor dem Erschießen bei Hauptmann Kraika vorstellig wurde, mit der Bitte, an den Erschießungen nicht teilnehmen zu müssen. P. wurde zwar von der Teilnahme entbunden, er hat jedoch sehr viel an Beschimpfungen als Feigling von Seiten der Unterführer anhören müssen. Von uns, d.h. seinen Kameraden, wurden ihm deshalb keine Vorwürfe gemacht".

Spott und Häme kamen bei anderer Gelegenheit aber sehr wohl aus dem Kameradenkreis. Denn einige Polizisten versuchten sich durch besonders gefühlloses Vorgehen als "ganze Männer" hervorzutun. Die Härte gegen die Opfer wurde zur Härte gegen sich selbst stilisiert. In einer sozialen Gruppe in der "hartes" Auftreten und bedingungslose Pflichterfüllung als Tugenden galten, war "den Polizisten die Sorge um das eigene Ansehen bei den Kameraden wichtiger (...) als irgendein Gefühl menschlicher Verbundenheit mit den Opfern."

Offensichtlich besaßen nur wenige das Selbstbewusstsein und die Courage, sich vom Verhalten der Mehrheit zu distanzieren. Erst im Laufe der Erschießungen von Bialystock mehrten sich die Bitten von Angehörigen der Exekutionskommandos, abgelöst zu werden. Schon aus funktionalen Gründen machte es aus Sicht der Offiziere "Sinn", soweit wie möglich bei den Schützen auf Freiwillige zurückzugreifen, wenn dadurch Fehlschüsse und Nervenzusammenbrüche vermieden werden konnten. Auch aus den Reihen des Reservepolizeibataillons 65 sind einige wenige Polizisten bekannt geworden, die sich den Mordaktionen nicht gewachsen fühlten bzw. die um eine andere Aufgabenzuweisung baten.

Welcher Stellenwert einem subjektiv empfundenen Befehlsdruck auch immer beigemessen wird, bei solchen Polizisten, deren Vorgehen sogar noch über die gegebenen Befehle hinausging, müssen andere Motive für ihre Beteiligung an den Verbrechen ausschlaggebend gewesen sein. Zahlreiche Vorkommnisse zeugen von rassistischen, insbesondere antisemitischen Einstellungen unter den Batallionsangehörigen. Übergriffe gegen und Misshandlungen von Wehrlosen waren an der Tagesordnung. Einige der Männer des Polizeibatallons 316, die in Bialystock bei der Festnahme der Juden mit Karabinern zugeschlagen hatten, mussten am nächsten Tag durch den Chef der ersten Kompanie ermahnt werden, dies in Zukunft zu unterlassen, weil dadurch schon die ersten Waffen beschädigt worden seien.

In der 2. Kompanie verbot Kompaniechef Kraika seien Untergebenen ausdrücklich, sich an Ausschreitungen gegen die Juden zu beteiligen. Vorausgegangen war ein "Spießrutenlauf", den Angehörige der 1. Kompanie zu ihrer Belustigung mit Juden auf dem Hof der Polizeiunterkunft in Bialystock veranstaltet hatten. Nicht selten artikulierte sich in solchen Situationen ein allgemeines Überlegenheitsgefühl, das durch die NS-Ideologie noch zusätzlich aufgeladen war. Jeder Wachtmeister war als Vertreter der Besatzungsmacht in den Augen der einheimischen Bevölkerung eine Respektsperson, nicht zuletzt, weil er Herr über Leben und Tod sein konnte. Wer sein Selbstbewusstsein aus dem Tragen einer Uniform und dem Geben von Kommandos bezog, der fand genügend Gelegenheiten, seine Machtphantasien auf Kosten Schwächerer auszuleben.

Wie schnell eine solche Atmosphäre alltäglicher rassistischer Gewalt in pogromartiges Morden umschlagen konnte, hat das Massaker vom 27. Juni 1941 in Bialystock gezeigt. Denn schon vor den Erschießungen am 12. und 13. Juli waren in der nordostpolnischen Stadt über 2.000 Menschen deutschen Ordnungspolizisten zum Opfer gefallen. Polizisten des Batallions 309, das zeitgleich mit dem Batallion 316 aufgestellt worden war, trieben mehrere hundert jüdische Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, in eine Synagoge und setzten das Gebäude in Brand. Die Eingeschlossenen verbrannten bei lebendigem Leibe, Flüchtende wurden niedergeschossen. Über mehrere Stunden lang wurde regelrecht Jagd auf Juden gemacht, auch sowjetische Kriegsgefangene fielen den Erschießungen zum Opfer. Voraus gegangen war aber ein allgemein gehaltener Befehl, der das Batallion 309 einer Wehrmachtseinheit zur "Säuberung der Stadt von russischen Versprengten und deutschfeindlicher Bevölkerung und zur Aufrechterhaltung der Ruhe, Sicherheit und Ordnung innerhalb der Stadt" unterstellt hatte. Nicht Befehle waren demnach der Auslöser des Blutbades gewesen, sondern Batallionsangehörige hatten sich eigenmächtig autorisiert, indem sie den Sicherungsauftrag als Lizenz zum grenzenlosen Töten auslegten.

Wer in dieser Hinsicht ideologisch nicht in ausreichendem Maße "gefestigt" war, erhielt Nachhilfe durch "weltanschauliche Schulung." Petersen, der Chef der 3. Kompanie des Polizeibataillons 316, sprach im Rahmen einer Unterrichtsstunde von "lebensunwertem Leben, daß die Juden Volksschädlinge und das deutsche Volk die Herrenrasse sei. Wir sollten eine seelische Spritze für die bevorstehenden Erschießungen erhalten. Diese Einwirkungen geschahen u.a. bei Kompanieappellen". Solche Aufrufe zur Unmenschlichkeit konnten deshalb auf fruchtbaren Boden fallen, weil antisemitische Ressortiments in der deutschen Gesellschaft der 1930er und 1940er Jahre weit verbreitet waren. Aufschlussreich für die Verhältnisse speziell bei den Recklinghauser Bataillonen wäre eine noch zu leistende Untersuchung, wie viele Polizisten der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen zu welchem Zeitpunkt an beitraten.

Was die Besetzung von Schlüsselpositionen anbetraf, wurde zumindest in formaler Hinsicht auf eine enge Bindung an die NS-Bewegung geachtet. So waren zum Beispiel während des Einsatzes in der Sowjetunion alle drei Kompanie-Führer des Polizeibataillons 316 Mitglieder der NSDAP, zwei von ihnen gehörten noch zusätzlich der SS an. Die Angaben werden bei näherem Hinsehen noch aussagekräftiger: Der Chef der 2. Kompanie, Hermann Kraika, hatte sich schon im Dezember 1932 der SA angeschlossen, der Chef der 3. Kompanie, Otto Petersen, fand als Absolvent einer SS-Junkerschule zum Polizeidienst. Für sie bot der Krieg die Möglichkeit, befreit von Rücksichten, die noch im Reichsgebiet gegolten haben mochten, weltanschauliche Theorie in die Praxis umzusetzen. Zu diesem ideologischen Moment kam noch ein zusätzlicher Beweggrund für die Teilnahme an den Verbrechen hinzu, der besonders die Unterführer und Offiziere motivieren konnte.

Sie erhielten durch die Abordnung zum "Osteinsatz" die Chance, sich als Führungspersönlichkeiten zu bewähren und für weitere Aufgaben zu profilieren. Für etwaige Skrupel bei der Umsetzung der Mordaufträge, sofern sie überhaupt bestanden haben sollten, blieb schon aus Gründen der eigenen Karriereplanung nur wenig Raum. Aus Sicht von Kraika, Nord und Petersen bedeutete der "Osteinsatz" zwischen Bialystock und Mogilew eine Zwischenstufe zu Kommandos über größere Einheiten, die ihnen ab Sommer 1942 übertragen wurden.

Die genannten Faktoren bedingten und verstärkten sich wechselseitig. Deshalb kann auch kein Erklärungsansatz formuliert werden, der auf alle Polizisten gleichermaßen zutrifft. Denn das Verhältnis zwischen ideologischen und situationsabhängigen Motiven konnte individuell unterschiedlich gewichtet sein. Bei den extremen Gewalttätern spielte Befehlsdruck keine, sadistische Neigungen, Herrenmenschendenken und antisemitische Zerrbilder eine große Rolle. Ihre Gewaltbereitschaft war schon von Beginn an vorhanden und bedurfte keines Abstumpfungsprozesses wie das Massaker von Bialystock für das Polizeibataillon 316 und die Erschießungen im Baltikum für das Reservepolizeibataillon 65 gezeigt haben.

Andere Polizisten verhielten sich in unbeobachteten Momenten den Opfer gegenüber zurückhaltend und sogar hilfsbereit und neigten nur unter sozialer Kontrolle zu befehlskonformen Handeln. Schließlich war es für die Umsetzung der Massenmorde gar nicht erforderlich, daß die Polizisten in ihrer Mehrheit "willige Vollstrecker" im Sinne von fanatischen Judenhassern waren, die geradezu darauf brannten, sich am Morden beteiligen zu können. Solange jeder Einzelne die ihm übertragene Aufgabe "pflichtgemäß" ausführte, war es unerheblich, ob er dies mit besonderem Eifer oder mit Widerwillen tat.

Seitenanfang

Nach dem Krieg kehrten die Polizisten beider Batallione in ihre Heimat zurück, wo sie überwiegend ihre früheren Berufe als Kaufleute, Handwerker und Arbeiter wieder aufnahmen. Mindestens 243 ehemalige Batallionsangehörige versahen nach 1945 weiter Dienst bei der Polizei. Davon waren allein 32 Beamte bei der Polizeibehörde Gelsenkirchen beschäftigt.

Für die Ende der 1950er Jahre einsetzenden Ermittlungen sollte es sich als besonders erschwerend erweisen, daß ein großer Teil der Beschuldigten noch oder wieder der Polzei angehörte. Die Justiz beklagte schon 1958, als die Verfahren gerade erst einsetzten, daß in NS-Verbrechen verwickelte Polizeibeamte durch die ihnen zugänglichen Fahndungsausschreibungen bestens über die laufenden Ermittlungen informiert waren. Bevor sie vernommen werden konnten, hatten sie schon untereinander Kontakt gesucht und ihre Aussagen aufeinander abgestimmt. Dabei fanden sie in den 1960er Jahren Unterstützung durch die "Kameradenhilfe der Ordnungspolizei", die Beschuldigte bei der Batallione zu ihrer Klientel zählte.

Aufschlussreich für die Ermittlungen gegen Kollegen ist auch die folgende Situation, die sich im Mai 1964 in Gelsenkirchen ereignete. Ein Kriminalmeister des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamtes reiste aus Düsseldorf an, um einen als Maurer tätigen ehemaligen Angehörigen des Reservepolizeibataillons 65 zu vernehmen. Zufällig kam er dabei mit einem Gelsenkirchener Kriminalbeamten ins Gespräch, wobei er feststellte, "dass dieser als Batl.- Spieß dem Batl. 65 angehörte und ebenfalls mit dem Batl. in Polen und Dänemark eingesetzt war. Er äußerte sich dahingehend, daß er bisher noch nicht vernommen worden sei". Dieser Gelsenkirchener Beamte wurde erst für März 1965, also ein dreiviertel Jahr später, zur Vernehmung geladen, zu der er nicht erschien. "Nach fernmündlicher Rücksprache mit ihm brachte er zum Ausdruck, daß er sich nicht durch einen Beamten des LKA/NW, Düsseldorf vernehmen lasse, sondern um richterliche Vernehmung bitte".

Die jahrelangen Ermittlungen gegen Beschuldigte beider Batallione führten zu keiner Verurteilung. Nach acht Jahren Verfahrensdauer im Falle des Polizeibataillons 316, in deren Verlauf einige der Haupttäter verstarben, wurden 1966 schließlich 10 Angeklagte vor das Bochumer Landgericht gestellt. Zwei Jahre, 143 Verhandlungstage und 200 Zeugenaussagen später wurden sie freigesprochen. Bei neun von zehn Angeklagten beruhte der Freispruch neben allgemeinen Beweisschwierigkeiten wesentlich auf der Zubilligung einer Befehlsnotstandssituation (§ 52 StGB). Sogar der zehnte Angeklagte, der sich nach eigenem, mehrfachen Geständnis freiwillig zu einem Exekutionskommando gemeldet hatte, konnte den Gerichtssaal als freier Mann verlassen. Die Ermittlungen gegen die früheren Angehörigen des Reservepolizeibataillons 65 wurden 1971 ohne Eröffnung einer Hauptverhandlung eingestellt.

Geblieben sind begründete Zweifel, ob die Handlungsspielräume zu Gunsten der Opfer nicht sehr viel größer gewesen waren, als es die Täter nach dem Krieg Glauben machen wollten.

 

Beiträge der Gedenkstätte Steinwache

Hrsg. Vom Stadtarchiv Dortmund

„Es war grauenhaft“ / Autor Stefan Klemp

Dortmund. "Ich kann nicht mehr sagen, wie oft ich als Schütze andere Kameraden ablösen mußte und wer mit mir geschossen hat. Einmal wurde ich (…) abgelöst."

Ein Dortmunder Schutzpolizist war an einer der größten Massenerschießungsaktionen im Zweiten Weltkrieg beteiligt und machte dazu eine Aussage.

Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 marschierten Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und Polizeibataillone nach Osten und ermordeten hinter der Front Hunderttausende von Menschen, vor allem Juden – Männer, Frauen und Kinder. Diese Massenerschießungen waren ein Hauptbestandteil des Holocaust. Sie wurden nicht von der SS, sondern von Polizisten verübt. Am 29. und 30. September 1941 töteten sie bei einer der größten Mordaktionen über 30.000 Juden in der Schlucht von Babi Yar bei Kiew in der Ukraine. Einer von ihnen war Franz Unseld, Jahrgang 1914, in den 1960er Jahren Wach- und Einsatzführer der Polizeidienststelle an der Steinstraße, der "Steinwache".

Franz Unseld hatte seine Laufbahn 1936 in Dortmund begonnen. Der gelernte Bierbrauer besuchte die Polizeischule. Danach machte er Revierdienst. Ab 2. November 1940 war er als Zugführer in der 2. Kompanie des Polizeibataillons 45 im Osten eingesetzt. Es gehörte zum Polizeiregiment Süd.

Auf dem Vormarsch erschossen die Männer des Polizeibataillons 45 im August und September 1941 Tausende von Juden in der Ukraine. Fast täglich hielten Funksprüche des Höheren SS- und Polizeiführers Süd den Massenmord mit schwankenden Opferzahlen fest.

Am 6. September, das Polizeibataillon 45 befindet sich in Berditschew, meldet er: "Erfolge: 144 Juden erschossen".

Die Aktion vom 29. und 30. September sticht aus der Vielzahl der Tötungseinsätze heraus:

Die Ereignismeldung UdSSR Nr. 97 vom 28. September 1941 kündigte eine „Exekution von mindestens 50.000 Juden“ an. Auf Plakaten wurden Juden in Kiew dazu aufgefordert, sich für eine „Umsiedlung“ an einem Sammelplatz in Kiew einzufinden. Warme Kleidung und Wertsachen sollten mitgebracht werden.

Als Tatort wurde eine zweieinhalb Kilometer lange Schlucht namens Babi Yar ausgewählt. Sie war zwischen fünf und 30 Meter tief.

Über 30.000 Juden kamen zum Sammelplatz. Sie wurden von Angehörigen der Polizei zu Fuß zur Schlucht getrieben, wo sie ihre Wertsachen ablegen und sich ausziehen mussten. Männer des Polizeibataillons 45 machten „Leibesvisitationen“. Dann führten sie die Menschen gruppenweise zu den Stellen der Schlucht, an denen Exekutionskommandos Aufstellung genommen hatten. 40 Männer von der 2. Kompanie des Polizeibataillons 45 bildeten ein Exekutionskommando. Sie schossen mit Maschinenpistolen.

In den 1960er Jahren wurde Franz Unseld im Dortmunder Polizeipräsidium zu seinem Einsatz als Beschuldigter vernommen:

"Die (…) herangeführten Juden (…) waren nur mit der Unterwäsche bekleidet. Männer, Frauen und Kinder kamen der Reihe nach an. (...) Die Masse stand an einem Hang und konnte auf dem Weg zur Schlucht den Exekutionsvorgang beobachten. Dann wurden auf die Juden Genickschüsse abgefeuert. Es hat jeweils nur ein Schütze abgefeuert. Beide Schützen haben sich gegenseitig abgelöst.

(…) Ich habe aber zugesehen, wie manchmal Mütter mit ihren Kindern auf dem Arm an die Reihe kamen. Meistens haben die Mütter ihre Kinder hingelegt und haben zugesehen, wie ein Angehöriger des Exekutionskommandos auf das Kind geschossen hat.

(…)

Es war grauenhaft und ein kaum zu schildernder Anblick, wie die Erschießungen vor sich gingen. (…) Es war damals sehr heiß und es herrschte ein penetranter Geruch."

Die meisten Menschen wurden am ersten Tag erschossen. Abends wurde die Aktion wegen der Dunkelheit unterbrochen. Die noch Lebenden mussten in einer großen Halle übernachten, bevor sie am zweiten Tag ermordet wurden.

Die Ereignismeldung UdSSR Nr. 101 vom 2. Oktober 1941 zieht Bilanz:

"Das Sonderkommando 4 a hat in Zusammenarbeit mit Gruppenstab und zwei Kommandos des Polizei-Regiments-Süd am 29. und 30.9.1941 in Kiew 33.771 Juden exekutiert."

Von der Erschießung selbst sind keine Bilder vorhanden. Vermutlich am 1. Oktober machte der Fotograf Johannes Hähle, Mitglied der Propagandakompanie 637 der Wehrmacht, Aufnahmen in der Schlucht, wo noch die Kleidung der Ermordeten herumlag.

Nach Beendigung der Massenerschießungen hatten Pioniere der Wehrmacht die Ränder der Schlucht gesprengt, so dass Erdmassen die Leichen begruben.

1944 und 1945 war Unseld als Leutnant mit dem Polizeiregiment 6 in Ungarn eingesetzt. Er kam in Kriegsgefangenschaft und wurde im Mai 1946 entlassen. Er wurde als „unbelastet“ entnazifiziert. Am 11. Dezember 1951 wurde er in Dortmund als Wachtmeister wieder eingestellt.

Die Staatsanwaltschaft Regensburg ermittelte in den 1960er Jahren gegen Angehörige des Polizeibataillons 45. Sie stellte das Verfahren gegen Franz Unseld 1970 ein. Engelbert Kreuzer, Chef der 2. Kompanie des Polizeibataillons 45, wurde 1971 vom Landgericht Regensburg wegen Beihilfe zum Mord zu sieben Jahren Haft verurteilt.

Als Franz Unseld 1974 in Pension ging, war er Polizeihauptkommissar.

"Aktion Reinhardt": Hamburger Polizei verübt Massaker von Józefów /Stand: 21.07.2022 16:40 Uhr

Im Rahmen der "Aktion Reinhardt" erschießt das Hamburger Reserve-Polizeibataillon 101 am 13. Juli 1942 im polnischen Józefów mindestens 1.500 Juden. Zigtausend weitere Opfer sollen folgen. Die Täter hätten eine Wahl gehabt.

von Dirk Hempel

Die "Aktion Reinhardt"

Unter dem Namen "Aktion Reinhardt" beauftragte Heinrich Himmler, Reichsführer der SS, im Juli 1942 den Lubliner SS- und Polizeiführer Odilo Globocnik mit der systematischen Ermordung aller Juden, die in den fünf Distrikten des Generalgouvernements Warschau, Lublin, Radom, Krakau und Lvov lebten. Etwa jedes vierte Opfer des NS-Völkermords kam im Rahmen der "Aktion Reinhardt" ums Leben. Auch Roma und nicht-jüdische Polen gehörten zu den Opfern.

Der Namensgebung der "Aktion", auch bekannt in der Schreibweise "Reinhard", steht im Zusammenhang mit dem tödlichen Attentat auf den SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrichs 1942 in Prag. Heydrich war einer der Hauptorganisatoren des Holocaust. Im Rahmen der NS-Ideologie kann der Name des Vernichtungsbefehls als "Ehrenbezeichnung" mit Vergeltungsanspruch gelesen werden.

 

Rund 500 Hamburger Polizisten sind am frühen Morgen des 13. Juli 1942 im polnischen Józefów bei Lublin angetreten. Dort verkündet ihnen Major Wilhelm Trapp den Einsatzbefehl: Sie sollen die 1.800 Juden des Ortes zusammentreiben, die arbeitsfähigen Männer abtransportieren - die älteren, aber sowie Frauen und Kinder sollen sie erschießen.

Major Wilhelm Trapp gibt den Mordbefehl unter Tränen

Der 53-jährige Kommandeur des Reserve-Polizeibataillons 101 kämpft anscheinend mit den Tränen. So sagen es einige seiner Männer in den späteren Ermittlungen der Hamburger Staatsanwaltschaft aus. Trapp nennt die Aufgabe "furchtbar unangenehm" und "höchst bedauerlich". Aber der Befehl komme von "ganz oben". Seine Männer sollten einfach an die Bombenangriffe der Alliierten auf deutsche Frauen und Kinder denken.

Teilnahme an der Erschießung ist freiwillig

Die meisten Reservisten sind entsetzt. Zwar waren manche bereits an Deportationen der jüdischen Bevölkerung in Hamburg beteiligt. Aber als sie vor drei Wochen am Bahnhof Sternschanze in den Zug nach Polen gestiegen sind, haben sie nur mit Wachdiensten gerechnet. Doch Trapp macht den Männern ein überraschendes Angebot: Wer von den Älteren sich der Aufgabe nicht gewachsen fühle, dürfe beiseitetreten.

Die Ausführenden sind zum Gehorsam erzogen

Es bleibt still in Józefów. Die Männer zögern. Viele sind Familienväter. Noch vor Kurzem haben sie in zivilen Berufen gearbeitet, als Hafenarbeiter, Seeleute, Lastwagenfahrer, als Kellner, Friseure oder Gärtner. Doch sie sind auch im Untertanen-Geist des Kaiserreichs erzogen worden, haben gelernt, Befehlen zu gehorchen. Viele sind sicher auch von der NS-Propaganda beeinflusst, die bereits seit Jahren die Juden als "minderwertige Schädlinge" brandmarkt - von der Ausgrenzung und Diskriminierung bis hin zur Entrechtung.

Nur wenige weigern sich, zu töten

Deshalb meldet sich auf Trapps Angebot zunächst auch nur ein Mann, dann zehn oder zwölf weitere, die genaue Zahl ist nicht bekannt. Sie dürfen die Waffen ablegen. Die anderen Polizisten umstellen den kleinen Ort mit seinen weißen, strohgedeckten Häusern. Sie durchsuchen das jüdische Viertel und treiben die Bevölkerung zum Marktplatz. Etwa 300 Männer werden ins Arbeitslager gebracht, die übrigen 1.500 Menschen nach und nach auf Lastwagen in einen nahegelegenen Wald gefahren und erschossen.

Morden unter Effiezienzgesichtspunkten

Immer wieder diskutieren die Offiziere um Major Trapp, wie sie das Töten, das ihnen zu langsam vorangeht, effizienter organisieren können. Bis zum Abend arbeiten die Erschießungskommandos. Nur wenige Polizisten entziehen sich dem Morden, verzögern die Hausdurchsuchungen absichtlich, verstecken sich vor ihren Offizieren oder bitten, zum Wachdienst am Marktplatz eingeteilt zu werden.

Die anderen arbeiten willig, auch dann noch, als längst klar ist, dass den Verweigerern tatsächlich nichts passiert. Am Abend werden die Toten einfach im Wald zurückgelassen, ihre Habseligkeiten auf dem Marktplatz verbrannt. Dann fahren die Polizisten in ihre Unterkünfte zurück.

Das Hamburger Polizeibataillon 101 und der Holocaust

Die Erschießung der 1.500 Menschen in Józefów Mitte Juli 1942 ist Teil der "Aktion Reinhardt", der systematischen Ermordung von Juden und Roma im Generalgouvernement - dem besetzten Teil Polens, den das Deutsche Reich nicht annektiert hat. Bis Ende 1942 töten SS- und Polizeitruppen mehr als 1,3 Millionen Juden, vor allem in den Vernichtungslagern Belzec, Sobibor und Treblinka, aber auch bei Deportationen und Aktionen wie in Józefów.

Für das Reserve-Polizeibataillon 101 ist das Massaker vom 13. Juli 1942 nur der Anfang. In der Folgezeit sind die Hamburger Polizisten an zahlreichen weiteren Morden beteiligt, auch über die "Aktion Reinhardt" hinaus. Bis Oktober 1943 erschießen sie mindestens 38.000 Menschen und deportieren mehr als 45.000 in die Vernichtungslager. Nach dem Krieg kehren viele der Täter nach Hamburg zurück und arbeiten wieder in ihren zivilen Berufen. Einige werden sogar in den Polizeidienst übernommen.

Die juristische Verfolgung beginnt spät

Erst Anfang der 1960er-Jahre werden die Verbrechen bekannt. Nach Hinweisen der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg, die auch heute noch tätig ist, setzt die Hamburger Polizei eine Sonderkommission ein. Deren Beamte befragen bis 1967 mehr als 200 ehemalige Bataillonsangehörige.

Um überhaupt Aussicht auf Bewältigung eines so umfangreichen Verfahrens zu haben, grenzen sie die Suche nach Tätern auf die Offiziere ein. Einfache Polizisten behandeln sie zumeist als Zeugen, die Befehle ausführen mussten, um das eigene Leben nicht zu gefährden. Von Major Trapps Angebot am Morgen des 13. Juli 1942, das diese Zwangslage aufgehoben hatte, wissen sie da noch nichts. Es wird erst während der Untersuchungen bekannt.

Die Beamten ermitteln jahrelang

Die Beamten, die von manchen Kollegen als "Verräter" und "Nestbeschmutzer" geschmäht werden, tragen in großem Umfang Informationen über die Verbrechen der Hamburger Polizeitruppe zusammen. Sie recherchieren im Laufe der Jahre die Namen aller Bataillonsangehörigen und die Taten, an denen sie in Polen beteiligt waren. Im Oktober 1967 werden schließlich 14 Polizisten, vor allem ehemalige Kompanie- und Zugführer, wegen Beihilfe zum Mord angeklagt und im Jahr darauf fünf von ihnen verurteilt.

Erfolg trotz niedriger Strafen

Die Haftstrafen fallen mit höchstens acht Jahren wesentlich niedriger aus als von der Staatsanwaltschaft gefordert. Sie werden später sogar noch einmal reduziert. Auch müssen nicht alle Verurteilten ihre Strafe antreten. Das Gericht hat wie damals üblich ihre angebliche Machtlosigkeit in der "Maschinerie der Endlösung" angenommen. Zudem hat Trapps Angebot in Józefów keine strafverschärfende Rolle gespielt. Denn es konnte nicht bewiesen werden, dass alle Angeklagten davon gewusst hatten.

Dennoch gilt das Verfahren als einer der seltenen Erfolge in der juristischen Aufarbeitung der Taten von NS-Polizeibataillonen - auch wegen der zahlreichen Fakten, die die Ermittler zusammengetragen haben. Heute dokumentiert die Hamburger Polizei die Verbrechen in ihrem historischen Museum. 2016 hat sie im südostpolnischen Józefów zudem die Errichtung eines Gedenksteins initiiert.

Innensenator und Staatsrätin zum Gedenken in Józefów

Dort wurde am Mittwoch der Opfer des Massakers durch das Hamburger Reserve-Polizeibataillon 101 gedacht - erstmals auch in Anwesenheit eines Hamburger Innensenators. Seit zwei Jahrzehnten fahren junge Hamburger Polizisten und Polizistinnen nach Józefów, um der dortigen Holocaust-Opfer zu gedenken. Innensenator Andy Grote (SPD) und die für auswärtige Angelegenheiten zuständige Staatsrätin Almut Möller legten gemeinsam mit Angehörigen von Opfern und Vertretern der Stadt einen Kranz im Wald nieder - dort, wo vor 80 Jahren die rund 1.500 jüdischen Kinder, Frauen und Männer erschossen worden waren.

Zu der Gedenkfeier vor der ehemaligen Synagoge der Kleinstadt kamen auch Angehörige von Opfern aus Israel und New York. "Diese Reise ist eine harte und schmerzhafte Konfrontation mit dem Ausmaß an Unmenschlichkeit, zu dem Menschen fähig sind", sagte Grote. "Dass junge Polizistinnen und Polizisten seit mehr als 20 Jahren hierher kommen, macht sie stärker und immuner gegen jede Form von Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit."

Stand: 19.01.2012 09:44 Uhr

Hamburger Polizisten als Täter beim Nazi-Terror

von Florian Wöhrle, NDR.de

Nur wenige Hundert Meter vom Rathaus entfernt wurde gefoltert, misshandelt und getötet: Das Hamburger Stadthaus zwischen Neuem Wall und Stadthausbrücke war in den Zeiten der Nazi-Herrschaft Hauptquartier der Hamburger Polizei und zugleich eine Zentrale des Schreckens. Neue Forschungen zeigen, dass die von dort gesteuerten NS-Verbrechen nicht nur von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) begangen wurden, sondern auch andere Abteilungen der Hamburger Polizei erheblichen Anteil an den Gräueltaten hatten.

"Die Rolle der Hamburger Kriminalpolizei und die Beteiligung der uniformierten Polizei an der Gewaltherrschaft war bisher weitgehend unbekannt", sagt der Historiker Herbert Diercks von der KZ-Gedenkstätte Hamburg-Neuengamme. Der 58-Jährige hat aktuelle Forschungsergebnisse über die NS-Verstrickung der Polizisten zusammengetragen.

Demnach war die Kriminalpolizei auf verschiedenen Ebenen an den nationalsozialistischen Verbrechen beteiligt. Zu ihren Aufgaben gehörte ab 1933 die Überwachung und Verfolgung von "Berufsverbrechern", "Asozialen" und Homosexuellen sowie deren Einweisung in Konzentrationslager. Auch Sinti und Roma wurden verfolgt und schließlich in Vernichtungslager deportiert. Mit der Befugnis der "vorbeugenden Verbrechensbekämpfung" ausgestattet konnten Polizisten die sogenannten Vorbeugehäftlinge ins KZ einweisen, ohne dass es ein Strafverfahren gab.

Razzien gegen Bettler, Juden und Sinti und Roma

So tat sich die Hamburger Kripo bei einer 1938 deutschlandweit angeordneten Razzia gegen "Gemeingefährliche und Asoziale" hervor: Die Beamten in der Hansestadt verhafteten bei der Aktion mindestens 700 Menschen und verschleppten sie in das KZ Sachsenhausen bei Berlin - darunter 60 bis 80 Männer aus dem Nachtasyl "Pik As", viele Juden mit einer Vorstrafe sowie Sinti und Roma. Bereits im Herbst 1933 hatte die kurz zuvor gleichgeschaltete Hamburger Kriminalpolizei 1.400 Bettler in "Schutzhaft" genommen und 108 von ihnen dauerhaft in das Arbeitslager Farmsen eingewiesen.

Während des Zweiten Weltkriegs half auch die Hamburger Kriminalpolizei dabei, geflohene KZ-Gefangene und Zwangsarbeiter wieder aufzugreifen. Kriminalbeamte wurden außerdem zu Auslandseinsätzen rekrutiert und waren teilweise an Massenmorden an der Zivilbevölkerung in der Sowjetunion und Polen beteiligt.

Die Historiker stießen auch auf erschütternde, bisher unbekannte Einzelschicksale, wie das des Altonaer Betriebsschlossers Erich de Giske, der wegen seiner Arbeit in einem Rüstungsbetrieb vom Kriegsdienst befreit war. Weil er wegen eines Liebesverhältnisses von einem Frankreich-Urlaub nicht rechtzeitig heimkehrte, wurde er von der Polizei im Juli 1944 verhaftet und kurze Zeit später im KZ Neuengamme hingerichtet.

Neben Gestapo und Kriminalpolizei waren in der Hansestadt aber auch die uniformierten Beamten maßgeblich an den Gräueltaten der Nationalsozialisten beteiligt. So wurden aus den Reihen der Ordnungspolizei besonders skrupellose Mitarbeiter für das berüchtigte "Kommando zur besonderen Verwendung" (K.z.b.V.) rekrutiert. Das Kommando führte Razzien ganzer Straßenzüge durch und war wegen seiner schweren Misshandlungen gefürchtet, mit denen es "Geständnisse" erpresste.

Darüber hinaus beteiligten sich Hamburger Ordnungspolizisten nach der Errichtung des KZ Wittmoor an dem Betrieb der menschenverachtenden Konzentrationslager. Sie begleiteten Häftlingstransporte, fahndeten nach entflohenen Gefangenen und bewachten KZ-Häftlinge, die in der Hamburger Innenstadt zur Trümmerbeseitigung eingesetzt wurden. Uniformierte Polizisten führten zum Teil auch die Transporte von Juden und Sinti und Roma in Vernichtungslager durch. Ab Ende 1944 stellten sie außerdem die Wachmannschaften des KZ Neuengamme.

Zehntausende Erschießungen im Ausland

Die Hamburger Ordnungspolizei war auch mit einigen Bataillonen im Kriegseinsatz. So sollen die rund 500 Beamten des Bataillons 101 für 38.000 Erschießungen sowie für die Deportation von 45.200 Männern und Frauen verantwortlich sein.

Die Zusammenarbeit zwischen Kripo und Ordnungspolizei mit der Gestapo seien in Hamburg eng verflochten gewesen, sagt der Historiker Diercks. "Durch das Zusammenwirken der Stellen entstand für die Bürger der Eindruck, die Gestapo sei allgegenwärtig, obwohl sie in Hamburg nur ein paar Hundert Leute umfasste."

Zusammen liefen die Fäden des polizeilichen Nazi-Terrors im Stadthaus, das bei einem Luftangriff der Alliierten 1943 schwer beschädigt wurde und für die Beamten kaum noch zu nutzen war.

Ein Bericht von den Recherchen zur Geschichte des Essener Reserve-Polizeibataillons 67/Yadvashem.org:

Euer Euch liebender Papi.“ / Von Hermann Spix

Seit seinem Aufenthalt im sogenannten Generalgouvernement im Juli 1941 verfolgte Heinrich Himmler die Absicht, im Zuge des Generalplans Ost den Distrikt Lublin, insbesondere den Raum Zamosc zu einem großen Siedlungsgebiet für Deutsche zu entwickeln. Um dieses Germanisierungsprojekt zu verwirklichen, wurde die jüdische Bevölkerung von Juli 1942 bis Ende 1943 deportiert und ermordet. Zwischen November 1942 und März 1943 erfolgte die Vertreibung von mehr als 60.000 polnischen Bauern aus 116 Dörfern, um auch dort Platz für deutsche Siedler zu schaffen. Der Polizei war dabei die Rolle zugedacht, die Planungen in die Tat umzusetzen.

In einem seiner zahlreichen Feldpostbriefe schildert der Wachtmeister der Reserve Kurt Dreyer, der als Mitglied des Reserve-Polizeibataillons 67 aus Essen im Distrikt Lublin eingesetzt war, die Räumung eines Dorfes am 8. August 1942:

„...Dann wurden alle Dorfbewohner zusammengetrommelt und ihnen 2 Stunden Zeit zum Packen einiger Kleinigkeiten gegeben, sämtliche Personen zwischen 12 und 60 Jahren sollten ins Lubliner Gefängnis und sämtliche gebrechlichen alten Leute, sowie die 1050 Kinder sollten in Nachbardörfer verschickt werden...“

Die Reaktion der polnischen Landwirte auf die brutale Vertreibungspolitik blieb nicht aus. Viele entzogen sich der Willkür durch Flucht in die Wälder und schlossen sich den Partisanen an, die ihrerseits von Deutschen bewohnte Dörfer überfielen und Anschläge auf Bahnlinien, Telegrafenämter oder Rathäuser verübten. Die heftigen Reaktionen der einheimischen Bevölkerung schienen die Besatzer überrascht zu haben. Sie bekämpften die Widerständler als Banditen und jeder, der auch nur im leisesten Verdacht der Komplizenschaft stand, wurde durch die Polizei heftig verfolgt, festgenommen und erschossen. Dies berichtet auch Dreyer im November 1942 an seine Frau:

„...wurde die Scheune umstellt und beim Schein von Leuchtraketen wurde versucht, die Scheune aufzubrechen. Aber es ging nicht, weil sie von innen verriegelt war. Kurz entschlossen wurde sie in Brand gesteckt, bald darauf wurde ein paar Mal innen an der Scheunentüre gerüttelt und ich schoß ein Magazin aus dem Maschinengewehr drauf. Der Brand erleuchtete taghell die Nacht, und bis zum Zusammensturz der Scheune erfolgte kein Laut daraus. Dann wurde das Wohnhaus vorgenommen, der Bauer flüchtete nach Aufforderung mit seiner Familie aus dem Hause, dann wurde dasselbe wieder von innen verriegelt. Ein paar Handgranaten wurden in die Stubenfenster geworfen und dann das Haus in Brand gesteckt. Darauf fielen einige Schüsse aus dem Hause. Einen Versuch aus dem Hause herauszukommen machte niemand. Die ganze Familie des Bauern war taubstumm und man konnte deshalb aus ihnen nichts herausbekommen, sie wurden noch in derselben Nacht als Helfershelfer erschossen...“

Auf den Spuren des Essener Polizeibataillons 67

Als Klaus Dönecke und ich vor etwa zwei Jahren aufbrachen, um die Geschichte des Reserve-Polizeibataillons 67 aus Essen zu erforschen, war uns noch nicht klar, worauf wir uns eingelassen hatten. Wir haben bei unseren bisherigen Untersuchungen die ideologischen Vorgaben, Zuständigkeiten, Befehlsstrukturen, Einsatzbefehle, Lageberichte und Ereignismeldungen und die Qualität der Beziehungen zum Reichssicherheitshauptamt ermitteln können. Damit wurde zugleich die administrative Ebene der Polizei im sog. Generalgouvernement rekonstruiert. Auch die brutale Umsetzung der Entscheidungen vom grünen Tisch begegnete uns in vielen Dokumenten.

Inzwischen sind wir quasi zu Forschungsreisenden geworden, die die Spuren des Essener Polizeibataillons 67 in verschiedenen Ländern verfolgen. Auf unserem Weg in Archive in Deutschland, Holland, Österreich, Polen und Israel konnten wir sowohl private als auch offizielle Quellen recherchieren.

Obwohl wir inzwischen tausende von Seiten gelesen und wenn nötig auch kopiert oder in anderer Form in unsere Quellensammlung haben aufnehmen können, machen wir noch immer die Erfahrung, dass sich mit jedem Faden den wir ziehen, neue Zusammenhänge auftun.

So gelang es uns beispielsweise im Berliner Bundesarchiv personenbezogene Daten zum Stammpersonal des Bataillons zu ermitteln und dabei auch biographisches Material zu Kurt Dreyer, dem Autor von 250 Feldpostbriefen zu finden, die einen zentralen Quellenfundus unserer Forschung darstellen.

Noch in den letzten Tagen erreichten uns hunderte Seiten von Aktenkopien aus Moskau und Majdanek, die es uns ermöglichen, unser Thema umfassender darzustellen und damit aussagekräftiger zu machen.

Zugegeben: Masse heißt nicht Klasse. Aber in unserem Fall steht die Materialfülle in ursächlichem Zusammenhang mit der Entwicklung des Projektes. Uns war im Zuge unserer Recherche immer mehr aufgefallen, dass wir einer weit umfassenderen Geschichte als ausschließlich der des Bataillons auf der Spur waren. Die Polizisten begegneten uns in den Quellen nicht mehr als „Freunde und Helfer“, als welche sie lange gesehen wurden, sondern Vollstrecker der inhumanen, verbrecherischen Nazi-Ideologie. Somit waren die Essener Reservisten in größere Zusammenhänge eingebunden als wir es uns zu Beginn der Recherchen vorstellen konnten.

Vollstrecker der NS-Ideologie

So wissen wir heute, dass die Essener Einheit 1940 und 1941 in Holland eingesetzt war bevor sie im Frühjahr 1942 nach Osten in Marsch gesetzt wurde. Schon während ihres vierwöchigen Aufenthaltes in Wloclawec (dem damaligen Leslau im Warthegau) waren sie offenbar an Aktionen gegen Juden und Polen beteiligt.

„...ich war von Freitagabend bis Sonnabend wieder fort und habe sehr schweren Dienst gehabt. War ganz in der Nähe von Kutno (...) und das, was ich dort gemacht habe, werde ich Euch bei Gelegenheit berichten. Jedenfalls waren es keine angenehmen Sachen...“

Auch die Erschießung von Geiseln zählte zum Repertoire der Essener Einheit im sogenannten Banditenkampf. Am 1. August schrieb Dreyer aus Hrubieszow an seine Familie:

„...Inzwischen waren die übrigen Kameraden heute Morgen mit dem Lastwagen fortgefahren um 20 Geiseln zu holen. Haben dabei 8 Mann erschossen (weil sie nicht mehr auf den Wagen passten)...“

Ende Juni 1942 erreichte das Essener Bataillon dann sein künftiges Einsatzgebiet südlich von Lublin, die 2. Kompanie bezog ihre Stützpunkte in den Kreisen Krasnystraw und Hrubieszow.
Seit Frühjahr 1942 wurden im Vernichtungslager Belzec in Südost-Polen von SS-Schergen tagtäglich hunderte Menschen ermordet. Trotzdem erließ Himmler im Sommer des Jahres den Befehl bis zum 31. Dezember des Jahres alle Juden, die im Generalgouvernement lebten, systematisch zu ermorden. In diese als „Aktion-Reinhard“ bekannt gewordene Orgie des Tötens war auch das Essener Bataillon auf vielfältige Weise verstrickt.

Raciborowice, am 5. Juli 1942

„...Dann kommt wieder eine tiefe Senke mit undurchdringlichem Unterholz bewachsen, die SMG kämmen das Stück wieder ab, dann höre ich direkt vor mir, Geschreie und Weinen von Frauen und Kindern und dann wieder unheimliche Stille. Nur leises Stöhnen. Langsam gehe ich vor und sehe, dann plötzlich kurz vor mir, eine furchtbar primitive Laubhütte mit 6 Personen drin, 3 Kinder 2 Frauen und einem alten Mann. Auf meine Meldung bekomme ich den Auftrag die Hütte zu räumen, aber sie heben mir nur die Röcke hoch und zeigen, dass sie alle Bauch- und Beinschüsse bekommen haben. Es ist eine Judenfamilie, die deutsch spricht. (...) Kurzer Hand werden alle durch Genickschuss erledigt...“

Perspektiven der Täter

Bei aller Brutalität und Unmenschlichkeit, die in der Feldpost mit wachsender Distanziertheit und Routine beschrieben wird, fragt man unwillkürlich nach dem Hintergrund des Verfassers solcher Zeilen. Wir möchten mehr über seine Herkunft erfahren, das soziale Umfeld seiner Kindheit, seine schulische Laufbahn, über die Einflüsse, die bei ihm wirksam wurden, und so fragt man schließlich nach den Gründen, die ihn bereits als 24-jährigen 1927 zur NSDAP geführt haben: Mitgliedsnummer 57206. Wie hatte Kurt Dreyer zu dem werden können, der er später war?

Seine Post in die Heimat schloss Kurt Dreyer meist mit dem Satz: Viele Grüße, Euer Euch liebender Papi.

Neben der bisher skizzierten Täterperspektive haben sich dabei auch weitere Aspekte ergeben. Neben den Dokumenten der Täter sind wir in vielen Fällen auch auf Erlebnisse und Erfahrungen der Opfer von ein und demselben Ereignis gestoßen.

Jene Verfahren, die in den 1960er Jahren wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingeleitet wurden, endeten mit Freisprüchen. Hätte die Justiz das Material zur Verfügung gehabt, das uns heute zugänglich ist und hätte die Bundesrepublik größeres Interesse an der Verfolgung von NS-Tätern gehabt, wären viele Täter wahrscheinlich nicht ungeschoren davon gekommen.

Hermann Spix ist Lehrer und Autor, sowie Mitglied des Vereins Geschichte am Jürgensplatz.

 

 

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