Montag, 16. Juni 2025

Kleines ganz groß

 Sie sind echte Macher, die Männer und Frauen um Martin Menke, die mit ihrem Trägerverein, neues Leben in die Alte Dreherei des ehemaligen Eisenbahnausbesserungswerkes Speldorf gebracht haben, zuletzt mit einer Europäischen Straßenbahnmodellausstellung, die sich 2000 Besucherinnen und Besucher aus gutem Grund nicht entgehen ließen.

Eingeladen von der Verkehrshistorischen Arbeitsgemeinschaft VHAG, die auch in Essen und Mülheim, also bei der Ruhrbahn einen Ableger hat, präsentierten 45 Austeller aus fast ganz Europa ihr Miniatur-Straßenbahnwelt mit viel Liebe zum Detail. Da fehlte im Nachbau einer japanischen Straßenbahnlandschaft dann auch nicht die japanische Haltestellenansage: "Bitte, zurücktreten. Die Türen schließen. Die Bahn fährt ab."

"Großartig, was die hier auf die Gleise gezaubert haben", fanden nicht nur Duisburger Eisenbahnmodellbauer, die die etwas anderen Miniaturmodellbahnen nur zu gern unter die Lupe nahmen.

Wie man von den Trammodellbauern erfahren konnte, zaubern sie ihre Straßenbahn- und Landschaftsmodelle nicht nur mit Fingerspitzengefühl und Kleinstwerkzeugen, sondern auch mithilfe des Drei-D-Druckers auf ihre zwischen 1,5 und 9,5 Meter langen Panoramastrecken.

Der Wiener Modellstraßenbahnbauer Robert Neumann ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, bei der Messe mit den großartigen Kleinformaten einige seiner treuesten Kunden, die nicht nur aus Europa kommen, persönlich zu treffen und sich  dabei auch die eine oder andere Planskizze von Straßenbahnmodellen anzuschauen, die er noch nicht in seinem Sortiment hat, aber mithilfe der Vorarbeit der Straßenbahnmodellbauenthusiasten vielleicht bald haben wird. 

Auch die historischen Straßenbahnwagen kamen bei den Modellbauern nicht zu kurz. So war die 1900 von Kaiser Wilhelm II. eröffnete Wuppertaler Schwebebahn ebenso klein, aber fein zu entdecken, wie die erste Niederflurstraßenbahn aus dem Baujahr 1934. Und der neue Straßenbahnanschluss der Alten Dreherei machte es auch möglich Messegäste  in einer Tram aus dem Baujahr 1949 von Speldorf nach Dümpten und wieder zurück zu chauffieren. 

Wer so durch die Stadt fährt, auf der Holzbank und mit Haltestellenklingel, aber leider ohne die Schaffnerin oder den Schaffner, der Anno Dazumal das Schwarzfahren schlicht unmöglich machte, fühlt sich wie auf einer Zeitreise. "Die Holzaufbauten der alten Straßenbahnen haben einfach mehr Stil als unsere heutigen Straßenbahnen", meint ein Fahrgast nach dem Ausstieg an der Endstation Alte Dreherei. Recht hat er.

Das gilt auch für einen Straßenbahnwagen aus dem Baujahr 1921, der in seinem neuen alten Glanz vor der Alten Dreherei ausgestellt, aber leider nicht in Bewegung gesetzt werden konnte. Als dieses alte Schätzchen noch auf der Strecke unterwegs war, kannten und schätzten die alten Mülheimer ihre Tram als preiswertes und umweltfreundliches Transportmittel, das mit seiner E-Mobilität, schon lange, bevor das benzingetriebene Auto des Deutschen liebstes Kind wurde, seiner Zeit schon weit voraus war. Also doch?! Vorwärts und zurück in die Zukunft.

Mehr über die Alte Dreherei finden Sie hier und über die Verkehrshistorische Arbeitsgemeinschaft hier.

Freitag, 6. Juni 2025

Mut zur Lücke

 Als die Schlossstraße 1974 eine Fußgängerzone wurde, war das Wort Leerstand im Einzelhandel ein Fremdwort. Ein Geschäftslokal auf der zentralen Einkaufsstraße der Stadt zu unterhalten, gehörte für Einzelhändler und Dienstleister zum guten Ton. Doch damals kannte man auch noch keinen Online-Handel. 

Inzwischen sind selbst stationäre Einzelhändler auf den Internethandel angewiesen, um den Bewusstsein ihres Umsatzes online zu erwirtschaften. Was für die einen zum Fluch wurde, war für den Galeristen Gerold Harmé ein Segen. Schon in den frühen 2000er Jahren beschäftigte sich, der 1966 in Düsseldorf geborene Kunsthistoriker, Archäologe und Musiker, dem ein Asthma-Leiden, seinen eigentlichen Berufswunsch Sänger verwehrte, mit den Möglichkeiten des Internets im Rahmen des Kunsthandels. Damit gehörte er zu den Pionieren in seinem heutigen Metier. Der Liebe wegen, seine Frau ist Musikpädagogin, kam der Rheinländer vor 20 Jahren an die Ruhr und eröffnete zunächst an der Wall- und dann an der Schlossstraße 29 seine Galerie. Klein, aber fein, gehen hier Ausstellungen und andere  Kulturveranstaltungen, wie Konzerte und Lesungen, über die Bühne. "Wir brauchen nicht nur Geld, sondern auch Kreativität", sagt der Galerist mit Blick auf eine mögliche Renaissance der Schlossstraße. 

Harmé sieht seine Galerie als Kulturnische und macht keinen Hehl daraus, "dass die Art und Weise wie ich mit Kunst arbeite und handle, genau für diesen Ort und nicht für das und nicht für das mondänere Düsseldorf geeignet ist." Seine Kunden, die ihn zuweilen auch in der Galerie an der Schlossstraße besuchen, kennen die Situation der Innenstädter die kein originär Mülheimer Problem ist. "Sie sind froh wenn sie hier in der Nähe eine Kleinigkeit essen oder trinken können und es dann nicht weit bis zum Hauptbahnhof haben", weiß Harmé. 

Seine zunehmend multikulturelle Nachbarschaft, sieht der Galerist nicht als Standort-Nachteil, sehr wohl aber "das Säuferparadies an der unteren Schlossstraße." Erleichtert wäre er, wenn sich die sozialer Brennpunkt mithilfe der Polizei, des Ordnungsamt und der lokalen Sozialarbeit in Wohlgefallen auflösen könnte

Mehr über die Galerie Harmé erfahren Sie hier.


Dienstag, 3. Juni 2025

Ihrer Zeit weit voraus

Das die vermeintlich guten alten Zeiten gar nicht so gut waren, kann man in den Erinnerungen der ersten deutschen Polizeiassistentin Henriette Arendt anno 1910 anschaulich nachlesen. 

Dort berichtet sie über verwahrloste Kinder, die von ihrem abwesenden und überforderten Eltern allein gelassen und so dem sicheren Tod preisgegeben werden. Sie berichtet von Dienstmädchen, die von ihrer Herrschaft geschwängert, auf die Straße gesetzt worden sind und in ihrer ausweglosen Not auch schon mal ihr neugeborenes Kind in einen Brunnen werfen, um es ertrinken zu lassen oder im besseren Fall es bei der Polizei abzugeben und sich aus dem Staub zu machen. 

Arendt, die 1903 als Krankenpflegern zur Stuttgarter Polizei kommt, berichtet auch von einem kleinen betrunkenen Mädchen, das ganz begeistert von seinem regelmäßig betrunkenen Vater erzählt. Er nehme es mit in die Kneipe und gebe ihn dort reichlich zu trinken gibt, um es anschließend unter dem Tisch schlafen zu lassen. 

Henriette Arendt, eine selbstbewusste und selbstbestimmte Frau, die 1874 in eine ostpreußische Kaufmannsfamilie hineingeboren wird, entscheidet sich gegen eine Tätigkeit als Buchhalterin und für den sozialen Beruf der Krankenpflegerin. 

Vermittelt von der Vorsitzenden ihres Berufsverbandes, kommt sie 1903 zur Stuttgarter Polizei. Dort wird sie eingestellt, um ihren männlichen Kollegen bei Vernehmungen und ärztlichen Untersuchungen junger und weiblicher Strafgefangener zu assistieren. Schnell erkennt sie die sozialen Ursachen, die Frauen dazu treiben, sich zu prostituieren, zu trinken, ihre Kinder verwahrlosen zu lassen oder sie zu töten.

Arendt setzt sich nach Kräften für ihre vom Leben gebeutelten Schützlinge ein. Doch in einer Gesellschaft, die Frauen nur ein Leben unter den Vorzeichen der 3 Ks: Kinder, Küche gestattet wird, und in der sie selbst als eine von bald 65 deutschen Polizeiassistentinnen schlechte Karten. Denn ihren männlichen Kollegen darf sie nur zuarbeiten und ihren Anweisungen muss sie folgen. Immer wieder berichtet sie von "bürokratischer Engherzigkeit", von der sie ihrer Fürsorge für gefallene Frauen und Mädchen ausgebremst wird.

Ihr größter Fehler ist in den Augen ihrer männlichen Vorgesetzten, dass sie ihre An- und Einsichten zur realexistierenden Doppelmoral einer bürgerlichen Klassengesellschaft in Vorträgen, Zeitungsartikeln und Büchern öffentlich macht und damit die vermeintlich gute Gesellschaft schlechtmacht. Ihre Vorgesetzten sprechen von "Sensationsjournalismus" und weisen darauf hin, dass auch Arendts männliche Kollegen diesen betreiben könnten, es aber nicht täten, "weil sie dienstlich zu gut erzogen sind."

Trotz ihrer demütigenden Erfahrungen lässt sie sich in ihrem Tatendrang nicht entmutigen weil sie davon überzeugt ist, dass sich meine Arbeit schon gelohnt hat, "wenn ich auch nur einen Menschen gerettet und auf den rechten Pfad zurückgebracht habe".  Außerdem glaubt sie daran, dass in jedem Menschen, auch in dem Verkommensten, ein göttlicher Funke ist. 

Gar nicht gut an kommt auch ihre Kritik an den gutbürgerlichen Gesellschaft. Während die Herren der Schöpfung ihre Dienstmädchen schwängerten und sie mit ihren ungewollten Kindern dem Elend überließen, blieben sie selbst unbehelligte und gut angesehene Mitglieder der Gesellschaft, lautet ihr Vorwurf.

In ihren Vorträgen und Publikationen fordert sie eine zeitgemäße Fortsetzung der bismarckschen Sozialpolitik. "Es darf nicht sein, dass wir in unserem Staat nur Gesetze haben, mit denen wir sterben können", sagt sie mit Blick auf die von Bismarck nach 1880 eingeführten Kranken- Renten- und Invalidenrentenversicherung. In ihren Augen "brauchen wir auch Gesetze, mit denen wir leben und etwas aus uns machen können."
 
Auch wenn der deutsche Sozialstaat heute bei weitem mehr ausgebaut ist als zu Arendts Zeiten, bleibt das Lebensbeispiel die ersten deutschen Polizisten, die 1922 unverheiratete und kinderlos stirbt auch für die heutige Generation eine Mahnung, dass Sozialstaat und Solidarität in einer Gesellschaft mit Leben gefüllt werden müssen, indem jeder und jede ihren Platz in unserer Gemeinschaft finden und seine Talente entfalten kann und nicht einfach abgehängt und links liegen gelassen wird.

Denn auch heute sind Verwahrlosung und Kindstötungen leider kein Thema von Gestern. Auch die Tatsache, dass 60 Jahre nach Arendts Tod die ersten gleichberechtigten Polizeibeamtinnen in NRW eingestellt wurden und mit der Juristin Dr. Gisela Röttger-Husemann 90 Jahre nach der Einstellung der ersten deutschen Polizeiassistentin Mülheim ihr Amt als erste Polizeipräsidentin angetreten hat, haben daran nichts ändern können.

muss.

Montag, 26. Mai 2025

Der Sämann

 Als der 2014 heiliggesprochene Konzilspapst Johannes XXIII. 1963 starb, war Michael Janßen drei Jahre alt. Und doch hat das Charisma des Angelo Giuseppe Roncalli, der als Papst das II. Vatikanum eröffnete und damit die Türen und Fenster der Katholischen Kirche öffnete, um frische Luft und reformbereite Aufbruchstimmung hineinzulassen so beeindruckt, dass es ihn zu seiner Berufswahl inspirierte. Als Janßen 20 Jahre nach dem Ende des II. Vatikanischen Konzils (1985) zum Priester geweiht wurde, gab es in Mülheim noch 16 Pfarrgemeinden und 15 Pfarrer. Heute betreuen Janßen und sein Amtsbruder Christian Böckmann noch drei Pfarrgemeinden. Doch Janßen, der seit 2004 Pfarrer von St. Mariae Geburt und seit 2008 Stadtdechant ist, macht sich keine Illusionen. Die Zukunft der Mülheimer Stadtkirche sieht er in einer Pfarrgemeinde, die auf dem Kirchenhügel verwaltet wird und deren Kirche nur einer von vielen "christlichen Orten" in der Stadt sein wird,

"Wir müssen als Christen mittendrin in der Stadt sein. Und wenn wir von unserer Frohen Botschaft überzeugt und begeistert sind, werden wir auch andere Menschen davon überzeugen und sie dafür begeistern", glaubt Janßen. Ist das nicht nur frommer Zweckoptimismus angesichts des demografischen und sozialen Wandels, der die Zahl der Mülheimer Katholiken in Janßens 40 Priesterjahren von mehr als 60.000 auf weniger als 40.000 hat schrumpfen lassen.

Angesichts seiner seelsorgerischen Gespräche, die er auch mit den Menschen führt, die aus der Katholischen Kirche ausgetreten sind, bleibt Janßen optimistisch. Auch in seinen Gesprächen mit jungen Menschen spürt er "eine große Sehnsucht nach Halt und Orientierung für ein sinnvolles Leben." Auch ausgetretene Katholiken bestätigen ihnen immer wieder, dass ihr Kirchenaustritt mit dem priesterlichen Missbrauchskomplex in der katholischen Kirche, aber nicht mit ihrem Glauben an die Frohe christliche Botschaft zu tun habe.

Anders, als während des II. Vatikanischen Konzils (1962-1965) sieht Janßen die katholische Kirche nicht im Frühling, sondern im Herbst, also in einer Übergangszeit, in der die Felder beackert und besät werden müssen, ohne dass man die Früchte seiner Arbeit sehen oder ernten könnte. Jesu Gleichnis vom Sämann lässt grüßen.

Zu beackern gibt es auch in der kleiner gewordenen Stadtkirche, daran lässt der inzwischen 65-jährige Janßen keinen Zweifel, auch weiterhin jede Menge. Die "priesterzentrierte Kirche", "die sich an Gebäude klammert, die sie sich nicht mehr leisten kann", sieht er an ihrem Ende. Die von der christlichen Ökumene und dem interreligiösen Dialog geprägten Gegenwart und Zukunft gehöre qualifizierten Laien im kirchlichen Haupt- und Ehrenamt und dem "überfälligen Diakonat der Frau." Auch "verheirateten Männern, die sich in Ehe und Familie bewährt haben", sollte man nach seiner Ansicht den Zugang zum katholischen Priesteramt ermöglichen.

Mehr über Michael Janßens Priesterjubiläum lesen Sie hier und dort

Sonntag, 25. Mai 2025

Erinnernswert

 Radrennfahrer hatten bei mir bisher nicht den besten Ruf. Ich verband sie und ihren Sport vor allem mit Doping. Auch die sogenannten Radfahrer, die auf der Rennstrecke des Lebens nach oben buckeln und nach unten treten, taugen nicht als Vorbilder.

Ganz anders der dreifache Giro-di-Italia und zweifache Tour-de-France-Sieger Gino Bartali, den ich jetzt durch einen Deutschlandfunkbeitrag des Berliner Sportjournalisten Tom Mustroph kennengelernt habe. Er hat uns die menschlich großartige Geschichte des zwischen 1930 und 1953 aktiven Radrennfahrers, der 1914 geboren und 2000 verstorben ist.

Der Italiener aus der Toskana gewann während seiner Karriere mehr als 100 Rennen. Doch seinen menschlich größten Erfolg erfuhr sich Bartali in keinem Radrennen, sondern in den Kriegsjahren 1943/44 Kurier einer jüdisch-katholischen Untergrundbewegung um den florentinischen Bischof und Kardinal della Costa gefälschte Pässe transportierte, mit denen 800 verfolgte Juden auf dem faschistischen Italien vor der deutschen Wehrmacht fliehen konnten, die den Norden Italiens besetzt hatten, nachdem die Amerikaner auf Sizilien gelandet waren.

Weil er damals auch eine jüdische Familie versteckte und sie so vor dem Tod im Holocaust bewahrte, ernannte ihn die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem postum 2013 zum "Gerechten unter den Völkern." Bartali lehnte zeitlebens jede Ehrung ab. Als gläubiger Christ wollte er seinen humanitären Einsatz nicht "wie einen Orden ans Revers heften", sondern in seiner Seele bewahren.

Seinen Spitznamen "der radelnde Mönch" spielte auf seine Religiosität an. Den er gehörte der Laiengemeinschaft des Karmeliterordens an. Nachdem sein jüngerer Bruder Guilio 1936 an den Folgen eines Radrennunfalls  gestorben war, zog sich Bartali zwischenzeitlich aus dem Radrennsport zurück und suchte in einem Karmeliter-Kloster Ruhe und Trost. Nur der Überzeugungskraft seiner damaligen Verlobten und späteren Ehefrau Adriana war es zu  verdanken, dass Gino Bartali seine Karriere als Radprofi  auch für das Andenken seines tödlich verunglückten Bruders Giulio fortsetzte. Und nachdem er nach dem Ende seiner Karriere 1953 eine Fahrradfabrik gründete stifte die ersten drei der von ihm hergestellten Räder stiftete er dem damaligen Papst Pius XII. für bedürftige Kinder und Jugendliche. Kein Wunder also, dass auch die italienische Musiklegende.  Tom Mustrophs DLF-Beitrag über Gino Bartali hören Sie hier Und Paolo Contes musikalische Hommage an Gino Bartali hören Sie hier

Sonntag, 11. Mai 2025

Unter Zwang

 Die NS-Zeit war auch für Mülheim sein dunkelstes Kapitel. 80 Jahre nach dem Ende widmet sich unsere Stadtgesellschaft aus gutem Grund der Erinnerung an jene 25.000 Menschen, die während des Zweiten Weltkriegs in unserer Stadt Zwangsarbeit leisten mussten. Allein im Reichsbahnausbesserungswerk mussten mehr als 1400 junge und ganz junge Menschen aus der damaligen Sowjetunion für Hitlers Kriegswirtschaft schuften. Dort, wo wir heute im Ringlokschuppen Kultur und Kulinarisches genießen dürfen, wurde am 2. Mai eine erste Gedenktafel aufgestellt, die das erste Glied in einer Kette von Erinnerungstafeln, die man zum Beispiel per Rad auf den Spuren der Zwangsarbeit im Mülheim unter dem Hakenkreuz erfahren kann.

Solche Formen der Erinnerungskultur sind heute notwendiger, denn je, da die Generation der Zeitzeugen ausstirbt und die sichtbaren Spuren der einst 55 Lager aus dem Stadtbild verschwunden sind. Dabei zeigen jüngste Erkenntnisse, die unter anderem vom VVN-Mitglied Günter Zonbergs recherchiert und zusammengetragen worden sind, dass es im Mülheim des Zeiten Weltkriegs 162 Orte gegeben hat, an denen Menschen Zwangsarbeiten leisten mussten, ob in der Industrie, in der Landwirtschaft oder in privaten Haushalten, um nur einige Beispiele zu nennen.

Das zeigt, dass die Zwangsarbeit in der Stadtgesellschaft des Zweiten Weltkrieges allgegenwärtig und sichtbar war. Viele Firmen, Familien, Behörden und andere öffentliche Einrichtungen haben von Zwangsarbeit profitiert, zumal viele deutsche Arbeiter zur Wehrmacht eingezogen worden waren.

Nach Angaben der Stadtverwaltung aus dem Jahre 1950 sind während des Krieges 800 Menschen, die hier als sogenannte Fremdarbeiter eingesetzt waren, während ihrer Zeit in Mülheim an der Ruhr zu Tode gekommen sind. Viele von ihnen sind auf dem Altstadtfriedhof an der Dimbeck begraben, Dort haben auch ehemalige Zwangsarbeiter aus der Ukraine bei ihrem Mülheim-Besuch im Jahr 2002 Blumen niedergelegt,

Besonders betroffen macht. Den Eltern unter den Zwangsarbeitern wurden ihre Kinder weggenommen. Offiziell wurden sie in staatlichen Kinderheimen untergebracht. Da sie aber nie wieder aufgetaucht sind, muss man von ihrer Ermordung ausgehen. Ermordet wurde auch jene Zwangsarbeit, denen man unterstellte Lebensmittel oder Kleidung gestohlen oder intime Beziehungen zu Deutschen unterhalten zu haben. Während Zwangsarbeiter bei der Trümmerräumung und bei der Bombenentschärfung eingesetzt wurden, wurden viele von ihnen Opfer der alliierten Luftangriffe, weil ihnen der Zugang zu Luftschutzräumen untersagt war. Auch vor dem Hintergrund massiver Misshandlungen durch das Wachpersonal aus den Reihen der SA, der Polizei und der Wehrmacht, die nach dem Krieg nicht geahndet wurden, überrascht es nicht, dass sich viele freigelassene Zwangsarbeiter im Frühjahr 1945 an ihren ehemaligen Peinigern rächten und mit Plünderungen ihr Überleben sicherten.

Ein Kontrast zu dieser Grausamkeit waren jene Menschen aus Mülheim, die den Zwangsarbeitern, trotz eines strengen Verbotes, immer wieder Kleidung und Lebensmittel zukommen ließen. Zu einem Sinnbild für die Menschlichkeit in Zeiten der staatlich verordneten Unmenschlichkeit wurde die 1903 in Russland geborene, aber seit 1918 in Mülheim lebende Eleonore Helbach. Sie ging als "Russenengel" in die Stadtgeschichte ein, weil sie ihre Dienstverpflichtung als Dolmetscherin als Anwältin und Fürsprecherin der Zwangsarbeiter nutzte. Erst 1997 wurde ihr humanitärer Einsatz mit der Ehrenspange der Stadt Mülheim an der Ruhr gewürdigt, 2001 ist sie in Broich gestorben. Ihre Aufzeichnungen aus den Kriegsjahren 1942 bis 1945 hat der Mülheimer Geschichtsverein 2003 postum in einem Buch über die Zwangsarbeit in Mülheim an der Ruhr herausgegeben. Seit dem Jahr 2000 haben sich zwölf Mülheimer Unternehmen mit Zahlungen an der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft (EVZ) beteiligt, darunter auch Unternehmen, die gar keine Zwangsarbeiter beschäftigt hatten.

Mehr zum Thema lesen Sie hier


Freitag, 9. Mai 2025

Habemus Papam

Auf Franziskus folgt also Leo XIV. Nach seiner ersten Rede auf der Loggia des Petersdoms sieht Mülheims Stadtdechant Michael Janßen den neuen Papst als "totalen Kontrapunkt zu Donald Trump. Mit seiner Namenswahl knüpft der in den USA geborene und durch seine Arbeit in Peru geprägte Augustinermönch Robert Francis Prevost als Leo XIV. an Leo XIII. an, der 1891 mit seiner Sozialenzyklika "Rerum Novarum" als Arbeiterpapst und als Begründer der katholischen Soziallehre in die Geschichte eingegangen ist. Auch in Mülheim hintierlie8 Leo XIII. Spuren. Für die damals mithilfe des katholischen Industriellen August Thyssen im Arbeiterstadtteil Styrum  errichtete Kirche St. Mariae Rosenkranz stiftete er im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts einen bis heute existenten Seitenaltar.

Die ersten Botschaften seines Namensnachfolgers sind klar: Leo XIV spricht vom Frieden, davon Brücken bauen zu wollen und explizit auch von der Fortsetzung des synodalen Prozesses in der Katholischen Kirche. Nicht nur das lässt den Stadechanten hoffen. Er sieht in Leo XIV. einen Papst, "der in die Fußstapfen von Papst Franziskus treten", aber nicht: "dessen Kopie sein wird". Michael Janssen erkennt bei Leo XIV. das charismatische, lebenserfahrene und kommunikative Potenzial, dass notwendig sei, um als Papst "zur Stimme der Menschheit und der Menschlichkeit zu werden."

Samstag, 19. April 2025

Vom Krieg zum Frieden

Was der 8. Mai 1945 für Deutschland, dass war der 11. April 1945. An diesem Tag endeten mit dem Einmarsch amerikanischer Soldaten der Zweite Weltkrieg und die NS-Diktatur. 

Für die beiden Volkssturmmänner, die sich an diesem Frühlingstag am Dickswall ein letztes sinnloses Feuergefecht mit den US-Truppen lieferten und dabei getötet und verletzt wurden, war es ein Tag der Niederlage und des Zusammenbruchs.

Für den Unteroffizier Rudolf Steuer und den jüdischen Schlachter Julius Levy war der 11. April 1945 ein Tag des Überlebens und der Befreiung.

Steuer, der an diesem Tag 43 Jahre alt wurde und von GIs in Kriegsgefangenschaft genommen wurde, stand kurz vor seiner standrechtlichen Erschießung, weil er, wohl wisssend um die Versorgungsleitungen unter der Schloßbrücke, die ihm schon am 27. März 1945 befohlene Sprengung der letzten intakten Ruhrbrücke Mülheims verschleppt hatte.

Die Stadtverwaltung unterstützte Steuer in seinem Ungehorsam, weil sie wusste, welche verheerende Katastrophe die Sprengung dieser 1910 erbauten Brücke bedeuten würde. Deshalb unterstützte die Stadt an der Ruhr Steuer auch, als er 1947 sein kriegszerstörtes Haus in Merzig an der Saar wieder aufbauen musste.

Eigentlich wollten die an der Wilhelminenstraße vorrückenden US-Soldaten Julius Levy festnehmen, als sie ihn am 11. Apberzeugten die ril dort in einer Wehrmachtsuniform antrafen. Doch Levys evangelische Ehefrau und seine Nachbarn überzeugten die erst verblüfften und dann begeisterten GIs, von Levys wahrer Identität.

Denn anders, als seine 270 Mülheimer deportierten und ermordeten Glaubensgeschwister hatte der jüdische Schlachter Julius Levy, der bis 1938 im Mülheimer Schlachthof gearbeitet hatte, den Holocaust überlebt. Denn seine Frau hatte ihn in eine Wehrmachtsuniform gesteckt und ihn so in einem Küchenschrank versteckt, wenn die gemeinsame Wohnung an der Wilhelminenstraße durchsucht wurde. Frau Levy versicherte der Geheimen Staatspolizei immer wieder, ihr Mann sei längst deportiert worden. 

Die Nachbarn der Levs wussten um deren Geheimnis, behielten ihr Wissen aber für sich. So wurde das Kriegsende für sie und ihren jüdischen  Nachbarn zu einem Happyend, das am 11. April mit einem Straßenfest gefeiert wurde, bei dem die GIs mit ihrem Proviant für das leibliche Wohl der Menschen sorgten, die in Zeiten der staatlich verordneten Unmenschlichkeit menschlich geblieben waren.   

Sonntag, 23. März 2025

Kultur macht stark

 Ist Kultur Luxus oder ein Lebensmittel, wie es einst Bundespräsident Johannes Rau formuliert hat? Letzteres haben jetzt die jahrgangsübergreifende Musical-Klasse der Gesamtschule Saarn und die drei Mülheimer Familienkonzerte unter Beweis gestellt. 

Letztere bringen die Musikpädagogin Ulrike Schwanse und Anja Schöne vom Stadttheater Hagen seit 2005 auch in der Mülheimer Stadthalle auf die Bühne. Mit von der musikalischen Partie waren diesmal bei Sergej Prokovejevs sinfonischer Dichtung "Peter und der Wolf" wieder Mülheimer Grundschüler aus acht Mülheimer Grundschulen, die Musiker des Münsteraner Studentenorchesters und die Schauspieler Julian Karow (als Wolf) und Gabriel Schunck (als Ente). "Wir wollen Kindern und ihren Eltern und Großeltern unser reiches musikalisches Erbe vermitteln und damit ein Kontrastprogramm für die Generation Smartphone auf die Bühne bringen", erklärt Ulrike Schwanse  das Ziel der von ihr moderierten und von Anja Schöne inszenierte Familienkonzerte. Mission gelungen, kann bestätigen, wer die jüngsten Familienkonzerte im Theatersaal der Stadthalle miterlebt hat. Nach dem letzten Akkord blieb der Eindruck, dass die gut komponierte Inszenierung mit Musik, Moderation, Musikerinterviews, gespielten Szenen, gemalten Bildern auch so manchen "normalen" klassischen Konzerten guttäte und vielleicht ein ungeahnt zahlreiches Publikum bescheren würde. 

Genauso lange währt nun auch schon die Erfolgsgeschichte der Schülermusicals, die von jeweils mehr als 100 Jugendlichen in der Regie der beiden Pädagogen Sebastian Klein und Stephanie von der Marwitz, an der Gesamtschule in Saarn, diesmal in einer nagelneuen Aula auf die Bühne gebracht werden.

Zuletzt wurde mit der Produktion "School of Rock" die Geschichte einer amerikanischen Highschool-Klasse, die von einem gescheiterten Rockmusiker, der sich an ihrer Schule als vermeintlicher Hilfslehrer eingeschlichen hat und die Klasse, unter den argwöhnischen Blicken seiner neidischen Kollegen, bei einer Battle of the Bands zu musikalischen Höchstleistungen motivierte.

Kein Wunder, dass der Musical-Nachwuchs von der Gesamtschule Saarn sich "zu 90 Prozent" mit seinen Rollen in der kurzweiligen 55-Minuten-Musical-Show identifizieren kann. Aussagen, wie diese: "Man muss sich im Leben etwas trauen und sich auch mal einen Schubs geben lassen!" oder: "Lehrende müssen sich das innere Kind bewahren, um den Spaß an ihrer pädagogischen Arbeit nicht zu verlieren", zeigen, wie reflektiert die 12- bis 19-Jährigen ihre Rollen gespielt und ausgefüllt  haben.

Mehr über die Gesamtschule Saarn lesen Sie hier und mehr über die Familienkonzerte lesen Sie hier

Sonntag, 16. März 2025

Eine Klasse für sich

 Als sie hier gemeinsam zur Schule gingen, war die vom damaligen Baudezernenten Arthur Brocke entworfene und 1929 eröffnete Realschule Stadtmitte eine Schule, die aus zwei Schulen bestand. Die 14 Klassenkameraden, die sich jetzt 60 Jahre nach ihrem Schulabgang mit der Mittleren Reife an der Oberstraße wiedersahen, erinnerten an eine strenge Trennung der Mädchen- und Jungen-Realschule. "Wir waren an der Jungenschule rund 600 Schüler. "Leider mussten fünf Klassenkammeraden aus gesundheitlichen Gründen ihre Teilnahme an unserem inzwischen vierten Klassentreffen absagen. Und sechs Klassenkameraden sind inzwischen verstorben", bedauert Dieter Schweers, der das Wiedersehen der ehemaligen Realschüler organisiert hat.

Eine Schule fürs Leben

Anders, als das Gymnasium war die Realschule, an der man schon damals etwas für das Leben lernen konnte", erinnern sich die 14 Herren, die inzwischen zur Generation 75 Plus gehören. "Von einer solchen Ausstattung konnten wir damals nur träumen", sagen die Jungen Herren von Gestern, wenn sie sich bei ihrer Schulführung von Rektorin Sabine Dilbat erklären lassen, wie und warum das interaktive elektronische Activeboard die gute alte Tafel, auf der die Kreide unvergesslich kratzte, im Zeitalter der Digitalisierung, ersetzt hat.

Kaum zu glauben, dass die Realschulabsolventen, die 1965 ihr Abschlusszeugnis aus der Hand des strengen Direktors Walkowski erhielten, der stets dafür sorgte, dass seine Jungs den Schülerinnen von der benachbarten Mädchenrealschule nie zu nahekamen, noch ohne einen Anflug von Computer in ihr Berufsleben als Kaufleute, Handwerker, Verwaltungsbeamte, Bankkaufleute, Chemiker und Pädagogen in ihr Berufsleben starteten, das sie inzwischen alle erfolgreich hinter sich gebracht haben.

Nach der Schule ging das Lernen weiter

Dr. Wolfgang Bourguignon, einer von zwei ehemaligen Realschülern, die im Laufe ihrer späteren Bildungsbiografie zunächst aufs Gymnasium wechselten, um als Quereinsteiger ihr Abitur zu machen und anschließend an einer Hochschule, zum Beispiel Chemie und Pädagogik zu studieren, ist etwas verlegen, als ihn sein ehemaliger Mitschüler Dieter Schweers mit den Worten: "Du warst unser Klassenbester", begrüßt. "Ich hatte nur mit Latein Probleme, weil das für mich völlig neu war", erinnert sich Wolfgang Bourguignon an seinen Wechsel von der Realschule Stadtmitte in die Oberstufe des Oberhausener Novalis-Gymnasiums, an dem er später auch als Lehrer unterrichten sollte.

Neben dem Mülheimer Entertainer und Jazzmusiker Helge Schneider und dem ehemaligen Kulturdezernenten Hans-Theo Horn dürfte auch der ehemalige städtische Amtsleiter für die Fachbereiche Jugend, Kinder und Schule, Dieter Schweers, zu den in Mülheim bekanntesten Ehemaligen der Realschule Stadtmitte gehören. "Wir hatten damals keinen einzigen ausländischen Mitschüler in unserer Klasse und wir kannten bei unserem Start ins Berufsleben, der für viele von uns über den Besuch der Höhren Handelsschule Schwenzer führte, keine Zukunftsangst", erinnert sich Schweers an den Abschluss-Jahrgang 1965, der noch in einen Arbeitsmarkt eintreten konnte, auf dem, des kriselnden Kohlebergbaus, noch Vollbeschäftigung herrschte. 

Ohne Frauen geht es nicht

In dem Jahr 1965, in dem Dieter Schweers und seine insgesamt 31 Mitschüler, ihr Schulleben beendeten, begannen Mädchen und Jungen im damals neugegründeten Gymnasium Broich als erste Mülheimer Schülergeneration einen koedukativen Schulalltag, der in der Realschule Stadtmitte, die heute von 830 Kindern und Jugendlichen besucht wird, erst in den frühen 1970er Jahren einziehen sollte.

Bildungsgeschichtlich zeigt eine Langzeitbetrachtung des Landes Nordrhein-Westfalen, dass die Realschule in einer sich stark wandelnden Schullandschaft mit einem Schüleranteil von rund 20 Prozent im Vergleich zu anderen Schulformen sehr stabil geblieben ist, was zeigt, dass ihre lebens- und berufsnahe Pädagogik bis heute gesellschaftlich anerkannt wird.

Mittwoch, 5. März 2025

Eine Überlebensfrage

 Auch wenn der Klimaschutz, wie es Akademiedozent Mark Radtke, anmoderiert, "nicht unter den Top 5 der Themen im Bundestagswahlkampf" diskutiert, worden ist, macht Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck bei der Jahresveranstaltung seines Rates für Ökologie und Nachhaltigkeit deutlich, dass der Klima- und Umweltschutz für die Menschheit eine existenzielle Zukunftsfrage darstellt. "Die drohenden Klimaverschiebungen werden zu neuen Migrationswellen führen", warnt Overbeck. Der Bischof räumt ein, "dass wir als Bistum Essen bei unserem energietechnischem Gebäudemanagement weniger tun, als wir tun müssten, weil uns dafür der ökonomische Reichtum fehlt." 

Dennoch sieht Overbeck die Kirche als Akteurin, wenn es um eine notwendige "Gewissenschulung" in Sachen Umwelt- und Klimaschutz für eine im besten Sinne des Wortes "wertkonservative Bewahrung der Schöpfung"! Für den Vorsitzenden des Bischöflichen Rates für Ökologie und Nachhaltigkeit, Lars Grotewold von der Mercator-Stiftung stellt die aktuelle Erderwärmung um 1,5 Grad Celsius + X "eine Bedrohung unseres Wohlstandes" dar, Was muss also getan werden? Linda Kastrup vom Aktionsbündnis Fridays for Future fordert die politisch und ökonomisch motivierte "Diffamierung des Klima- und Unweltschutzes" zu beenden und die bestehenden Klimaschutzgesetze "weiter zu verschärfen und den Gas-Ausstieg vorzubereiten."

Der Chefredakteur des Internetportals Klimafakten, Carel Mohn, fordert mit Blick auf die Notwendigkeiten des Klimas- und Umweltschutzes von der neuen Bundesregierung, "die Elektromobilität auszubauen, ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen einzuführen" und: "Inlandsflüge in Deutschland zu verbieten."


Zum Veranstaltungsbericht der Katholischen Akademie Die Wolfsburg


Dienstag, 4. März 2025

Tolle Tage

Mülheim ist nicht Köln, wenn es um den Karneval geht, auch wenn die närrische Domstadt einen gleichnamigen Stadtteil hat. Dennoch hat auch der Mölmsche Karneval, in dem eine vergleichsweise kleine Gemeinschaft von 1000 aktiven Karnevalisten, ein Fest der Fünften Jahreszeit in die Säle und auf die Straßen zaubern, etwa am Karnevalssamstag, beim Närrischen Biwak im Forum, beim Rosenkranz-Gemeindekarneval der MüKaGe in Dümpten oder bei der blau-weissen Prunksitzung im Altenhof.

Den Karnevalssamstagabend nutzten Stadtprinz Julien und seine Paginnen Denise und Lisa Marie, um nicht nur bei den offiziellen Karnevalsveranstaltungen, sondern auch in Mülheimer Traditionskneipen vorbei, um für die Teilnahme am Rosenmontagszug zu werben. Besonders groß war das Helau im Rauchfang an der Wallstraße. Dort gab es für die Tollitäten, die vom Mülheimer Chefkarnevalisten Markus Uferkamp begleitet wurden, sogar eine Freibierrunde. Kein Wunder. Gastwirt Claus Kandelhardt, der seine Kultkneipe seit 18 Jahren mit seiner Frau Petra betreibt, ist in der rheinischen Karnevalshochburg Düsseldorf aufgewachsen.

Während sich das "Schräge Eck" im Dichterviertel und der "Landsknecht" in der Altstadt als karnevalistische Entwicklungsgebiete erwiesen, waren Rauchfang Luftschlangen zu sehen und Karnevalsschlager zu hören. Bis weit nach Mitternacht widmete sich Prinz Julien unermüdlich der närrischen Missionsarbeit im Dienste des organisierten Frohsinns.

Nicht missionieren mussten die Tollitäten den 53-jährigen Olaf, den sie beim inklusiven Karneval des VBGS in der Stadthalle kennengelernt hatten. Ihn besuchten sie zur Mittagszeit in seinem Zuhause, dem Hermann-Giese-Haus in Winkhausen. Dort verlieh ihm Pagin Lisa Marie, stellvertretend für die grippeerkrankte Stadtprinzessin Chiara, den Orden des Prinzenpaares. Olaf bedankte sich für den Orden überschwänglich und erwiderte nur zu gern Lisa Maries Bützchen.

Derweil nahm Prinz Julien nur zu gern Olafs Wunsch mit, "einmal im Rosenmontagszug mitzufahren." Der Rosenmontagszug zeigte sich erstaunlich sonnig. Das war gut so. Denn der Zug mit seinen 27 Wagen und 10 Gruppen hatte fast 90 Minuten Verspätung. Grund war eine notwendige Wiederbelebung an der Zugstrecke.

Apropos Gesundheit. Kinderprinz Elias hatte seinen grippalen Infekt, anders, als Stadtprinzessin Chiara, soweit wieder auskuriert und konnte deshalb, hoch auf dem Kinderprinzenwagen, im Rosenmontagszug mitfahren, um Kamelle und Co unter das wartende, und trotz der Zugverspätung, gutgelaunte Narrenvolk zu bringen. Soviel ist allerdings klar. Wenn die vielen Genesungswünsche, die die Tollitäten am Karnevalssamstag und am Rosenmontag, für Stadtprinzessin Chiara mit auf dem Weg durch das Sessionsfinale bekommen haben, wirken, dann wird Prinzessin Chiara ganz schnell wieder gesund. 


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Freitag, 28. Februar 2025

Närrische Zeit

"Ganz ohne Weiber geht die Chose" nicht! Das weiß man nicht nur in der Operette, sondern auch im Karneval. Deshalb sind es die Frauen, die in der Fünften Jahreszeitvorangehen, wenn es darum geht, in den Straßenkarneval der tollen Tage zu starten. Dazu passte es gut ins Bild, dass die mölmschen Möhnen in dieser Weiberfastnacht, die im Ruhrpott uncharmant "Altweiber" genannt wird, als Flotte Bienen den Oberbürgermeister kostümtechnisch zum Gärtner machten, um ihm dann eine Palette mit Blumentöpfen in die Hand zu drücken, auf dass er die betonlastige Schlossstraße begrüne.

"Wir werden genau überprüfen, was uns da demnächst blüht und sprießt", versicherte Obermöhne Elli Schott von der Röhrengarde. Obwohl Verwaltungschef, musste Oberbürgermeister Marc Buchholz im Wettstreit mit den Tollitäten Julien und Elias traditionsgemäß den Kürzeren ziehen. Beim Aktenweitwurf, beim Büroslalom sowie beim Heften und Stempeln hatten die närrischen Regenten aus den Reihen des Mülheimer Carnevalsclubs und der Prinzengarde Rote Funken die Nase vorn. "Das ist gar nicht so leicht, wenn man alles alleine machen muss und keine Mitarbeiter zur Hand hat", spottete Elli Schott nach der Niederlage des Oberbürgermeisters. 

Der karnevalstrainierte OB nahm seinen Machtverlust gelassen und betonte in seiner Abdankungsrede die soziale Bedeutung, die der Karneval hat, indem er Menschen aus unterschiedlichen sozialen Gruppen und Generationen zusammenbringt. Dankbar zeigte er sich vor allem dafür, "dass ich in diesem Jahr nicht wieder als sparsamer Schotte auftreten muss, nachdem das Land die Altschuldenregelung umsetzen will". 

Schlicht und effektvoll setzte die Geschäftsführerin der Arbeiterwohlfahrt, Michaela Rosenbaum, mit ihrem Kostüm ein politisches Zeichen. Ihre Brillengläser bestanden aus Friedenszeichen und um den Hals trug sie ein Hinweisschild mit der Aufschrift: "Heute ist offene Gesellschaft!" Deshalb steuerte auch ein Kamerateam der WDR-Lokalzeit gleich auf sie zu, um von ihr zu erfahren, ob islamistische Anschlagsdrohungen auf Karnevalsveranstaltungen ihre Lust am Karnevalfeiern beeinträchtigen. Für Rosenbaum steht fest: "Wir dürfen uns als freie Gesellschaft von solchen Drohungen nicht einschüchtern lassen, denn das ist genau das, was die Fanatiker wollen." Ein politisches Zeichen ganz anderer Art setzte der als Dr. Party verkleidete Arzt und SPD-Landtagsabgeordnete Rodion Bakum mit seinem Pflasterpack, das er unter den Möhnen und ihrem Gefolge verteilte. Neben einer Narrenkappe war dort zu lesen: "Kleine Wunden heilen schnell, der Pflegenotstand nicht. Und sein Mitarbeiter Felix Hesse war ja als Friedrich Merz zum Rathaussturm der Möhnen erschienen, um mit seinem "Black-Rock-Koffer" anzudeuten, dass die im Bund anstehenden Koalitionsverhandlungen nicht nur lustig werden. 


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Dienstag, 25. Februar 2025

Märchenhafte Wahl

 Märchenerzähler gehören eigentlich nicht in die Politik. Und doch wissen wir, dass sie es manchmal bis in höchste politische Ämter schaffen, weil die Menschen gerade in schwierigen Situationen gerne an Märchen glauben wollen.

Ausgerechnet Mülheims erster gewählter Abgeordneter, der die Stadt in der Frankfurter Paulskirche und damit in der ersten deutschen Nationalversammlung vertrat, die versuchte eine liberale Verfassung und Kraft zu setzen und damit unglücklicherweise scheiterte, war ein Märchenerzähler. Allerdings gehörte der Germanist Jakob Grimm, der nicht aus dem Ruhrgebiet sondern aus Hessen stammte, zu den respektablen Vertretern . Zu seiner Zunft. Mit seinem Bruder Wilhelm gehörte er zu den deutschen Hochschullehrern, die teil einer liberalen und nationalen Verfassungsbewegung in Deutschland waren, als die Monarchen des Deutschen Bundes, völlig unzeitgemäß noch darauf pochten nicht von Volkes sondern von Gottes Gnaden auf ihren Thron berufen zu sein.

Im Mai 1848, als mit dem Wächter an der Ruhr, auch eine liberale politische Zeitung in Mülheim erschien, kam es auch in Mülheim zur ersten Parlamentswahl. Wahlberechtigt waren allerdings nur alle Männer ab 25 Jahren, die wiederum Wahlmänner bewältigen, die dann wieder ihrerseits jenen Jakob Grimm als Abgeordneten für Mülheim und essen in die Frankfurter Nationalversammlung entsandten. Das indirekte Wahlrecht, wie wir es heute noch in seiner überkommenen Form in den USA kennen, sprach dafür, dass auch das reformbereite liberale Bürgerzentrum dem demokratischen Mehrheitsprinzip misstraute.

Obwohl Jakob Grimm zu den Prominenten paulskirche Parlamentariern gehörte und als Vordenker eines liberalen Rechtsstaates im Rahmen einer Monarchie in der ersten Reihe der Frankfurter Nationalversammlung saß, gab er aber sich doch schon im Oktober 1848 desillusioniert seinen Platz im Parlament wieder auf und zog sich aus dem verfassungsgebenden Prozess zurück, weil das scheitern der bürgerlichen Revolution voraussah, dass dann aufgrund der reaktionäre n, Politik des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. voraussah.

Das 1871 gegründete Deutsche Kaiserreich verharmloste die bürgerliche Revolution verharmloste. Nur weniger liberale Zeitgenosse die Tragik der 1848/1849 versäumte Chance, einer demokratischen transformieren Monarchie, die uns dass persönliche Regiment eines Wilhelm II. erspart hätte und mit ihm den ersten Weltkrieg und dessen bekannten Folgen erspart hätte.

Montag, 24. Februar 2025

Hört bei der Politik der Spaß auf?

Den mächtigen den Spiegel vorhalten. Das war von jeher ein Kern des Karnevals. Doch in den letzten Jahren ist die Zunft der politischen Büttenredner nicht nur im Mülheimer Karneval rar geworden.

Insofern ist auch Jürgen Wisniewski als Hoppeditz der Karnevalsgesellschaft Blau-Weiß eine Ausnahmeerscheinung. Er hat sich sehr kurzfristig für diese Session als Büttenredner gewinnen lassen und es nicht bereut. Warum tut sich das Publikum heute so schwer mit politischen Bütten reden?"

Viele Menschen sind müde. Ihre Konzentrationsfähigkeit hat abgenommen. Das Leben ist anstrengender geworden. Viele Menschen müssen sich mit mehreren Jobs über Wasser halten. Da wollen viele nur noch abschalten feiern tanzen und Musik hören und nicht mehr über Politik nachdenken", meint Wisniewski. Er selbst hat in dieser Session nicht nur Mülheims Oberbürgermeister Marc Buchholz und die bescheidenen Straßenverhältnisse in Mülheim, die desolate Situation der Innenstadt und das aus der Ampelkoalition sondern auch der neu gewählten amerikanischen Präsidenten Donald Trump aufs Korn genommen.

"Jemand wie Trump, der einen Tick hat und damit angreifbar ist, ist natürlich für einen Büttenredner ein gefundenes Fressen", sagt der 57-Jährige Ingenieur. Natürlich muss ein Büttenredner die Zeitung lesen egal in welcher Form, um die Themen zu finden, die er aufs Korn nehmen kann. Mein Kostüm als Hoppeditz dass mir ein syrischer Schneider in Mülheim in nur 14 Tagen genäht hat, hilft mir bei meinen Auftritten als karnevalistische Kunstfigur. Es stärkt mir den Rücken und beflügelt mich", sagt der fröhliche und mit heiterem Ernst ausgestattete Familienvater. 

Für ihn, der in der Session 2017/2018 auch schon mal als Stadtprinz auf der Bühne stand und heute das Amt des Senatspräsidenten der KG Blau-Weiss bekleidet, steht fest: "Ein Büttenredner packt sich immer die Starken, nie die Schwachen." Dabei hält es Wisniewski für kontraproduktiv: "sich an einem Thema fest zu fressen oder gar im parteipolitischen Sinne Partei zu ergreifen." Seine Methode in der Bütt ist es: "über die politische Landschaft hinweg zu fliegen und die Themen nur anzuticken und anzuspielen." Natürlich muss jeder sein Fett wegbekommen Punkt und das gilt auch für die Anekdoten über die erste Reihe der eigenen Karnevalsgesellschaft. 

Obwohl auch Oberbürgermeister Marc Buchholz vom Hoppeditz sein Fett wegbekommen, lobte er diesen doch ausdrücklich und begrüßt es, dass Jürgen Wisniewski zu den wenigen seiner Zunft gehört, die daran arbeiten die Tradition der politischen Büttenrede wieder zu beleben. Es lohnt sich gerade heute, hat diese Zunft und diese Kunst doch so unvergessene und Maßstäbe setzende Persönlichkeiten wie die Kölner Karl Küpper, der als "Der Verdötschte" sogar den Nationalsozialisten trotzte, und Toni Geller als "Redner der Blauen Partei" hervorgebracht, die zurecht bis heute für ihren närrischen Wortwitz legendär sind.


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Samstag, 22. Februar 2025

Wenn wir wählen Seit an Seit

 Wir haben am Sonntag die Wahl. Und weil es um die Bundestagswahl geht, haben wir gleich zwei davon. Was wir mit unseren beiden Stimmen erreichen oder anrichten, muss sich erst noch zeigen. Auch in anderen europäischen Ländern sehen wir derzeit aufgrund der multikomplexen Weltlage ein Erstarken extremer und populistischer Kräfte.

Frankreich, Großbritannien und die USA zeigen, dass auch ein Mehrheitswahlrecht keine Garantie für eine gut funktionierende Regierungsmehrheit und die Bedeutungslosigkeit politischer Populisten und Vereinfacher darstellt. Und doch zeigen die Mehrheitswahlsysteme in Frankreich und Großbritannien, dass sie geeignet sind, extreme Kräfte zumindest politisch klein zu halten und zu Regierungsmehrheiten jenseits der politischen Extreme zu führen. 

Großbritannien ist ein Paradebeispiel dafür. Die USA waren auch ein gutes Beispiel dafür und könnten es auch immer noch sein, wenn die sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen in der US-Gesellschaft auch dazu geführt hat, dass politische Extremisten und Glücksspieler die Grand Old Party des Sklavenbefreiers Abraham Lincoln für ihre politischen Abenteuer gekapert haben.

Zwischen Funktionalität und Repräsentativität 

Wir Deutschen wissen aus leidvoller historischer Erfahrung, wohin politischer Extremismus führt, wenn eine Mehrheit, etwa unter dem Albdruck sozialer und wirtschaftlicher Not ihr Wahlkreuz an der falschen Stelle macht. Mit dem Grundgesetz und einem Wahlrechtsmix aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht, hat die Bonner Republik nach 1949 aus den Fehlern ihrer Weimarer Vorgängerin gelernt. 

Ob die Berliner Republik des seit 1990 wiedervereinigten Deutschlands sich, unter ungleich schwierigeren globaen Rahmendbedingungen, die soziale, wirtschaftliche und politische Stabilität ihrer Bonner Republik bewahren kann, muss zumindest zum heutigen Zeitpunkt bezweifelt werden.

Doch Angst ist ein schlechter Berater und deshalb ist es keine Alternative, permanent den Teufel an die Wand zu malen. Aber wir müssen mit Herz und Verstand in diesem Jahr die richtigen politischen Weichen stellen, erst bei der Bundestagswahl und im September bei der Kommunalwahl.

Parlamentarische Regierungsmehrheiten müssen her

Sowohl das Mehrheitswahlrecht des Kaiserreiches als auch das reine Verhältniswahlrecht der Weimarer Republik gab unseren altvorderen Wahlberechtigten nur ein Stimme. In beiden Fällen konnte sich deren Dynamik nicht wirklich positiv entfalten. Während der Reichstag zwischen 1871 und 1918 nichts mit der Regierungsbildung zu tun hatten, den Kaisern sei Undank, führte das reine Verhältniswahlrecht und die Folgen des Ersten Weltkriegs in der ersten parlamentarischen Demokratie zur Zersplitterung der Legislative und damit zu 16 Regierungen in 14 Jahren.

Auch das Europa- und das Kommunalwahlrecht zeigen uns, dass der Verzicht auf eine Sperrklausel in jedem Fall demokratischer, aber nicht unbedingt für das Funktionieren der Demokratie ist.

Während man unter der ersten Großen Koalition (1966-1969)die Einführung eines Mehrheitswahlrechtes nach britischem Vorbild in Erwägung zog, war das Thema mit der Bildung der sozialliberalen Koalition 1969 vom Tisch.

Nun hat die inzwischen zerbrochene Ampel-Koalition ein neues Wahlrecht eingeführt, dass unsere Erststimme für die Direktbewerber im Wahlkreis schwächt und dafür die Zweitstimme, die eine Listenstimme nach dem Verhältniswahlrecht aufwertet. Die jüngsten Wahlrechtsreformer halten sich zugute, dass sie mit der Abschaffung der Ausgleichs- und Überhangmandate eine weitere Aufblähung des Parlaments zu verhindern und die Zahl der Abgeordneten von 730 auf 630 reduziert zu haben.

Einerseits gut, wenn man den bisherigen Status quo betrachtet. Schließlich kostet jeder Parlamentarier die Steuerzahl mehr als 10.000 Euro pro Monat. Andererseits schlecht, wenn man überlegt was möglich gewesen wäre, wenn man den Deutschen Bundestag wirklich schlanker, preiswerter und effektiver hätte machen wollen.

So hätte es auch gehen können

Hätte man zum Beispiel ein Mehrheitswahlrecht nach britischem Muster eingeführt, hätte man den Bundestag auf 299 direkt gewählte Abgeordnete reduzieren können. Man hätte sich sogar erlauben können, die lokalen Wahlkreise bürgernäher sprich kleiner zuzuschneiden und somit eine bessere Verbindung zwischen den Abgeordneten und ihren Mitbürgern im Wahlkreis zu schaffen. Dann hätten wir vielleicht 350 oder 400 Abgeordnete und immer noch ein deutlich kleineres Parlament.

Man hätte aber auch einfach nur ins gute alte Grundgesetz schauen können, dass vorsieht, dass der Bundestag aus 299 direkt gewählten Wahlkreisabgeordneten und aus 299 Abgeordneten besteht, die über die Landeslisten ihrer Parteien ins Parlament einziehen. Macht 598 Mitglieder des Deutschen Bundestages. So einfach. So gut.

Weder demokratisch noch bürgernah

Jetzt hat man die vermeintlich demokratischere Zweitstimme gestärkt, aber die Erststimme, mit der die Bürgerinnen und Bürger ihren Wahlkreisabgeordneten wählen, massiv geschwächt. Denn jetzt kann es direkt gewählten Wahlkreisabgeordneten passieren, dass ihre Wahlkreismehrheit nicht groß genug ist, also nichgt ausreicht, um ins Parlament einzuziehen. Denn erreicht eine Partei, zum Beispiel die CSU in Bayern mehr Direktmandate, als es ihrem bundesweiten Stimmenanteil entspricht, müssen ihre nur mit knapper Mehrheit gewählten Abgeordneten, den Schwarzen Peter zugeschoben bekommen, und trotz Stimmenparlament nicht ins Parlament gewählt werden. Dieses Wahlrecht ist weder demokratisch noch bürgernah und deshalb dingend erneut reformbedürftig. Den Abgeordneten des 21. Deutschen Bundestages kann man nur raten: "Schlagt nach im Grundgesetz!" Ihr Väter und Mütter des Grundgesetzes seid bei uns.

Zum Deutschen Bundestag



Dienstag, 18. Februar 2025

Ein schwarzer Montag

 Am 8. Februar 1988 machte Mülheim ungewollt negativ Schlagzeilen. Dass das Mendener Ruhrtal wird für eine Turboprop-Maschine das Nürnberger Flugdienstes zur Absturzstelle. 21 Menschen an Bord kommen ums Leben. Über Tage müssen Spezialisten und Polizei und Feuerwehr am Unglücksort Leichen bergen. 

Sie werden ins Uniklinikum Essen gebracht, wo Experten des Bundeskriminalamtes die furchtbare Aufgabe haben Sie zu identifizieren um die Angehörigen über den Tod ihre Angehörigen zu informieren. Die Toten kommen alle aus Norddeutschland, unter ihnen Mitarbeiter des Kicks Herstellers Basel. 

Wie die Untersuchung des Luftfahrtbundesamtes später ergeben wird war ein Blitzeinschlag Ursache für den Absturz, bei denen auch der Pilot und seine Kopilotin ums Leben kamen. Die Maschine war um kurz nach 7 Uhr in Hannover gestartet und befand sich kurz vor 8 im Landeanflug auf Düsseldorf als ein Blitzschlag die gesamte Bordelektronik außer Gefecht setzte und die beiden Piloten manövrieren und fähig machte. 

Neben dem Oberstadtdirektor Heinz Hager und dem NRW Ministerpräsidenten Johannes Rau machen sich leider auch viele Schaulustige vor Ort ein Lagebild. "Die Menschen sollten froh darüber sein, dass die Absturzstelle abgesperrt ist und sie nicht sehen müssen, was wir sehen mussten, sagt an diesem schwarzen Montag ein Polizist einem Journalistin vor Ort. Der Leiter der Mülheimer Lokalredaktion beweist tags darauf in seinem Kommentar daraufhin, dass uns der flugzeugabsturz deutlich gemacht habe das die Vorstellung von menschlicher und technischer Perfektion eine Illusion sei und unser Leben immer am seidenen Faden hänge.

Lesen Sie hierzu auf der Internetseite des Mülheimer Geschichtsvereins

Donnerstag, 13. Februar 2025

Seien wir doch mal närrisch

 Sei kein Narr, möchte man so manchem skurrilem Zeitgenossen raten, zumal, wenn er, auch Wähler können närrisch sein, in höchste politische Ämter, gewählt, worden sind. Man müsste schon ein Jahr sein, um Mülheim an der Ruhr für den Nabel der Welt zu halten Punkt und doch kommt man nicht an der Tatsache vorbei das das Amt des Oberbürgermeisters in unserer Stadt das an höchste ist. Dennoch oder gerade deshalb hat Oberbürgermeister Mark Buchholz, der weniger zu den skurrilen als zu den bodenständigen und bürgerlichen Amtsträgern gehört kein Problem damit offiziell einen ganzen nahe zu sein. Genau diesen Ehrentitel haben ihm jetzt Mülheims Karnevalisten verlieren obwohl sie wissen dass er kein aktiver Karneval ist ist aber sehr wohl sein sondern das Engagement für den organisierten Posen zu schätzen wissen. Denn frei nach dem karnevalistischen Schlagermotto: "Wer soll das bezahlen?", hatte sich der Oberbürgermeister mit rheinischen Wurzeln in Duisburg mit der Initiierung eines Sponsorenfrühstücks um die finanzielle Unterstützung Menschen Karnevals verdient gemacht. Das Geld für den Mülleimer Karneval gut investiert ist, machte der beim Rathaussturm der Möhnen mmer wieder kostümfreudige Oberbürgermeister deutlich, indem er nach seiner närrischen Auszeichnung feststellte, dass auch ein Oberbürgermeister gut beraten ist, in Sachen Gemeinschaft und Lebensfreude von den Narren zu lernen, zumindest von jenen, die Fröschen Herzens und guten Willens in der fünften Jahreszeit den Ton angeben. 


Über Marc Buchholz

Sonntag, 9. Februar 2025

Fromm und fröhlich

Karneval und Katholizismus. Es kommt nicht von ungefähr, dass die ältesten Spuren des Mülheimer Karnevals zu den Fastnachtsspielen ins Kloster Saarn führen. Urkundlich erstmals nachweisbar anno 1691. Fastnacht. Das Wort sagt es, ist die Nacht vor der Fastenzeit.

Der Mülheimer Heimatforscher und Karnevalskenner Heinz Hohensee, hat uns nicht nur die erste urkundliche Erwähnung der Fastnachtsspiele im Zisterzienserinnenkloster Mariensaal überliefert, sondern auch die Tatsache, dass es im Karneval schon im 19. Jahrhundert um die Wurst ging. Mit der wurde nämlich der Hans Wurst belohnt, der sein Publikum beim Fastnachtsmahl in der Gaststätte seines Vertrauens mit Anekdoten und Dönkes zu erheitern wusste. Und natürlich gilt bis heute auch für die hartgesottensten Karnevalisten: Am Aschernittwoch ist alles vorbei, weil dann die vorösterliche Fastenzeit beginnt. Aber noch ist es ja nicht so weit. Und so konnten die frohen und fröhlichen Narren jetzt in der Marienkirche auf dem Kirchenhügel wieder ihre närrische Festmesse feiern, die einst der in Köln geborene Styrumer Pastor Norbert Dudek aus der Taufe gehoben hatte. Inzwischen wird sie selbstverständlich ökumenisch gefeiert. Und so ließ Stadtdechant Michael Janßen seinem närrischen Amtsbruder Michael Manz bei der Predigt gerne den Vortritt. Inspiriert von der biblischen Hochzeit von Kana, bei der Jesus Wasser in Spitzenwein verwandelte, hielt der Superintendent ein Plädoyer für eine christliche Kirche, die ihre Frohe Botschaft auch mit Lebensfreude und Menschenfreundlichkeit lebt und feiern. "Lassen Sie uns ein Weinfass ohne Boden sein!" empfahl er seinem fröhlichen und frommen Zuhörern in den Kirchenbänken von St. Mariae Geburt.

Der Vizepräsident des Hauptausschusses Groß-Mülheimer Karneval, Heino Passmann, der einst durch die Kolpingfamilie Broich/Speldorf zum Karneval gekommen ist, machte deutlich: "Das Amen und das Halleluja erwachsen aus der selben Grundhaltung, die das Leben und die Gemeinschaft feiert." Und nicht die Trompeten vor Jericho, sondern die der Musikzüge der Karnevalsgesellschaften Blau Weiß und Röhrengarde zeigten in der närrischen Festmesse, dass "Großer Gott, wir loben Dich!" und: "Viva Colonia. Wir lieben das Leben. Wir glauben an den lieben Gott und wir haben auch immer Durst!" zwei seelenverwandte Seiten derselben Medaille sind.


Zum Mülheimer Karneval

Mittwoch, 5. Februar 2025

Warum ein Priester zum Kirchenkritiker wurde?

 Ein ehemaliger Priester sitzt in einer ehemaligen Kapelle. Der Philosoph und Theologe Dr. Michael Rasche liest aus seiner 2024 bei Books on Demand erschienenen Autobiografie: "Bekenntnisse - Auflösung eines katholischen Lebens". Die meisten seiner Zuhörer, die an diesem Abend den Weg Styrumer Aquarius gefunden haben, kennen ihn noch aus seiner Zeit in der Pfarrgemeinde Sankt Barbara. Dort ist er aufgewachsen. Dort hat er das katholische Milieu erlebt, das ihn inspirierte, katholischer Priester zu werden. Dies war er über 15 Jahre, nicht nur als Seelsorger, sondern auch als Wissenschaftler und Hochschullehrer.


Doch 2016 zog einen Schlussstrich, stieg aus dem katholischen Priesteramt und dem damit verbundenen Pflichtzölibat aus, heiratete die Frau seines Lebens und wurde Vater von zwei Söhnen. Inzwischen arbeitet Rasche als freiberuflicher Lebens- und Unternehmensberater und als Vortragsredner. "Leider stehe ich bei Veranstaltern aus der katholischen Kirche auf einer schwarzen Liste", beklagt der Ex-Priester. Dabei hat er sein Buch auch für jene geschrieben, die noch an eine radikale Reform der katholischen Kirche glauben und auf sie hoffen. Er selbst, daraus macht der 1973 Geborene, keinen Hehl, werde diese Reform zu seinen Lebzeiten wohl nicht mehr erleben.

Was sich ändern müsste

Was müsste sich ändern, damit die katholische Kirche wieder mehr Menschen für den christlichen Glauben und für ihre Gemeinschaft begeistern könnte? An diesem Abend wird im Aquarius eben über diese Frage diskutiert. Für Rasche wäre es notwendig, "dass die katholische Kirche sich selbst radikal hinterfragt und ihre Strukturen verändert". Die institutionalisierte römisch-katholische Kirche sieht er als Opfer ihrer "unheilvollen und scharfen Doppelmoral", insbesondere beim Thema Sexualität, und in ihrer maßlosen "Überhöhung des Priesteramtes". Weil der Priester im katholischen Amtsverständnis die Kirche verkörpere, dürfe und können in ihr nicht sein, was tatsächlich aber geschehe, etwa, dass Priester trotz Pflichtzölibats in einer hetero- oder homosexuellen Beziehung lebten und sogar Väter geworden seien. Die Überhöhung und Vergöttlichung des Priesteramtes ist in Rasches Augen auf die eigentliche Ursache dafür, dass sich die katholische Amtskirche so schwer damit tut, Missbrauchstäter im Priesteramt offen zu belangen und aus ihrem Amt zu entlassen, damit sie keinen Schaden mehr anrichten können. 

Beispiel Niederlande

In den Niederlanden erlebt Rasche, der inzwischen in Rotterdam zu Hause ist, schon heute, was er auch auf Deutschland zukommen sieht, nämlich, dass die katholische Kirche als sozial und öffentlich wirksame Institution aus dem gesellschaftlichen Alltag verschwunden ist. Seine Prognose lautet: "Die Kirche wird als institutionalisierter Rechtsgemeinschaft auch in Deutschland nicht überleben, aber als Religionsgemeinschaft mit kleinen Kerngemeinden der Menschen, die sich in ihrem Leben von der frohen Botschaft und ihren Werten von Menschenwürde und Nächstenliebe inspirieren lassen." Deshalb plädiert Rasche auch für einen flächendeckenden Ethik- und Werteunterricht, um auch die frohe Botschaft des Christentums an die nächste Generation weiterzugeben. In den Niederlanden, so Rasche, erlebe er es, "dass, dass die christlichen Werte auch ohne eine institutionalisierte Kirche überleben" würden. Mit dem Religions- und Kirchenkritiker Friedrich Nietzsche, den er als "abtrünnigsten Pfarrerssohn der Geschichte" bezeichnet, ist Rasche zu der Ansicht gelangt, dass auch die Kirche Gott getötet habe, "weil sie ihre Institution vom Leben der Menschen getrennt und aus der frohen Botschaft eine amtliche Moral mit Kirchenrecht und Katechismus gemacht" habe.

Freitag, 3. Januar 2025

Beim Neujahrsputz ging es nicht nur um Sauberkeit

Bisher kannte ich nur den Brauch des Frühjahrsputzes. Jetzt lernte ich als Journalist den Brauch des Mülheimer Neujahrsputzes kennen. Dabei ging es den 50 beteiligten Mitgliedern der islamischen Ahmadiyya-Gemeinde, diesen nützlichen Brauch schon seit 23 Jahren pflegen, nicht nur um das Wegräumen des Silvestermülls in der Stadtmitte und in Styrum.

"Mülheim ist unsere zweite Heimat." "Wir sind Teil dieser Gesellschaft und wollen ihr etwas zurückgeben!" Das waren Aussagen, die man in den generationsübergreifenden Reihen der ehrenamtlichen Helferkolonne der Mülheimer Entsorgungsgesellschaft (MEG) immer wieder hören konnte. Die MEG hatte ihre freiwilligen Kollegen aus der 450 Mitglieder zählenden Ahmadiyya-Gemeinde am Neujahrstag mit 120-Liter-Müllsäcken, Müllzangen und Schutzhandschuhen ausgestattet. Innerhalb von zwei Stunden füllten sich am Neujahrstag so fast 40 MEG-Säcke mit dem Rest vom Silvesterfest.

"Das ist verbranntes Geld, dass man besser hätte verwenden können, um armen Menschen zu helfen", waren sich drei Gemeindemitglieder beim Aufräumen rund um den Kurt-Schumacher-Platz einig, angesichts der zurückgelassenen Silvesterknallkörper. Die Botschaft der A-Gemeinde wurde verstanden. "Ich bin perplex um diese Zeit hier Menschen aus allen Generationen beim gemeinsamen Aufräumen zu sehen. Das ist eine tolle und nachahmenswerte Gemeinschaftsaktion, die mithelfen kann, die von Verrückten begangenen Fehler auszumerzen." Dabei wurde im Gespräch mit den Gemeindemitgliedern auch deutlich, dass der Neujahrsputz ins Bild ihrer Aktivitäten passt, zu dem auch die Teilnahme an der Aktion "Styrum putzt sich", die Mitarbeit in der Styrumer Stadtviertelkonferenz und am interreligiösen Dialog gehören. Im Rahmen des von Oberbürgermeister Marc Buchholz reaktivierten Bündnisses der Religionen pflegt die Ahmadiyya-Gemeinde zurzeit Kontakte zur katholischen Stadtgemeinde St. Mariae Geburt und zur Evangelischen Lukaskirchengemeinde in Styrum pflegt.

"Wer glaubt, kann nicht nur für sich beten. Er muss auch etwas für die Gemeinschaft tun. Dabei geht es nicht nur um interreligiösen Dialog, sondern um intermenschlichen Dialog", betont ein Gemeindemitglied, das sich insbesondere in diesem Bereich engagiert.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die bis 2023 in der Stadtmitte ansässige Ahmadiyya-Gemeinde ihre Moschee in Styrum nach der Jesus-Mutter Maria benannt hat. Sowohl Jesus als auch Maria werden, wie man hört, im Islam als Propheten verehrt.


Zu meinem Bericht in der Mülheimer Presse

    

Kleines ganz groß

  Sie sind echte Macher, die Männer und Frauen um Martin Menke, die mit ihrem Trägerverein, neues Leben in die Alte Dreherei des ehemaligen ...